Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Jenseits von heiss: Quellen kosmischer Gammastrahlung

Autoren
Diehl, Roland
Abteilungen

Gammastrahlen-Astronomie (Dr. Jochen Greiner)
MPI für extraterrestrische Physik, Garching

Zusammenfassung
Mit dem Gammastrahlen-Observatorium INTEGRAL sind neue Einblicke möglich geworden in die Welt kosmischer Quellen sehr energiereicher Strahlung. Bisher unbekannte Quellen wurden entdeckt, da nur energiereiche Gammastrahlungs-Anteile die sie umgebenden interstellaren Wolken durchdringt. Unerwartete Hochenergie-Emission wurde bei kompakten Sternen mit extrem hohen Magnetfeldern erkannt, in dem Bereich, in dem das thermische Emissionsspektrum normalerweise selbst für höchste Temperaturen leuchtschwach wird. Damit wird der relative Anteil wahrhaft diffuser Hochenergie-Emission aus dem interstellaren Raum im Vergleich zu einzelnen Quellobjekten neu definiert. Diese diffuse Emission spiegelt die kosmische Strahlung wider, auf ihrem Weg durch den interstellaren Raum der Galaxie. Hochauflösende Spektroskopie der diffusen Strahlung zeigt zudem zwei spezielle Spektrallinien: Antimaterie zerstrahlt in Licht bei 511 keV Energie, und ist überraschend symmetrisch im Innenbereich der Milchstraße konzentriert; das radioaktive Isotop 26Al zerfällt galaxienweit im interstellaren Medium unter Aussendung einer Linie bei 1809 keV; als Nebenprodukt kosmischer Element-Synthese in der Endphase der Entwicklung sehr massereicher Sterne wurde es in den interstellaren Raum geschleudert, und zeigt uns nun dessen kinematischen Zustand in Bereichen, die mit anderen Mitteln nur schwer messbar sind.

Astrophysik mit Gammastrahlung

Die Temperatur-Regionen kosmischer Objekte reichen von nahe dem absoluten Nullpunkt der Temperaturen für interstellaren Staub über warme Planeten und heisse Sterne, bis zu Plasma-Temperaturen oberhalb Millionen K in Supernova-Explosionen oder in der Nähe des Urknalls. Besonders heiße Körper strahlen in Energiebereichen hochenergetischer Strahlung, der Röntgenstrahlung. Noch höhere Strahlungsenergien können kaum durch thermische Prozesse erzeugt werden. Solche Strahlung entsteht in exotischen kosmischen Regionen durch Elementarteilchen-Wechselwirkungen, relativistisch-schnelle Atomkerne und Elektronen, oder radioaktiven Zerfall – hier verliert der Begriff der Temperatur seine Grundlage. Die auch in der Erdatmosphäre beobachtbare kosmische Strahlung legt unmittelbar Zeugnis davon ab, dass im Universum Energien weit oberhalb des thermischen Bereiches (Millionen K entsprechen Strahlungsenergien von 103 eV) bis hinauf zu 1020 eV erzeugt werden, weit mehr als in Beschleunigerlabors auf der Erde je erreichbar sein wird. Dem Studium solch nicht-thermischer Strahlung widmet sich die Gamma-Astronomie mit Spezialteleskopen, die oberhalb der für diese Strahlung undurchlässigen Lufthülle im Weltraum betrieben werden.

INTEGRAL

Die europäische Weltraumorganisation ESA koordiniert große wissenschaftliche Satellitenmissionen, und hat mit INTEGRAL im Oktober 2002 ein Observatorium zur Erforschung kosmischer Gammaquellen im erdnahen Weltraum plaziert (Abb. 1)[Ref. 1, 2]. Am INTEGRAL-Projekt sind neben allen ESA- Mitgliedsnationen auch Russland und die USA sowie Tschechien und Polen beteiligt. Der Satellit wurde mit einer Russischen Trägerrakete vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan aus in eine elliptische Umlaufbahn mit einer erdfernsten Distanz von 150000 km befördert. Die beiden Hauptinstrumente des Observatoriums sind Teleskope, die als Abbildungsprinzip den Schattenwurf einer Lochmaske nutzen, um den Gamma-Himmel einzufangen. Dabei ist eines der Teleskope (genannt „IBIS“) optimiert für ein möglichst hochauflösendes Bild, das andere (genannt „SPI“) für möglichst hochauflösende Spektroskopie. Licht im Bereich von Gammastrahlung ist sehr durchdringend und kann nicht mit Linsen oder Spiegeln konzentriert werden; daher dieses primitiv anmutende Lochkamera-Prinzip. Kosmische Partikelstrahlung, die den Satelliten trifft, erzeugt zudem störende Gammastrahlung im Observatorium selbst, sodass die Wissenschaftler zunächst einmal in mühevoller Kleinarbeit diese Störstrahlung genau kennenlernen müssen, bevor sie der kosmischen Bedeutung eventueller Signale nachgehen können. Aus diesen Gründen sind astrophysikalische Messungen eines solchen Gammastrahlen-Observatoriums eher abhängig von der Arbeit der Spezialisten als vergleichweise die Nutzung eines optischen Observatoriums, und selbst erste grobe wissenschaftliche Auswertungen nehmen deutlich mehr Zeit in Anspruch. Nach 2 Jahren sind nun aber wichtige Resultate erarbeitet worden, die neue und teilweise überraschende Erkenntnisse brachten in Bezug auf die Quell-Objekte solch hochenergetischer Strahlung.

Kosmische Teilchenbeschleuniger

Die Beschleunigung von geladenen Teilchen ist möglich über starke elektromagnetische Felder geeigneter Anordnung. Supernova-Explosionen erzeugen solche kosmischen Beschleuniger – dies wurde im vergangenen Jahr erstmals eindrucksvoll direkt bewiesen durch Messungen von Gammastrahlung solcher Objekte bei Energien von 1015 eV durch das HESS- Teleskopsystem in Namibia. Kosmische Teilchenbeschleunigung muss aber ausgehen von bereits supra-thermischen Energien, die gleichsam „injiziert“ werden in Beschleunigungsgebiete wie solche Supernova-Überreste. Mit Gammateleskopen wie INTEGRAL lassen sich Teilchen-Injektoren aufspüren durch charakteristische Strahlungsemission oberhalb thermischer Energien, also bei Energien von 100 keV – MeV (106 eV). INTEGRAL fand etliche Quellen solcher Strahlung in der Form von Doppelsternszstemen, wobei einer der Sterne aus „entarteter“ Materie besteht und extrem kompakt ist – etwa wie wenn die Sonne auf eine Größe von 6000 km oder gar 15 km komprimiert würde („weiße Zwergsterne” oder „Neutronensterne”). Sternenwind des Begleitsterns fällt auf diesen Kompaktstern und setzt wegen der immensen Schwerkraft gewaltige Energien frei. Unter solchen Bedingungen entstehen vermutlich Plasma-Jets mit hinreichend hohen Energien, und die jungen Begleitsterne mit genügend starken Sternwinden sind eben oft noch umgeben von den Molekülwolken, aus denen sie gebildet wurden. Eine typische solche neuartige Gammaquelle trägt den Namen „IGR J16318-4848“.

Eine andere Beschleunigervariante kann das starke Magnetfeld in der Nähe eines solchen Kompakststerns sein: Wie auf der Sonne magnetische Feldumordnungen zu Teilchenstürmen, den „Sonnenflares“, führen, so stellt man sich die Entstehung von Gammastrahlenausbrüchen auf stark magnetischen Neutronensternen, den “Magnetaren” vor. Im Dezember 2004 registrierte zuerst INTEGRAL das gewaltigste derartige Ereignis von einem Objekt mut Namen „SGR 1806-20“ (Abb. 2) [Ref. 3]. Die gewaltige Energie des Gammastrahlungs-Ausbruchs entspricht der Sonnenenergie von einer Million Jahre, hier freigesetzt innerhalb von Sekunden. Solche gewaltigen Ausbrüche sind eher selten; INTEGRAL fand nun aber bei verwandten Objekten, den „anomalen Röntgenpulsaren”, eine überraschend starke, bisher unbekannte Hochenergie-Strahlungskomponente. Deren Ursache wird ebenfalls im starken Magnetfeld solcher Objekte vermutet. Mit HESS, INTEGRAL und SWIFT stehen derzeit Instrumente zur Erforschung der Teilchenbeschleunigung über den weiten Gammabereich zur Verfügung. Im Jahr 2007 soll der GLAST-Satellit den Energiebereich 0.1-300 GeV (109 eV) empfindlicher vermessen – dann bleibt noch eine wichtige Lücke bei 1-100 MeV zu schließen, um die Entstehung der mysteriösen kosmischen Strahlung 100 Jahre nach ihrer Entdeckung hoffentlich zu verstehen.

Antimaterie-Zerstrahlung

Die Symmetrie von Materie und Antimaterie ist ein wesentliches Element des „Standardmodells“ der Physik, mit dem aus zwei Teilchensorten, den Quarks und Leptonen, und ihren jeweils 3 Unterfamilien der Aufbau der Elementarteilchen und Atomkerne sowie deren Wechselwirkungen beschrieben werden. Antiteilchen wandeln sich bei der Begegnung mit ihren „normalen“ Teilchen-Äquivalenten komplett in Strahlung um. Antiteilchen entstehen bei hohen Energien von mindestens MeV Grösse, entweder durch Kollisionen energiereicher Teilchen oder z.B. durch den radioaktiven Zerfall. Das Antiteilchen des Elektrons ist das Positron, es entsteht im radioaktiven β+-Zerfall oder bei Plasmaenergien oberhalb 1.022 MeV, und zerstrahlt bei der Begegnung mit einem Elektron meist in zwei Lichtquanten der Energie 511 keV. INTEGRAL hat nun erstmals unsere Galaxis im zentralen Bereich vermessen im Licht dieser 511 keV Emission, und Überraschendes gefunden: Die Emissionkarte unterscheidet sich deutlich von der scheibenartigen Verteilung der vermuteten Quellen von Positronen in der Galaxis, man findet ein sehr symmetrisch um das Zentrum der Milchstraße angeordnetes Emissionsgebiet, dessen Ausdehnung allerdings weit hinausreicht über den von einem einzigen zentralen Objekt beeinflussbaren Bereich (Abb. 3) [Ref. 4]. Vermutete einzelne Positronenquellen treten nicht hervor – diese gleichförmige Verteilung der Emission ist ein neues Rätsel. Möglicherweise sind großräumige Felder die Ursache, etwa Magnetfelder, die die Bahnen der Positronen geeignet sammeln, oder das Schwerefeld dunkler Materie, die Positronen auf ganz andere Art durch Zerstrahlung exotischer Teilchen erzeugen.

Kosmische Radioaktivität

Radioaktiver Zerfall und die ihn begleitende charakteristische Gammastrahlung dient uns auch zum Studium der Entstehung der chemischen Elemente im Universum. Langlebige Isotope werden zusammen mit den übrigen neu erzeugten Atomkernen aus den Entstehungsorten (wie z.B. Supernova-Explosionen) herausgeschleudert: So zeigen uns radioaktive Gammastrahlungs-Linien diese Entstehungsorte, und bei besonders langlebigen Isotopen lässt sich der Weg der neu erzeugten Elemente im interstellaren Raum verfolgen [Ref. 5]. Mit den Gammalinien der Isotope 56Co und 44Ti wurde dieses Bild unmittelbar bestätigt bei den Supernova-Explosionen „SN1987A“ in der Nachbargalaxie „Große Magellansche Wolke“, und der Supernova „Cassiopeia A“, die sich vor 350 Jahren in unserer Galaxis ereignete. Anhand der Gammalinie radioaktiven 26Al (Zerfallszeit ca. 1 Million Jahre) wurde gezeigt, dass solche Elementsynthese Teil der jüngeren Historie in unserer ca. 12 Milliarden Jahre alten Galaxie ist. Die Emissionkarte von 26Al-Gammastrahlung zeigte uns auch, in welchen Regionen der Galaxis die massereichen Sterne sich befinden, die die Hauptquelle neuer Elemente sind – wegen der Absorption energieärmerer Strahlung in interstellaren Wolken und Staub sind diese Regionen und ihre Sterne uns nur sehr unvollkommen sichtbar. Mit INTEGRAL ist erstmals empfindliche Spektroskopie in hoher Auflösung möglich bei Gamma-Energien; so konnte INTEGRAL zeigen, dass die Form der Gammalinie die Kinematik der zerfallenden 26Al-Atome bestimmt: Die Linie erscheint nur wenig breit wenn viele Regionen unterschiedlichen Alterns beitragen (wie im Zentralbereich der Milchstraße), hingegen etwas mehr verbreitert wenn die Region besonders jung ist und die Verwirbelungen des interstellaren Gases durch ihre Sterne frisch und noch nicht abgeklungen ist. In diesem Jahr konnte die Messgenauigkeit weiter verbessert werden, und damit eine frühere Messung widerlegt werden, die eine breite Linienform berichtet hatte – Theoretiker hatten keine Erklärung für eine derartig breite Linie mit Gasgeschwidigkeiten von 500 km pro Sekunde gefunden. Mit den neuesten Messungen von INTEGRAL ist sogar das Rotationsverhalten der Galaxis in der Gamma-Linienform sichtbar: Wenn die emittierenden Regionen sich im Mittel auf uns zubewegen, erscheint die Linie zu höheren Energien verschoben, bei Bewegung weg vom Beobachter zeigt sich eine Verschiebung zu niedrigeren Energien (Abb. 4) [Ref. 6]. Dies ist eine direkte Bestätigung, dass die 26Al- Quellregionen sich im Innenbereich der Milchstraße befinden, und nicht im Vordergrund (also näher an der galaktischen Position der Sonne), wie manche früheren Theorien vermutet hatten. Derartige Entfernungsbestimmungen durch kinematische Messungen sind in anderen astronomischen Bereichen sehr erfolgreich, und können bei genauen Messungen mit INTEGRAL nun sogar im Gammabereich hilfreich werden.

Originalveröffentlichungen

Schönfelder, V.
Erste Ergebnisse von der Gamma-Astronomie Mission INTEGRAL
MPG Jahrbuch 2004
Winkler, C. et al.
The INTEGRAL mission
Astronomy & Astrophysics 411, L1-L6 (2003)
Lichti, G. und A. von Kienlin
Intensiver Gammablitz eines Magnetars trifft die Erde
Sterne und Weltraum Mai 2005, 17-19 (2005)
Knödlseder, J. et al.;
Early SPI/INTEGRAL constraints on the morphology of the 511 keV line emission in the 4th galactic quadrant
Astronomy & Astrophysics 411, L457-L468 (2003)
Diehl, R. and W. Hillebrandt
Astronomie mit Radioaktivität
Physics Journal 1, 47-53 (2002)
Diehl, R. et al.;
SPI measurements of Galactic 26Al
Astronomy & Astrophysics 411, L451-L455 (2003)
Verschiedene Autoren;
Sonderausgabe der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics mit den ersten Ergebnissen der INTEGRAL Mission
Astronomy & Astrophysics 411 (2003)
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