Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Die Teilung neuraler Stammzellen im Gehirn von Säugetieren

Autoren
Huttner, Wieland; Haubensak, Wulf; Attardo, Alessio
Abteilungen

Huttner: Bildung von Nervenzellen im zentralen Nervensystem von Säugetieren (Prof. Dr. Wieland Huttner)
MPI für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden

Zusammenfassung
Neurale Stammzellen teilen sich, wie alle anderen Stammzellen auch, entweder um sich zu vermehren (Proliferation), oder um differenzierte Zellen, wie beispielsweise Nervenzellen, zu produzieren (Differenzierung). Im sich entwickelnden Gehirn von Säugetieren koexistieren beide Arten von Stammzellteilungen. Mitarbeitern um Wieland Huttner ist es nun erstmals gelungen, selektiv solche Stammzellen sichtbar zu machen, die in ihrer nächsten Teilung Nervenzellen produzieren. Dazu ersetzten die Forscher in einer Maus eine Kopie eines Gens, das spezifisch in diesen Stammzellen angeschaltet wird, durch das Gen für Grün-Fluoreszierendes-Protein (GFP).

Alle Nervenzellen des Zentralen Nervensystems von Säugetieren stammen von neuroepithelialen (NE) Zellen ab. Während ihrer Entwicklung vermehren sich diese NE-Zellen anfangs, um weitere Vorläuferzellen zu bilden. Diese Vermehrung oder Proliferation geht symmetrisch vonstatten, das heißt aus einer NE-Mutterzelle werden zwei NE-Tochterzellen, was zu einem exponentiellen Anstieg der neuroepithelialen Zellen führt. Zu Beginn der Ausbildung eines Nervensystems (Neurogenese) schaltet dann eine zunehmende Zahl von NE-Zellen um zu einer differenzierenden Zellteilung, von der man annimmt, dass sie asymmetrisch abläuft: eine NE-Mutterzelle bringt eine NE-Tochterzelle und eine postmitotische Nervenzelle hervor [1]. Einen direkten Nachweis einer solchen asymmetrischen Teilung von NE-Zellen konnten Zeitraffer-Beobachtungen liefern [2]. Die zellbiologischen Grundlagen und molekularen Mechanismen, die bei Säugetier-NE-Zellen dieses Umschalten von einer symmetrischen, proliferativen Zellteilung zu einer asymmetrischen, neurogenen Zellteilung kontrollieren, sind jedoch nur wenig erforscht.
Die Teilung von Neuroblasten, unausgereiften Nervenzellen, bei der Fruchtfliege Drosophila ist ein klassisches Beispiel dafür, inwiefern die asymmetrische Teilung einer neuronalen Vorläuferzelle auf ihrer zellbiologischen Organisation beruht, speziell auf der Orientierung ihrer Teilungsfurche in Bezug auf die apikal-basale Polarität [3]. Im Gegensatz zu Zellen des neuroektodermalen Epithels von Drosophila-Embryonen, deren Teilungsfurche sich parallel zur apikal-basalen Achse anordnet - und so zu einer symmetrischen Zellteilung führt - behalten die Neuroblasten bei der Fruchtfliege Drosophila zwar die Achse der apikal-basalen Polarität bei, richten aber ihre Zellteilungsfurche im rechten Winkel zu dieser aus. Dies führt zu einer asymmetrischen Teilung, da die für das Zellschicksal zuständigen Faktoren, die sich polarisiert entlang der apikal-basalen Achse des Neuroblasten anordnen, ungleich auf die Tochterzellen verteilt werden.
Der Drosophila-Neuroblast diente als Paradigma für die Zellteilung von NE-Zellen bei Säugetieren. Speziell wurde vermutet, dass das Umschalten bei Säugetier-NE-Zellen von der symmetrischen, proliferativen Teilung hin zur asymmetrischen, neurogenen Teilung mit einer veränderten Ausrichtung der Zellteilungsfurche einhergeht. So nahmen die Wissenschaftler an, dass die symmetrische, proliferative Teilung von NE-Zellen einer Zellteilungsfurche entlang der apikal-basalen Achse bedarf, also einer Teilungsfurche im rechten Winkel zur Oberfläche des Lumens des Neuralrohrs (vertikale Teilung). Im Gegensatz dazu könnte die asymmetrische, neurogeneTeilung auf einer Teilungsfurche im rechten Winkel zur apikal-basalen Achse beruhen, also die Furche sich parallel zur Oberfläche des Neuralrohres anordnen (horizontale Teilung).

Fraglich war jedoch, ob der Anteil horizontaler Teilungen, der im Säugetier-Neuroepithel nachgewiesen wurde, ausreicht, um die enorme Anzahl der während der Entwicklung des Säugetiergehirns gebildeten Nervenzellen zu erklären. Das Team um Wieland Huttner entwickelte nun eine Hypothese, welche annimmt, dass vertikale Teilungen nicht nur symmetrisch, sondern auch asymmetrisch sein und zu Neurogenese führen können. Zentral für diese Hypothese ist die Verteilung der apikalen Plasmamembran (hier im Weiteren kurz als apikale Membran bezeichnet) bei der Teilung von Säugetier-NE-Zellen und somit weniger die Frage nach der Ausrichtung der Zellteilungsfurche im Verhältnis zur Oberfläche des Lumens des Neuroepithels. Dies umso mehr, da NE-Zellen von länglicher Form sind und somit ihre apikale Membran - mit spezifischen Proteinen [4] ausgestattet - lediglich einen geringen Teil der gesamten Plasmamembran darstellt. Insofern wurde postuliert, dass eine vertikale Teilungsfurche entweder die apikale Membran zweiteilt - und diese dann auf beide Tochterzellen verteilt wird, was zu einer symmetrischen Teilung führt - oder diese gleichsam links liegen lässt, was die Vererbung nur an eine Tochterzelle und damit eine asymmetrische Zellteilung bedeuten würde.
In der gegenwärtigen Studie haben die Forscher am MPI in Dresden diese These am sich entwickelnden Gehirn des Mausembryos geprüft. Um zwischen symmetrischer, proliferativer Teilung und asymmetrischer, neurogener Zellteilung unterscheiden zu können - welche beide parallel existieren -, machten sich die Forscher eine frühere Beobachtung zu Nutze: Das TIS21-Gen wird selektiv nur in solchen NE-Zellen angeschaltet, die in der nächsten Teilung Nervenzellen produzieren [5]. Mithilfe von Mausembryonen, bei denen eine Kopie dieses Gens durch das grün leuchtende Protein GFP ersetzt wurde, untersuchten die Forscher die Ausrichtung der Zellteilungsfurche und die Verteilung der apikalen Membran und verglichen diese Beobachtungen bei proliferierenden NE-Zellen und bei NE-Zellen, die Nervenzellen bilden werden [6].

Aus den Ergebnisse der Arbeitsgruppe lässt sich folgern, dass zu Beginn und auch in späteren Stadien der Bildung von Nervenzellen im Zentralen Nervensystem der Maus das Umschalten von Proliferation zu Differenzierung bei NE-Zellen eher mit einer veränderten Verteilung der apikalen Membran - nämlich von einer symmetrischen hin zu einer asymmetrischen Verteilung auf die Tochterzellen - zusammenhängt als mit einer Drehung der Zellteilungsfurche von einer vertikalen zu einer horizontalen Ausrichtung. Diese Beobachtungen lösen einen lange bestehenden Widerspruch darüber auf, wie Nervenzellen bei Säugetieren, speziell in deren Embryonalphase, entstehen. Die Teilung von NE-Zellen, die Nervenzellen hervorbringen, erfolgt asymmetrisch; der Großteil dieser Zellen jedoch weist eine vertikal ausgerichtete Zellteilungsfurche auf, was gerade als Grundlage für eine symmetrische Teilung angesehen wurde. Die Gruppe um Wieland Huttner konnte mit ihren Untersuchungen nun belegen, dass eine vertikal ausgerichtete Zellteilungsfurche durchaus zu einer ungleichen Verteilung der apikalen Plasmamembran und somit zu einer asymmetrischen Zellteilung führen kann.
Die Studie zeigt weiter, dass die Ausrichtung der Zellteilungsfurche ein unzureichender Parameter für eine symmetrische oder asymmetrische Zellteilung ist. Denn vertikal ausgerichtete Zellfurchen wurden sowohl bei NE-Zellen festgestellt, die sich weiter vermehrten, als auch bei Zellen, die Nervenzellen produzierten. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen scheint also die Verteilung der apikalen Plasmamembran ein ungleich verlässlicherer Parameter als die Ausrichtung der Zellteilungsfurche zu sein, um zellbiologisch eine asymmetrische Teilung nachzuweisen.

Zeitraffer-Studien haben gezeigt, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Verteilung der apikalen Plasmamembran und dem weiteren Zellschicksal: Zellen, die die apikale Membran vererbt bekommen, verbleiben im Status einer NE-Zelle und teilen sich weiterhin; Zellen, die diese Membran nicht vererbt bekommen, bilden Nervenzellen. Es erscheint nicht sehr wahrscheinlich, dass die Verteilung der apikalen Membran rein zufällig geschieht und dies keinen Unterschied für das weitere Schicksal der Tochterzellen macht. Vielmehr legen die Beobachtungen den Schluss nahe, dass bestimmte Moleküle, die entscheidend für das Zellschicksal sind, eng mit der apikalen Membran der NE-Zellen zusammenhängen.

Die Zeitraffer-Studien an den Mausembryonen mit grün leuchtendem Gehirn zeigten darüber hinaus die Existenz einer bislang nicht charakterisierten neuronalen Vorläuferzelle. Diese neuronale Vorläuferzelle besitzt keine apikale Membran mehr und teilt sich - in der basalen Region des Neuroepithels - symmetrisch in zwei postmitotische Nervenzellen. Diese Beobachtungen sind zum einen damit konsistent, dass Zellen, die apikale Membran vererbt bekommen, sich weiterhin teilen. Zum anderen ist die Existenz dieser "neuen" neuronalen Vorläuferzellen, basal progenitor genannt, deshalb interessant, weil insbesondere im Gehirn höher entwickelter Säugetiere einschließlich des Menschen die basale Region des Neuroepithels expandiert und aus den dort angesiedelten "basal progenitors" die überwiegende Mehrheit der Nervenzellen des Neokortex hervorgeht.

Literatur

[1] Huttner, W. B. and M. Brand: Asymmetric division and polarity of neuroepithelial cells. Current Opinion in Neurobiology 7, 29-39 (1997).

[2] Haubensak, W., A. Attardo, W. Denk and W. B. Huttner: Neurons arise in the basal neuroepithelium of the early mammalian telencephalon: A major site of neurogenesis. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 101(09),3196-3201 (2004).

[3] Wodarz, A. and W. B. Huttner: Asymmetric cell division during neurogenesis in Drosophila and vertebrates. Mechanisms of Development 120 (11), 1297-1309 (2003).

[4] Weigmann, A., D. Corbeil, A. Hellwig and W. B. Huttner: Prominin, a novel microvilli-specific polytopic membrane protein of the apical surface of epithelial cells, is targeted to plasmalemmal protrusions of non-epithelial cells. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 94 (23), 12425-12430 (1997).

[5] Iacopetti, P., M. Michelini, I. Stuckmann, B. Oback, E. Aaku-Saraste and W. B. Huttner: Expression of the antiproliferative gene

TIS21 at the onset of neurogenesis identifies single neuroepithelial cells that switch from proliferative to neuron-generating division.

Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 96, 4639-4644 (1999).

[6] Kosodo, Y., K. Roper, W. Haubensak, A.-M. Marzesco, D. Corbeil and W. B. Huttner: Asymmetric distribution of the apical plasma membrane during neurogenic divisions of mammalian neuroepithelial cells. EMBO Journal 23 (11), 2314-2324 (2004).

Go to Editor View