Expedition zur Ur-Materie

Am 12. November soll die Sonde Philae auf dem rund vier Kilometer kleinen Kern des Kometen 67/P Churyumov-Gerasimenko landen. Wissenschaftler aus dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung wollen erstmals vor Ort die urtümlichen Baustoffe der Planeten analysieren.

Text: Thorsten Dambeck

Die Liste der Himmelskörper, die schon Boten von der Erde empfingen, ist kurz. Oben steht unser Mond, dort gelang die erste bemannte Landung vor 45 Jahren. Dann folgen Venus und Mars. Als Europäer darf man den Saturnmond Titan nicht vergessen, auf dessen exotischer Oberfläche einst eine ESA-Sonde niederging. Und schließlich sind da noch die beiden Kleinplaneten Eros und Itokawa. Das war`s.

Sollte im kommenden November alles nach Plan verlaufen, könnte die europäische Raumfahrt jedoch erneut Geschichte schreiben: Im Rahmen der europäischen Rosetta-Mission ist unter anderem die Landung auf dem Kern eines Kometen vorgesehen. Bei dem fernen Ortstermin spielen die Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau eine maßgebliche Rolle.

Philae heißt die rund 100 Kilogramm schwere Landeeinheit, die das Kunststück vollbringen soll, auf 67/P Churyumov-Gerasimenko niederzugehen „Wir werden nicht nur viele Monate den Kometen aus einer Umlaufbahn erkunden, wir wollen ground truth“, sagt Hermann Böhnhardt. Ground truth, also das Streben nach Wahrheit, bedeutet hier im Fachjargon: Die Beobachtungen des überfliegenden Rosetta-Orbiters sollen durch Messungen am Boden erhärtet werden. Max-Planck-Forscher Böhnhardt ist Rosettas Projektwissenschaftler für den Philae-Lander.

Die Kombination aus beiden Sonden ermöglicht einzigartige Experimente, wie etwa CONSERT (COmet Nucleus Sounding Experiment by Radiowave Transmission). Dessen Methodik ähnelt einer Tomografie-Untersuchung, hier ist der Patient allerdings ein Kometenkern. Und das geht so: Radiowellen werden von Rosetta abgestrahlt, sie durchdringen den Kometenkern und erreichen Philae auf der anderen Seite des Kerns. Philae schickt mit seiner Antenne die Radiowellen umgehend zurück.

Worauf zielt dieses Radiowellen-Pingpong? Beim Weg durch den Himmelskörper verändert sich das Signal und ermöglicht so Rückschlüsse auf dessen Innenleben. „Der innere Aufbau eines Kometen ist noch immer weitgehend unbekannt“, stellt Böhnhardt klar. „Wir wollen beispielsweise wissen, ob es sich eher um eine lockere Ansammlung von Schnee oder um hauptsächlich feste Bestandteile handelt.“

Ein wichtiger Aspekt sei, ob es auf dem Kern größere Hohlräume oder Schichtungen gibt. Hermann Böhnhardt: „Bessere Daten über den Aufbau der Kometen werden helfen, den genauen Geburtsprozess der großen Körper im Sonnensystem zu verstehen, der Planeten.“ Denn diese fügten sich nach den gängigen Theorien in einem mehrstufigen Prozess aus kleineren Körpern zusammen.

Kometen gelten als Relikte dieser Frühphase der Planetengeburt. Nun treibt die Forscher die Frage um, ob Kometenkerne ihrerseits aus noch kleineren Körpern zusammengesetzt sind. Ein zerstörungsfreier Blick ins Innere eines solchen Brockens ist nie zuvor versucht worden, mit CONSERT betreten die Planetenforscher wissenschaftliches Neuland.

Andere Experimente Philaes zielen auf Temperaturmessungen im Boden, die bis in einigen Metern Tiefe geplant sind; so wollen die Forscher den Wärmefluss im Innern des Kerns entschlüsseln. Ein automatischer Hammer wird die Sensoren in den Untergrund treiben; solche Messungen sind aus der Umlaufbahn unmöglich. Auch für COSAC (Cometary Sampling and Composition Experiment) ist eine Landung unabdingbar, damit stehen detaillierte chemische Analysen auf Philaes To-Do-Liste.

„COSAC ist die Nase von Philae“, sagt der Chef-Wissenschaftler des Instruments, Fred Goesmann vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Etwas technischer hört sich das so an: „Das Experiment arbeitet mit einem Gas-Chromatografen und einem Flugzeit-Massenspektrometer.“ Bei Ersteren wird ein Gasgemisch durch meterlange, sehr dünne Kapillarröhren geführt und dabei voneinander getrennt. Das zweite Gerät analysiert Ionen anhand ihrer Flugzeit in einem elektrischen Feld.

COSAC wurde am Max-Planck-Institut entwickelt und gebaut, und zwar in Kooperation mit Wissenschaftlern aus Paris und Gießen; insgesamt bringt es 4,5 Kilogramm auf die Waage.

Es geht bei diesem Experiment um die flüchtigen Substanzen des Schweifsterns. Das ursprünglichste Material verbirgt sich wahrscheinlich unter der Oberfläche seines Kerns, deshalb wird Philaes Bohrer die Proben einige Dezimeter tief entnehmen. Sobald das Material in die Bordöfen verfrachtet ist, beginnt die schrittweise Hitzebehandlung. Die dabei entstehenden Gase werden dem Gas-Chromatographen, dem Spektrometer oder sogar beiden Analyseeinheiten zugeführt.

„Ähnliche Untersuchungen wurden im Rahmen der Viking-Mission und jetzt aktuell bei der Curiosity-Mission auf dem Mars unternommen“, sagt Goesmann. Auf dem Kometen suchen die Forscher mit dieser Methode die chemischen Vorstufen des Lebens. „Wir interessieren uns für organische, also kohlenstoffhaltige Moleküle.“ Denn die uralten Kometen könnten Goesmann zufolge für die Entstehung des Lebens von Bedeutung sein.

„Alles irdische Leben basiert auf den Erbmolekülen DNA und RNA sowie auf anderen komplexen Molekülen, den Proteinen“, erklärt der Physiker. „Als unsere Erde entstand, war sie anfangs jedoch viel zu heiß, bei den damaligen Temperaturen wurden diese organischen Moleküle rasch zerstört.“

Astrobiologen vermuten deshalb, dass zumindest Teile der für die chemische Evolution wichtigen Grundstoffe mit Einschlägen von Kometen und Asteroiden erst später die abgekühlte Erde erreichten. Eine spannende Frage betrifft die Chiralität, also die Händigkeit der organischen Verbindungen: Wenn COSAC tatsächlich komplexe organische Moleküle entdeckt, stellt sich die Frage, ob diese bereits eine Tendenz zur Links-Händigkeit zeigen, wie sie alle irdischen Aminosäuren aufweisen?

Bei jedem Sonnenumlauf stoßen Kometen Gase aus, die wiederum Staubpartikel mitreißen. Wie lange kann das gut gehen, wann ist Schluss mit den prächtigen Schweifen? Messungen, die darauf Antworten ermöglichen, sind mit dem Dust Impact Monitor (DIM) geplant. Dieses Gerät stammt vom Budapester Forschungsinstitut für Atomenergie und wird gemeinsam vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln betrieben.

„Mit DIM wollen wir die Zahl und die Größe der auftreffenden Staubteilchen registrieren, ihre grobe Richtungsverteilung sowie den zeitlichen Verlauf dieser Messgrößen“, sagt der Chefwissenschaftler Harald Krüger vom Max-Planck-Institut über das würfelförmige Instrument. Es ist für vergleichsweise große Teilchen zuständig, sie messen etwa einen Millimeter im Durchmesser; erheblich kleinere Partikel erfasst das COSIMA-Experiment auf dem Rosetta-Orbiter. Ob es solchen Kometenpartikeln gelingt, den Kern zu verlassen, hängt von ihrem Tempo ab. „Die Fluchtgeschwindigkeit von der Kometenoberfläche beträgt etwa ein Meter pro Sekunde, sind die Teilchen langsamer, fallen sie zurück“, sagt Krüger.

Damit all diese Messungen Realität werden, muss zunächst die Landung gelingen. Das Manöver dürfe man sich laut Harald Krüger nicht wie auf einem großen Planeten vorstellen, denn der Kern des Zielkometen hat mit vier Kilometern lediglich die Ausmaße einer Kleinstadt. Die Schwerkraft beträgt kaum ein Millionstel des irdischen Werts.

Wenn Philae gemächlich wie ein Fußgänger niedergeht, muss am Boden seine Bewegungsenergie gedämpft werden. Ansonsten droht er ähnlich wie ein Gummiball reflektiert zu werden. Die Dämpfung ist, neben der sicheren Verankerung im Boden, für die erfolgreiche Landung entscheidend – die technischen Komponenten dafür kommen übrigens ebenfalls aus den Max-Planck-Werkstätten.

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