Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern

Sollen ausschließbare öffentliche Güter durch Gebühren oder durch Steuern finanziert werden?

Autoren
Hellwig, Martin
Abteilungen
Zusammenfassung
Welche Rolle spielen Gebühren und Steuern bei der Finanzierung von öffentlichen Gütern? Bei ausschließbaren öffentlichen Gütern kann man Nutzungsgebühren erheben und jeden, der sie nicht bezahlt, von der Nutzung ausschließen. Dies ist ineffizient, wenn die Nutzung durch weitere Personen keine Kosten mit sich bringt. Jedoch ist diese Ineffizienz gegen die mit anderen Finanzierungsinstrumenten wie beispielsweise der Einkommensteuer verbundenen Effizienzverluste abzuwägen. Studien des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern zeigen, dass optimale Anreizmechanismen bei unvollständiger Information über individuelle Präferenzen für öffentliche Güter und über Arbeitsproduktivitätsniveaus von allen verfügbaren Finanzierungsinstrumenten Gebrauch machen, um den Effizienzverlust insgesamt möglichst gering zu halten. Für den optimalen Mix der Instrumente gilt eine Version der aus der Theorie der Preise öffentlicher Unternehmen bekannten „Elastizitätenregel“.

Bei knappen Staatsfinanzen wird über alternative Instrumente zur Finanzierung öffentlicher Güter nachgedacht, so etwa über die Einführung von Studiengebühren für die Hochschulen oder eine mögliche Ausweitung von des Mautsystems „Toll Collect“ auf den privaten Individualverkehr. Für die Wirtschaftswissenschaftler stellt sich die Frage nach dem angemessenen Mix von Gebühren und Steuern als den Instrumenten zur Finanzierung öffentlicher Güter.

Öffentliche Güter zeichnen sich dadurch aus, dass die Nutzung durch eine Person die Nutzung durch andere Personen nicht beeinträchtigt. In der klassischen Theorie dieser Güter kommen Gebühren nicht vor. Schließlich kann man nicht verhindern, dass beliebige Personen an den Vorteilen der Friedenssicherung durch Landesverteidigung oder der Sauberkeit der Luft teilhaben, auch ohne extra dafür zu bezahlen.

Bei ausschließbaren öffentlichen Gütern jedoch, etwa dem Angebot einer Hochschule oder eines Opernhauses, im Zeichen von Pay-TV und „Toll Collect“ auch der Ausstrahlung eines Fernsehprogramms und dem Straßennetz, kann man Eintritts- oder Nutzungsgebühren erheben und Personen, die diese Gebühren nicht entrichten, von der Nutzung ausschließen. Jedoch bedeutet dies nicht unbedingt, dass eine Gebührenerhebung auch sinnvoll ist. In der klassischen Theorie kommen Gebühren auch deshalb nicht vor, weil es ineffizient wäre, Personen, denen das Gut nützen könnte, von der Nutzung auszuschließen, wenn diese Nutzung nicht andere Personen beeinträchtigt. Nach dieser Logik sind Studiengebühren oder Straßennutzungsgebühren zu erheben, wenn übermäßige Inanspruchnahme der betreffenden öffentlichen Güter zu Nutzungsbeeinträchtigungen führt, nicht aber, um diese Güter überhaupt zu finanzieren.

Die These, Nutzungsgebühren für ausschließbare öffentliche Güter seien unerwünscht, steht freilich im Widerspruch zur so genannten Ramsey-Boiteux-Theorie der Preise für öffentliche Unternehmen. Diese Theorie verweist darauf, dass der Verzicht auf Gebühren eine Steuerfinanzierung bedingt. Steuern aber induzieren unerwünschte Ausweichreaktionen und bringen ihrerseits Effizienzverluste mit sich. Wägt man diese Effizienzverluste gegen die Effizienzverluste durch Nutzungsgebühren ab, so findet man, dass grundsätzlich alle verfügbaren Finanzierungsinstrumente eingesetzt werden sollten – Gebühren ebenso wie Steuern.

Die Ramsey-Boiteux-Theorie ihrerseits wird durch die Theorie optimaler Einkommensteuern infrage gestellt. Nach dieser Theorie sollten in erster Approximation alle Staatsausgaben durch direkte Steuern finanziert werden. Gebühren sollten nur dann eingesetzt werden, wenn sie die mit der Einkommensbesteuerung verbundenen verteilungspolitischen Ziele begünstigen.

Bei der Beurteilung von Gebühren für ausschließbare öffentliche Güter kommen also die verschiedenen Teilgebiete der Finanzwissenschaft zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bislang fehlt ein übergeordneter begrifflicher Rahmen zur Beurteilung dieses Konflikts. Ein Projekt des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern versucht, dieses Defizit zu beseitigen.

Anreizmechanismen für die Bereitstellung und Finanzierung öffentlicher Güter

Methodische Grundlage ist die Theorie der abstrakten Anreizmechanismen. Diese bezieht Informations- und Anreizprobleme in die Analyse normativer Fragen ein. Bei öffentlichen Gütern und Steuern fallen solche Probleme besonders ins Gewicht.

Bei privaten Gütern besteht zwischen Erstellung, Finanzierung und Nutzung ein unmittelbarer Zusammenhang. Indem der Verbraucher einen bestimmten Preis bezahlt, um ein Gut zu bekommen, signalisiert er dem Hersteller, dass ihm das Gut mindestens diesen Preis wert ist. Sofern es auf beiden Seiten des Marktes genügend Wettbewerb gibt, sorgt dieser Mechanismus dafür, dass an privaten Gütern genau soviel produziert und konsumiert wird, dass für jede einzelne Einheit die Wertschätzung des Verbrauchers den Kosten des Herstellers entspricht oder gar größer ist. Das Marktergebnis ist effizient.

Bei öffentlichen Gütern besteht dieser unmittelbare Zusammenhang zwischen Erstellung, Finanzierung und Nutzung nicht. Man kann in den Genuss des öffentlichen Gutes kommen, ohne selbst dafür zu bezahlen; es genügt, dass jemand anders für die Erstellung sorgt. Daraus ergibt sich das Trittbrettfahrerproblem, dass möglicherweise niemand etwas für das öffentliche Gut tut und jeder sich auf die anderen verlässt.

Das Trittbrettfahrerproblem kann durch multilaterale Koordination behoben werden, etwa durch eine Übereinkunft aller Beteiligten. Bei vollständiger Information, wenn also die Wertschätzungen aller Beteiligten für das öffentliche Gut allseits bekannt sind, kann dies für eine effiziente Bereitstellung sorgen. Bei unvollständiger Information jedoch ergeben sich zusätzliche Anreizprobleme. Sind die Wertschätzungen der Beteiligten nicht allseits bekannt und kennt jeder nur seine eigene Wertschätzung, so ist nicht klar, wie „das System“ die Information über diese Wertschätzungen erhält. Rechnet der Einzelne damit, dass er entsprechend der geäußerten Wertschätzung zur Finanzierung herangezogen wird, so hat er einen Anreiz, seine Wertschätzung zu untertreiben. Erwartet er dagegen, dass die geäußerte Wertschätzung keine Folgen für seinen Geldbeutel hat, so hat er einen Anreiz zu übertreiben, zumindest, wenn er glaubt, dass er damit etwas bewirken kann. In beiden Fällen ist die Effizienz der Bereitstellung des öffentlichen Gutes infrage gestellt.

Die Literatur über Anreizmechanismen für öffentliche Güter zeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, den Zusammenhang zwischen geäußerter Wertschätzung und Finanzierungsbeitrag des Einzelnen im Rahmen der multilateralen Verhandlung gerade so auszutarieren, dass die Information über die Wertschätzung jedes Einzelnen korrekt an das System übermittelt wird und zur effizienten Bereitstellung des öffentlichen Guts genutzt werden kann. Jedoch reichen die so erhältlichen Finanzierungsbeiträge nur dann zur Finanzierung des öffentlichen Guts aus, wenn man auf das Erfordernis der Freiwilligkeit der Übereinkunft verzichtet und auch solche Personen zur Kasse bittet, denen überhaupt nicht an dem betreffenden Gut gelegen ist.

Einen vergleichbaren Konflikt zwischen Effizienz und Freiwilligkeit von Übereinkünften gibt es grundsätzlich auch bei privaten Gütern. Dort aber nimmt die Ineffizienz freiwilliger Übereinkünfte mit zunehmender Zahl der Teilnehmer ab und ist vernachlässigbar, wenn es viele Teilnehmer gibt. Bei öffentlichen Gütern dagegen verschärft sich der Konflikt zwischen Freiwilligkeit und Effizienz, wenn die Zahl der Teilnehmer größer wird. Je mehr Personen teilhaben, desto weniger rechnet der Einzelne damit, dass sein finanzieller Beitrag Einfluss auf die Bereitstellung des öffentlichen Guts hat, und desto weniger ist er freiwillig bereit zu bezahlen. Für öffentliche Güter, deren Kosten größenordnungsmäßig der Zahl der Beteiligten entsprechen, gibt es daher bei großer Teilnehmerzahl praktisch überhaupt keine Möglichkeit, diese durch freiwillige Übereinkunft herzustellen.

Finanzierung durch Gebühren …

Für ausschließbare öffentliche Güter ist vorgeschlagen worden, das beschriebene Problem durch Nutzungsgebühren zu mildern, wenn nicht gar zu lösen. Wird die Nutzung eines ausschließbaren öffentlichen Guts davon abhängig gemacht, dass die betreffende Person einen Eintrittspreis bezahlt, und wird das Gut aus den Erlösen finanziert, so besteht ein Zusammenhang zwischen Erstellung, Finanzierung und Nutzung. Zwar werden Personen mit Wertschätzungen unterhalb des Eintrittspreises von der Nutzung ausgeschlossen, doch ist der dadurch entstehende Effizienzverlust geringer als der Effizienzverlust, der entstände, wenn das öffentliche Gut gar nicht erst erstellt würde. Dieses Ergebnis entspricht der These der Ramsey-Boiteux-Theorie der Preise für öffentliche Unternehmen, wonach Abweichungen der Preise von den Grenzkosten der Nutzung ökonomisch sinnvoll sind, wenn Fixkosten und Gemeinkosten der Produktion nicht anders zu decken sind.

… oder durch Steuern?

Forschungsarbeiten am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern [1, 2] erweitern die Analyse auf multiple öffentliche Güter und berücksichtigen auch die Möglichkeit der Finanzierung öffentlicher Güter aus direkten Steuern. Das Modell der Erstellung öffentlicher Güter wird ergänzt um ein Modell der Produktion von Gütern durch den Arbeitsaufwand der Beteiligten. Der in der Produktion erzielte Überschuss kann zumindest teilweise durch eine direkte Steuer abgeschöpft werden. Dabei wird, wie in der Theorie der optimalen Einkommensteuer üblich, angenommen, dass die Produktivität einer Person jeweils nur dieser Person selbst bekannt ist, sodass die Steuer nicht unmittelbar daran anknüpfen kann. Produktivitätsunterschiede führen aber zu Einkommensunterschieden. Personen mit höherer Produktivität werden stärker zur Kasse gebeten, indem höhere Einkommen stärker besteuert werden. Jedoch kommt es dadurch zu Effizienzverlusten, denn die Steuer beeinflusst Arbeits-Freizeit-Entscheidungen. Daher stellt sich die Frage, wie diese Effizienzverluste sich zu den durch Eintrittspreise bei ausschließbaren öffentlichen Gütern verursachten Effizienzverlusten verhalten. Was lässt sich über den optimalen Mix an Finanzierungsinstrumenten sagen?

Optimale Finanzierungsregeln

Aus der Perspektive der Anreiztheorie ist dies ein multidimensionales Mechanismusproblem, denn die Unvollständigkeit der Information betrifft nicht nur die Wertschätzung für öffentliche Güter, sondern auch die Arbeitsproduktivität. Für dieses Problem wurde am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern eine neue Lösungsmethode entwickelt [1, 2]. Die Ergebnisse zeigen, dass im Modell ohne Einkommensteuer die Wahl eines optimalen Anreizmechanismus dem Ramsey-Boiteux-Problem der Festsetzung optimaler Nutzungsgebühren äquivalent ist. Für die Gebühren gilt daher die so genannte Elastizitätenregel, wonach vor allem diejenigen Güter zur Finanzierung herangezogen werden sollen, bei denen die Nachfrager nur geringe Ausweichmöglichkeiten haben. Die Regel ist gegebenenfalls um verteilungspolitische Faktoren zu ergänzen.

Im Modell mit Einkommensteuer sind die optimalen Nutzungsgebühren durchweg niedriger, da die öffentlichen Güter sich nicht mehr selbst tragen müssen. Jedoch sind grundsätzlich alle Instrumente einzusetzen, Gebühren ebenso wie die Einkommensteuer. Für beide gilt eine Version der Elastizitätenregel. Bei einer Finanzierung nur aus der Einkommensteuer würden die mit der Steuer verbundenen Effizienzverluste zu groß werden. Bei unvollständiger Information über Produktivitäten und Präferenzen ist die Ramsey-Boiteux-Theorie grundsätzlich auch dann von Bedeutung, wenn die Einkommensteuer zur Finanzierung öffentlicher Güter zur Verfügung steht.

Originalveröffentlichungen

M.F. Hellwig:
The Provision and Pricing of Excludable Public Goods: Ramsey-Boiteux Pricing versus Bundling.
Discussion Paper 04-02, Sonderforschungsbereich 504, Universität Mannheim 2004.
M.F. Hellwig:
Optimal Income Taxation, Public-Goods Provision and Public-Sector Pricing: A Contribution to the Foundations of Public Economics.
Preprint No. 04-14, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn 2004.
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