Die letzten Stunden eines Kometen

Bevor ISON an der Sonne vorbeiraste, stellte er die Produktion von Staub und Gas ein

Wird er den Kamikaze-Flug überleben? Diese Frage stellten sich am 28. November vergangenen Jahres Tausende, die den feurigen Ritt des Kometen ISON um die Sonne verfolgten. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung haben nun die Aktivität des Kometen in seinen letzten Stunden rekonstruiert: Demnach hörte ISON bereits vor seiner Sonnenpassage auf, Staub ins All zu spucken. Die neue Analyse basiert auf Daten des Spektrografen Sumer an Bord der Raumsonde Soho.

Als der Komet ISON im Herbst 2012 entdeckt wurde, war schnell die Rede von einem Jahrhundertkometen. Nur 1,8 Millionen Kilometer sollten den Schweifstern am 28. November 2013 von der Sonne trennen. Wegen seiner großen Helligkeit und der frühen Entdeckung versprach ISON ein dankbares Forschungsobjekt zu werden – und, sollte er den Sonnenvorbeiflug überstehen, eine beeindruckende Himmelserscheinung in der folgenden Adventszeit.

Doch dazu kam es nicht: Schon Stunden vor der Sonnenpassage verblasste der Schweif des Kometen zusehends. Nach und nach wurde klar, dass ISON seine Aktivität eingestellt oder sich ganz und gar in Gas und Staub aufgelöst hatte.

Was genau am 28. November geschah, ist noch immer unklar. Zerbrach der Komet, bevor er den sonnennächsten Punkt erreichte? Oder hielt er der unbeschreiblichen Hitze noch etwas länger Stand? Verbarg sich unter dem Staubschweif, der sich nach dem Vorbeiflug zeigte, gar noch ein fester Kern?

„Unsere Messungen und Rechnungen deuten darauf hin, dass ISON bereits vor dem Sonnenvorbeiflug die Puste ausging“, sagt Werner Curdt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Leiter der neuen Studie. Demnach gab es etwa 8,5 Stunden, bevor der Komet an der Sonne vorbeifliegen sollte, einen kurzen heftigen Ausbruch, der eine größere Staubmenge freisetzte. Danach kam die Staubproduktion innerhalb weniger Stunden endgültig zum Erliegen.

Schlüssel zu den neuen Rechnungen waren Fotos des Staubschweifs, welche die Max-Planck-Forscher am 28. November zwischen 17.56 und 18.01 Uhr, also zum Zeitpunkt des Vorbeiflugs, mit dem Instrument Sumer (Solar Ultraviolet Measurements of Emitted Radiation) an Bord des Sonnenobservatoriums Soho (Solar and Heliospheric Observatory) aufnahmen.

Bereits Stunden zuvor hatten beeindruckende Bilder des Koronografen Lasco (Large Angle and Spectrometric Coronagraph), der ebenfalls mit Soho um die Sonne kreist, den langgezogenen Schweif des heranrasenden Kometen gezeigt. Um Strukturen in der Umgebung des alles überstrahlenden Sterns sichtbar zu machen, blendet das Instrument die Sonnenscheibe aus – ähnlich wie eine künstliche Sonnenfinsternis. ISONs Flugroute führte den Kometen jedoch so nah an unser Zentralgestirn heran, dass auch er in der entscheidenden Stunde hinter dieser Blende verschwand.

„Das einzige Instrument, das zu diesem Zeitpunkt brauchbare Daten von ISON lieferte, war Sumer“, sagt Curdt, der das Team dieses Instruments seit 2002 leitet. „Für alle Beteiligten war dies eine riesige Herausforderung“, fügt er hinzu. Das Aufspüren vergleichsweise lichtschwacher Kometen gehört in der Regel nicht zu den Aufgaben des Instruments. Vielmehr wurde der Spektrograf entwickelt, um das Licht aus der Atmosphäre der Sonne in seine einzelnen Wellenlängen zu zerlegen und auf diese Weise Plasmaflüsse, Temperaturen und Dichten zu untersuchen.

Indem die Forscher den Eintrittsspalt für das Licht weit öffneten, konnten sie das Instrument wie eine Art Kamera betreiben – und so Bilder des Schweifs aufzeichnen. Dabei erfassten sie ultraviolette Strahlung der Wellenlänge 121,6 Nanometer – mutmaßlich an Staubteilchen reflektiertes Sonnenlicht.

Die Sumer-Aufnahmen zeigen einen leicht gekrümmten, spitz zulaufenden Schweif mit einer Länge von mindestens 240000 Kilometern. Anzeichen für einen besonders hellen Bereich an der vorausberechneten Kometenposition, der auf einen aktiven Kern deuten könnte, finden sich nicht. Um zu verstehen, welche Prozesse diese Schweifform erzeugten, verglichen die Forscher die Bilder in einem nächsten Schritt mit Simulationsrechnungen. Darin berechneten sie die Gestalt des Schweifs unter bestimmten Annahmen für die Größe der Staubteilchen, ihre Geschwindigkeit sowie den Zeitpunkt ihres Austritts.

„Unter der Annahme, dass ISON während der Sumer-Beobachtungen noch aktiv war, ließen sich die Bilder nicht rekonstruieren“, erklärt Kometenforscher und Koautor Hermann Böhnhardt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, der bei dem aktuellen ESA-Projekt Rosetta wissenschaftlicher Leiter der Landemission ist. Den Rechnungen zufolge muss ISON seine Staubproduktion bereits Stunden zuvor eingestellt haben.

Ob der Kern sich zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig aufgelöst hatte, sei nicht zweifelsfrei zu klären, so Böhnhardt. Einiges spreche dafür – etwa der deutliche Anstieg der Staubproduktion rund 8,5 Stunden zuvor. Nach den Berechnungen der Forscher muss der Komet zu diesem Zeitpunkt ungefähr 11500 Tonnen Staub emittiert haben. Diese Menge würde zusammengeballt eine Kugel mit einem Durchmesser von 280 Metern ergeben.

Möglicherweise sind einzelne inaktive Bruchstücke des Kerns übriggeblieben. Irgendwelche Lebenszeichen wurden jedoch nicht beobachtet. Und die Reste des Kometen werden sich in den Weiten des Weltalls verlieren, günstigenfalls als Sternschnuppen auftauchen.

BK / HOR

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