Kleine Moleküle machen Stimmung

Kleines Molekül könnte bei der Entwicklung von besseren Medikamenten helfen oder als Biomarker zur Diagnose von psychischen Erkrankungen dienen

19. Juni 2014

Ein Zusammenhang zwischen der Fehlregulation des Serotoninhaushalts im Gehirn und psychischen Erkrankungen ist seit langem bekannt. Aber über die Ursachen und molekularen Mechanismen weiß man noch wenig. Wissenschaftler des „Max Planck – Weizmann Labors für experimentelle Neuropsychiatrie und Verhaltensneurogenetik“ haben nun erstmals einen Zusammenhang zwischen bestimmten Molekülen (miRN135) und zwei zentralen Faktoren im Serotoninhaushalt beobachtet. Diese Erkenntnisse könnten die Grundlage zum besseren Verständnis von psychischen Erkrankungen, die mit Fehlregulation des Serotoninhaushalts in Verbindung stehen, bilden und bei der Entwicklung von neuen Medikamenten oder als Biomarker wichtig sein.

Wissenschaftler des „Max Planck – Weizmann Labors für experimentelle Neuropsychiatrie und Verhaltensneurogenetik“, das von Alon Chen, Direktor am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, geleitet wird, haben das Serotoninsystem im Gehirn untersucht. Serotonin ist ein Botenstoff, der von speziellen Nervenzellen im Gehirn produziert wird und beispielsweise Appetit, Schmerzempfinden oder Gefühlsregungen beeinflusst. Eine fehlerhafte Steuerung des Serotoninsystems wird generell mit Depression oder Angststörungen in Verbindung gebracht und ist der Angriffspunkt vieler Antidepressiva.

Alon Chen und sein Team haben die Funktion von microRNAs in denjenigen Nervenzellen untersucht, die Serotonin produzieren. MicroRNAs sind sehr kurze, nicht-kodierende RNA-Moleküle, die verschiedenste Vorgänge in Zellen regulieren. Die Forscher haben nun zum ersten Mal eine spezielle microRNA identifiziert (miR135), welche die Expression von zwei Proteinen aus dem Serotoninsystem abschwächt. Das eine Protein, der Serotonintransporter SERT, ist der Angriffspunkt der meisten derzeit verfügbaren Antidepressiva. Das zweite Protein, der Rezeptor HTR1A, hemmt serotoninproduzierende Nervenzellen. Vermutlich ist HTR1A für die häufig beobachteten verzögerten Effekte von Medikamenten gegen Depression verantwortlich, die auf das Serotoninsystem wirken. Durch eine geringere Menge an SERT und HTR1A steigt der Serotoninspiegel im Gehirn. Das entspricht dem Wirkmechanismus von gängigen Antidepressiva und dem durch sie verursachten Abklingen der depressiven Symptome.

In Mäusen konnte ein deutlicher Anstieg an miR135 nach der Gabe von Antidepressiva beobachtet werden. Außerdem reagierten genetisch veränderte Mäuse, die entweder erhöhte oder verminderte Mengen an miR135 produzierten, sehr verschieden in Verhaltenstests und zeigten unterschiedliche Reaktionen auf Antidepressiva. Mäuse, die in den serotoninproduzierenden Nervenzellen erhöhte Mengen an miR135 aufwiesen, waren gegenüber chronischem sozialem Stress weniger anfällig. Umgekehrt zeigten Mäuse mit niedrigerem miR135-Level depressionsähnliche Verhaltensweisen und Antidepressiva wirkten schwächer. Übereinstimmend mit diesen Daten aus Tiermodellen wurden in Zusammenarbeit mit Elisabeth Binder, Direktorin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, verminderte Mengen an miR135 in Blutproben von depressiven Patienten gefunden.

„Unsere Beobachtungen bei Mäusen wiesen darauf hin, dass das körpereigene Molekül miR135 unsere Gefühlsregungen und die Anfälligkeit für Depression beeinflusst. Nach unseren weiteren Ergebnissen könnte miR135 möglicherweise als Biomarker für den Schweregrad einer Depression oder für die Wirksamkeit von Medikamenten bei Patienten dienen“, sagt Orna Issler, eine ehemalige Doktorandin von Alon Chen und Erstautorin der aktuellen Studie. Diese Erkenntnisse könnten die Grundlage zum besseren Verständnis von psychischen Erkrankungen, die mit Fehlregulation des Serotoninhaushalts in Verbindung stehen, bilden und bei der Entwicklung von neuen Medikamenten oder als Biomarker wichtig sein.

Laut der WHO befinden sich psychische Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen weltweit unter den häufigsten gesundheitlichen Problemen. Etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung leiden unter psychischen Beschwerden aber die Ursachen und molekularen Mechanismen sind noch weitgehend unbekannt. Bei zwischen 30 und 40 Prozent der Patienten sprechen die derzeit verfügbaren Medikamente nicht an. Bei den übrigen 60 bis 70 Prozent wirken die Antidepressiva nur bedingt und die Patienten müssen die Medikamente über einen langen Zeitraum einnehmen, bis überhaupt ein merklicher Effekt eintritt. Außerdem ist die Einnahme von heutigen Antidepressiva mit vielen Nebenwirkungen verbunden. Neue und vor allem besser wirkende Medikamente werden demnach dringend benötigt. Dafür ist es besonders wichtig, die Mechanismen und Grundlagen zu verstehen, die psychischen Erkrankungen verursachen.

AN/HR

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