Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Physik

Anzeichen für Quark-Materie in hochenergetischen Kollisionen schwerer Atomkerne

Autoren
Eckardt, Volker; Putschke, Jörn; Schmitz, Norbert; Seyboth, Janet; Seyboth, Peter; Simon, Frank
Abteilungen

Prof. Dr. Norbert Schmitz (Prof. Dr. Norbert Schmitz)
MPI für Physik, München

Zusammenfassung
Die Energie und Materie des Weltalls, aber auch Raum und Zeit selbst, sind - so sagt das heutige Kosmologische Standardmodell - vor ca. 14 Milliarden Jahren in einem gewaltigen Urknall entstanden. Kurze Zeit danach bestand die hadronische Materie aus einem extrem heißen und dichten Gas quasifreier Quarks und Gluonen auf kleinstem Raum. Diesen ungewöhnlichen Materiezustand - Quark-Gluon-Plasma genannt - versucht man heute in hochenergetischen Kollisionen schwerer Atomkerne an großen Teilchenbeschleunigern künstlich herzustellen und zu erforschen.

An zweien dieser Experimente, in Genf und in Brookhaven, ist eine experimentelle Gruppe des Max-Planck-Instituts für Physik maßgeblich beteiligt. Beide Experimente haben bisher Ergebnisse geliefert, die auf die kurzzeitige Erzeugung des Quark-Gluon-Plasmas hindeuten.

Grundlagen

Seit Jahren werden in einem umfangreichen Forschungsprogramm am Super-Proton-Synchrotron (SPS) des Europäischen Laboratoriums für Teilchenphysik (CERN) in Genf und am Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) des Brookhaven National Laboratory (BNL) auf Long Island (USA) in großen internationalen Kollaborationen Experimente zur hochenergetischen Schwer-Ionen-Physik durchgeführt. In ihnen werden schwere Atomkerne (Ionen) auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und bei den höchsten zurzeit mit Teilchenbeschleunigern erreichbaren Energien aufeinander geschossen. In einer solchen Kollision zweier Kerne entsteht für kurze Zeit (~10-23s) innerhalb eines kleinen Volumens von der ungefähren Größe eines schweren Atomkerns (Radius ~10-12 cm) heiße, hoch verdichtete Materie - anschaulich "Feuerball" genannt -, wie sie in unserer normalen Umgebung nicht anzutreffen ist. Ziel dieser Experimente ist es, Kernmaterie unter diesen extremen Bedingungen von Temperatur und Dichte zu erforschen und insbesondere einen neuen, bisher nicht beobachtbaren Materiezustand - Quark-Gluon-Plasma genannt (siehe unten) - zu entdecken und seine Eigenschaften zu untersuchen. Im Zusammenhang damit gilt es, den räumlichen und zeitlichen Ablauf von hochenergetischen Kern-Kern-Kollisionen kennen zu lernen. An zweien dieser Experimente, dem NA49-Experiment am SPS und dem STAR-Experiment am RHIC, ist eine Gruppe der Abteilung Experimentalphysik des MPI für Physik maßgeblich beteiligt.

Wie läuft eine hochenergetische Kollision zweier schwerer Kerne im einzelnen ab? Nähere Vorhersagen hierüber macht das so genannte Standardmodell der Teilchenphysik, das die Eigenschaften der Elementarteilchen, der kleinsten Bausteine der Materie, und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte in exzellenter Übereinstimmung mit den experimentellen Messungen im Detail beschreibt. Bekanntlich sind Atomkerne (Kernmaterie) aus Protonen und Neutronen (Nukleonen) zusammengesetzt, die gemeinsam mit anderen Baryonen und den Mesonen die große Teilchenfamilie der Hadronen bilden. Die Hadronen ihrerseits bestehen aus punktförmigen Quarks, Antiquarks und Gluonen - zusammen Partonen genannt. Dabei werden die (Anti-)Quarks z.B. in einem Nukleon durch so genannte "Farbkräfte" zusammengehalten, die von den Gluonen ("Leimteilchen") übertragen werden und nach der Theorie der Quantenchromodynamik (QCD) so beschaffen sind, dass freie, ungebundene (Anti-)Quarks in der normalen Materie nicht auftreten. Diese "Einkerkerung" der (Anti-)Quarks in einem Nukleon (Hadron) wird "Confinement" genannt.

Wird Kernmaterie jedoch - z.B. in einer hochenergetischen zentralen Kern-Kern-Kollision (A+A-Kollision) - extrem stark komprimiert und erhitzt, so sollte nach der QCD-Theorie bei einer kritischen Temperatur und Teilchendichte ein Phasenübergang von hadronischer Materie zu partonischer Materie stattfinden (vergleichbar mit dem Übergang des schmelzenden Wassers (Eises) vom festen in den flüssigen Zustand): Das Confinement der Quarks wird aufgehoben - ein Vorgang, der "Deconfinement" genannt wird -, sodass die Nukleonen ihre individuelle Stabilität verlieren, sich auflösen ("schmelzen") und so ein dichtes, heißes Plasma aus quasi-freien (Anti-)Quarks und Gluonen, ein Quark-Gluon-Plasma (QGP) entsteht. In ihm finden zahlreiche verschiedene Reaktionen der Partonen miteinander statt, sodass, falls das QGP lange genug existiert, ein thermodynamisches Gleichgewicht der verschiedenen Freiheitsgrade (z.B. der verschiedenen Quarkarten) eintreten kann. Ein solcher QGP-Zustand der Materie kommt auf der Erde unter normalen Bedingungen nicht vor. Wohl aber ist es nach der modernen Kosmologie derjenige Zustand, in dem sich unmittelbar nach dem Urknall für kurze Zeit (einige 10-6s) das ganze Universum befunden hat, als es noch sehr klein, heiß und dicht war.

Nach seiner Entstehung dehnt sich der QGP-Feuerball infolge seines inneren Drucks wieder aus und kühlt sich dabei ab; es findet ein umgekehrter Phasenübergang statt, in dem die Partonen in zahlreiche Hadronen "ausfrieren" (hadronisieren); dieses sich weiter ausdehnende und abkühlende Hadronengas löst sich schließlich in eine Vielzahl (bei RHIC-Energien mehrere Tausend, siehe Abb. 1) neu erzeugter, frei auseinander fliegender Teilchen auf - hauptsächlich Mesonen (z.B. Pionen, Kaonen) -, deren Masse und Energie aus der ursprünglichen Energie der kollidierenden Kerne stammt und die in großen Teilchendetektoren nachgewiesen und vermessen werden können.

Die schwierige Aufgabe eines Experiments besteht nun darin, durch die physikalische Analyse der Messungen möglichst vieler Kollisionsereignisse die verschiedenen theoretischen Vorstellungen zu überprüfen, d.h. zum Beispiel, zurückzuschließen auf den Anfangszustand des bei der Kollision entstandenen Feuerballs - wird ein QGP gebildet oder nicht? - und auf seine weitere Entwicklung in Raum und Zeit.

Das NA49-Experiment

Im NA49-Experiment am CERN-SPS wurde u.a. ein Strahl von Blei (Pb)-Kernen (A = 208 Nukleonen) auf eine stationäre Bleifolie geschossen, und zwar mit einer Strahlenergie pro Nukleon von Estr = 158 GeV; dies entspricht einer Schwerpunktsenergie von √sNN = 17.3 GeV pro kollidierendem Nukleonenpaar. Zusätzlich wurden auch Daten bei einigen niedrigeren Energien genommen, nämlich bei Estr = 20, 30, 40 und 80 GeV (entsprechend √sNN = 6.3, 7.6, 8.8 und 12.3 GeV). Dies erlaubte es, die Energieabhängigkeit verschiedener physikalischer Größen zu messen und ggf. vorhandene Abweichungen von einem glatten, monotonen Verlauf als mögliche Signatur für einen QCD-Phasenübergang, also die Bildung eines QGPs zu beobachten (siehe unten).

Zum NA49-Detektor, einem großen, aus verschiedenen Komponenten bestehenden Teilchenspektrometer mit hoher räumlicher Akzeptanz, hat das MPI für Physik u.a. zwei Kalorimeter zur Energiemessung und zwei große quaderförmige (3.9×3.9×1.8 m3) Spurendriftkammern (Time Projection Chambers, TPCs) zur Messung der Flugbahnen ("Spuren") geladener Teilchen beigetragen. Eine TPC ist ein mit einem Gas gefüllter Behälter, in dem ein hindurch fliegendes Teilchen entlang seiner Bahn das Gas ionisiert. Die Ionisationselektronen driften in einem angelegten elektrischen Feld auf eine in kleine Segmente unterteilte Ausleseebene und erzeugen dort elektrische Pulse, die elektronisch verstärkt, auf Datenträger gespeichert und später von leistungsfähigen Computern zu vollständigen Spuren verarbeitet werden. Hierbei ergeben sich die drei räumlichen Koordinaten eines Spurpunktes aus dem Auftreffpunkt der Driftelektronen auf benachbarten Segmenten in der Ausleseebene (x,y) und bei bekannter Driftgeschwindigkeit aus ihrer Driftzeit vom Spurpunkt zur Ausleseebene (z). Auf diese Weise kann eine TPC eine große Anzahl von Teilchenspuren eines Ereignisses mit hoher räumlicher Auflösung gleichzeitig registrieren (Abb. 1).

Aus der Vielzahl an Physikresultaten aus NA49, die seit 1995 zu zahlreichen Veröffentlichungen geführt haben, sollen im Folgenden zwei Ergebnisse aus jüngster Zeit kurz beschrieben werden.

Im Laufe seiner Entwicklung durchläuft der heiße Feuerball die Phase eines Hadronengases (HG), das sich aus Teilchen der verschiedenen Hadronenarten zusammensetzt und im Falle eines Gleichgewichts durch thermodynamisch-statistische Modelle beschrieben werden kann. Die von einem solchen Modell für die einzelnen Hadronenarten vorhergesagten mittleren Multiplizitäten (Multiplizität = Anzahl der in einem Ereignis erzeugten Teilchen) können mit den gemessenen mittleren Multiplizitäten verglichen werden. Wie Abbildung 2 zeigt, stimmen die vorhergesagten (horizontale Skala) und gemessenen (vertikale Skala) Werte gut überein. Für die Gleichgewichtstemperatur des HGs ergab sich aus dem Vergleich ein Wert von ca. T ≈ 160 MeV/k ≈ 2 × 1012 K (K = Kelvin).

Für die Suche nach dem QGP ist die Erzeugung von Hadronen mit der Eigenschaft "Seltsamkeit" von besonderem Interesse. Seltsame Hadronen (Kaonen, Hyperonen) sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ein oder mehrere seltsame Quarks (s-Quarks) - eine der sechs Quarkarten - enthalten. Energetisch ist es viel leichter, in einem QGP durch Partonenreaktionen s-Quarks, die dann mit anderen Quarks zu seltsamen Hadronen ausfrieren, als in einem HG durch Hadronenreaktionen seltsame Hadronen direkt zu erzeugen. Das häufigere Auftreten von seltsamen Hadronen in A+A-Kollisionen, verglichen mit Proton-Proton (p+p)-Stößen, ist deshalb eine wichtige Signatur für die Bildung eines QGPs.

Das mittlere Feld der Abbildung 3 zeigt das Verhältnis der mittleren Multiplizitäten der erzeugten positiven Kaonen (seltsam) und Pionen (nicht-seltsam) in Abhängigkeit von einer Größe F, die ein Maß für die Kollisionsenergie √sNN ist. Die Quadrate sind NA49-Messwerte aus zentralen Pb+Pb-Kollisionen bei den fünf oben genannten Energien; außerdem sind Messungen bei niedrigeren Energien (Dreiecke aus Au+Au am Alternating Gradient Synchrotron (AGS) des BNL) und höheren Energien (volle Kreise aus Au+Au am RHIC) eingetragen. Zum Vergleich werden auch Werte aus p+p-Reaktionen gezeigt (offene Kreise). Der Vergleich zeigt für A+A-Reaktionen (a) eine relative Verstärkung der Kaonen-Erzeugung und (b) eine stark nicht-monotone Energieabhängigkeit des K-Verhältnisses mit einem ausgeprägten Maximum bei Estr ≈ 30 GeV. Beide Beobachtungen weisen auf eine QGP-Bildung hin, die schon bei relativ niedrigen SPS-Energien einsetzt.

Die beiden übrigen Felder der Abbildung 3 stützen dieses Ergebnis: Die mittlere Pionen-Multiplizität pro an der Kollision teilnehmendem Nukleon (oberes Feld) steigt für A+A- und p+p-Reaktionen mit wachsender Energie an, wobei für A+A die Steilheit des Anstiegs im SPS-Energiebereich zunimmt und dann bis zu RHIC-Energien konstant bleibt. Die effektive Kaonen-Temperatur (unteres Feld) steigt mit zunehmender Energie zunächst steil an, durchläuft im SPS-Bereich ein energieunabhängiges Plateau und wächst danach weiter an. (Dieser Temperaturverlauf ähnelt demjenigen beim Phasenübergang z.B. von Eis zu Wasser). Hierbei tragen zur effektiven Temperatur die ungeordnete thermische Bewegung der Teilchen (hier: Kaonen) in einem Gas und ihre geordnete kollektive Bewegung infolge der Expansion des Feuerballs bei.

Das STAR-Experiment

Am RHIC des BNL, der im Jahre 2000 in Betrieb ging, lassen sich wesentlich höhere Kollisionsenergien (Faktor ~12) als am CERN-SPS erzielen, nämlich bis zu √sNN = 200 GeV pro Nukleonenpaar (mit Estr ≈ 100 GeV). Dies wird dadurch erreicht, dass zwei in Teilchenbündeln unterteilte Strahlen von Gold (Au)-Kernen (A = 197), die in zwei kreisförmigen Vakuumröhren mit 3.8 km Umfang in entgegengesetzter Richtung umlaufen, in sechs Kreuzungspunkten (Wechselwirkungszonen) gegeneinander gelenkt werden. Bei jeder Begegnung zweier Bündel finden zahlreiche Au+Au-Kollisionen statt.

Bei den höheren RHIC-Energien erwartet man in Folge der längeren Lebensdauer der QGP-Phase ein deutlicheres Hervortreten einiger QGP-Signaturen und ein leichteres Erreichen des thermodynamischen Gleichgewichts sowie das Auftreten harter partonischer Prozesse in der Anfangsphase des Feuerballs.

STAR ist ein 1200 t schwerer, einige Stockwerke hoher und aus mehreren Komponenten bestehender Detektor, der um eine der RHIC-Wechselwirkungszonen herum aufgebaut wurde. Sein wichtigster Bestandteil ist eine große zylindrische TPC. (Mit ihr wurden z.B. die Spuren in Abbildung 1 aufgenommen.) Der Beitrag des MPI für Physik sind zwei identische kleinere TPCs, FTPC (Spurendriftkammer) genannt und in Abbildung 4 dargestellt, die rechts und links von der Wechselwirkungszone um das Strahlrohr herum installiert sind und dazu dienen, diejenigen Teilchen zu erfassen, die unter kleinem Winkel zur Strahlrichtung erzeugt werden. Die Besonderheit dieser beiden Kammern gegenüber einer üblichen TPC besteht darin, dass die elektrischen Feldlinien nicht parallel zueinander (und zum Magnetfeld), sondern radial (und senkrecht zum Magnetfeld) verlaufen, sodass die Elektronen nicht auf eine ebene, sondern auf eine zylindrische Auslesefläche driften. Abbildung 5 zeigt die Spuren eines Au+Au-Ereignisses, die aus den Messungen einer FTPC rekonstruiert wurden.

Von den zahlreichen bisherigen Ergebnissen aus STAR soll als besonders interessantes Phänomen das jüngst entdeckte Jet-Quenching kurz besprochen werden: Bei den hohen Stoßenergien von RHIC können in der Frühphase des Feuerballs die in den einlaufenden Nukleonen enthaltenen Partonen hart aneinander gestreut werden, wobei die beiden gestreuten energiereichen Partonen die Kollision häufig in entgegengesetzter Richtung zueinander verlassen. Normalerweise, z.B. in p+p-Kollisionen, hadronisieren solche energiereichen Partonen in zwei enge Bündel von Hadronen, Jets genannt. Findet die Parton-Parton-Kollision jedoch in einem dichten in einer A+A-Kollision erzeugten QGP in der Nähe von dessen Oberfläche statt, so kann nur das eine Parton (Jet) das Plasma auf kurzem Wege verlassen, während das andere das ganze Plasma durchqueren muss, dabei durch Wechselwirkungen im Plasma einen Großteil seiner Energie verliert und daher nicht mehr als Jet beobachtet werden kann.

Diese Jet-Unterdrückung (Jet-Quenching) wurde erstmals in Au+Au-Kollisionen am RHIC von STAR beobachtet: Abbildung 6 zeigt für p+p-Stöße (schwarze Balken) zwei Teilchenanhäufungen bei 0° und 180°, also zwei Jets in entgegengesetzten Richtungen; für zentrale Au+Au-Stöße (blaue Sterne) dagegen fehlt der 180°-Jet, ein klarer Hinweis auf Jet-Quenching. Um diese Interpretation der Messungen zu bestätigen, hat STAR auch Kollisionen von Deuteronen d (bestehend aus nur zwei Nukleonen, nämlich einem Proton und einem Neutron, A = 2) mit Au-Kernen gemessen. Wegen der Kleinheit des Deuterons kann in d+Au-Kollisionen kein QGP entstehen und somit kein Jet-Quenching stattfinden. Und tatsächlich werden beide Jets beobachtet, wie Abbildung 6 (rote Punkte) zeigt.

Schlussbemerkung

Die Auswertung der STAR-Daten wird noch fortgesetzt. An der Schwer-Ionen-Physik am zukünftigen Large Hadron Collider (LHC) des CERN (ab 2007) bei noch höheren Energien (√sNN = 5500 GeV) nimmt das MPI für Physik nicht mehr teil.

[1] V. Eckardt, N.Schmitz, P.Seyboth: Schwerionenphysik am RHIC, Physik Journal 1, Nr.11, S.55 (2002).

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