Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht

Prävention von Wirtschaftskriminalität

Autoren
Sieber, Ulrich; Engelhart, Marc
Abteilungen
Strafrechtliche Abteilung (Ulrich Sieber) / Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg
Zusammenfassung
Eignen sich freiwilligige Verhaltenskodizes von Unternehmen, sogenannte Compliance-Programme, als neue „zweite Spur“ zur Verhinderung von Wirtschaftskriminalität? Forscher am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht analysieren die aktuelle Compliance-Entwicklung und die Effektivität verschiedener kriminalpolitischer Strategien in Deutschland. In ihrer Studie zeigen sie neue Präventionskonzepte, die ein reformiertes Wirtschaftsstrafrecht mit einem System der staatlich-privaten Koregulierung verbinden.

Wirtschaftskriminalität, Compliance und staatliche Regulierung

Dem Bundesrat liegt derzeit ein Gesetzentwurf vor, der das bisherige Ordnungswidrigkeitenrecht mit seinen Geldbußen durch ein Unternehmensstrafrecht mit Kriminalstrafen gegen Unternehmen ersetzen soll. Die Initiative zielt auf eine effektivere Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Sie belebt nicht nur die alte strafrechtsdogmatische Diskussion wieder, ob das – auf Handlungsfähigkeit und Schuld natürlicher Personen beruhende – klassische Strafrecht auch gegen juristische Personen eingesetzt werden kann. Sie wirft auch die rechtstatsächliche Frage auf, ob das Wirtschaftsstrafrecht gegenüber anderen (ordnungswidrigkeitenrechtlichen und zivilrechtlichen) Rechtssystemen die effektivere Regelung ist.

Rechtsvergleichende Untersuchungen des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zum US-amerikanischen Wirtschaftsstrafrecht zeigten demgegenüber aber noch grundsätzlichere Veränderungen und Optionen. Deren Potenzial zur Kriminalitätsprävention geht weit über den bloßen Wechsel von einem ordnungswidrigkeitenrechtlichen zu einem strafrechtlichen Präventionssystem hinaus: Der bisher eher begrenzte Erfolg des staatlichen Wirtschaftsstrafrechts wirft die sehr viel radikalere Frage auf, ob das klassische staatliche Rechtssystem durch ein neues „selbstreguliertes“ Normensystem der Unternehmen ergänzt werden sollte. Dabei werden unternehmerische Verhaltenskodizes – so genannte Compliance-Regelungen – durch private Akteure geschaffen und durchgesetzt, aber auch gleichzeitig mit dem staatlichen Rechtssystem verknüpft und koordiniert.

Hier ergeben sich vor allem vier Forschungsfragen: Was sind Compliance-Programme? Können diese aus den USA stammenden Programme tatsächlich zu einer wirksamen „zweiten Spur“ bei der Verhinderung von Wirschaftskriminalität werden, oder sind sie bloßes „window dressing“ zur Verbesserung der Unternehmensreputation? Wie lässt sich bei einer positiven Beurteilung erreichen, dass Compliance-Systeme von Unternehmen auch tatsächlich eingesetzt werden? Und wie kann das staatliche Strafrechtssystem angepasst werden, damit es nicht nur als solches wirksamer wird, sondern auch mit der Prävention durch Compliance-Programme harmoniert und aus der Kombination beider Systeme ein Mehrwert entsteht?

Empirische Studie zu Compliance und Prävention von Unternehmenskriminalität

Voraussetzung für kriminalpolitische Reformvorschläge zur Verhinderung von Wirtschaftskriminalität sind neben rechtlichen Überlegungen auch verlässliche empirische Daten. Zu Compliance-Programmen und deren Wirkung liegen bislang allerdings nur wenige Untersuchungen vor. Die Studie „Compliance-Programme zur Verhütung von Wirtschaftskriminalität“ der strafrechtlichen Abteilung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht trägt dazu bei, diese Forschungslücke zu schließen. Neben Inhalt und Umfang der Compliance-Systeme in Deutschland untersuchten die Forscher auch die Effektivität der verschiedenen gesetzgeberischen Handlungsmöglichkeiten zur Verhütung von Wirtschaftskriminalität. Von Ende 2012 bis Ende 2013 wurden in zwei Umfragen jeweils über 5.000 in Deutschland tätige Unternehmen aller Größenordnungen und Branchen nach ihrer Umsetzung von Compliance-Programmen und ihrer Bewertung verschiedener Strategien zur Verhinderung von Wirtschaftskriminalität befragt. Mehr als jeweils 140 detaillierte Antworten von hochrangigen Führungspersonen aus fast 150 Unternehmen erbrachten wichtige Anhaltspunkte.

Compliance-Programme sind verbreitet und wirksam, aber weiter zu optimieren

Die Studie zeigte zunächst, dass Compliance-Programme inzwischen in weitem Umfang Einzug in die deutschen Unternehmen gehalten haben. Dies gilt vor allem für große und börsennotierte Firmen. Bei allen Unternehmen steht seit dem Siemens-Bestechungsskandal die Korruptionsbekämpfung an erster Stelle. Große Unternehmen setzen Compliance-Programme darüber hinaus jedoch auch gegen andere Delikte ein, insbesondere Betrug, Diebstahl, Datenschutzverletzungen, Kartell­delikte, Bilanzmanipulationen, arbeitsrechtliche Verstöße, Urheberrechtsdelikte, Verletzungen der Produktsicherheit, Geldwäsche, Exportkontrollen, Umweltdelikte. Die eingesetzten Programme verbessern vor allem den „tone of the top“ (die ethische Vorbildfunktion der Führungspersonen), die moralischen Standards im Unternehmen, die Informationspolitik gegenüber den Angestellten, interne Kontrollen und Sanktionen, Compliance-Abteilungen und Compliance-Training, den Schutz von Whistleblowern, das Berichtswesen, die Mitarbeiterüberprüfung und die externe Revision. Nach zahlreichen spektakulären Strafverfahren haben inzwischen besonders größere Unternehmen ihr Eigeninteresse an einer Kriminalprävention durch Compliance erkannt.

Die befragten Führungspersonen bewerteten Compliance-Programme im Vergleich mit sonstigen rechtlichen Lösungsansätzen (Strafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, Zivilrecht) als die wirksamste Präventionsmaßnahme. Die Antworten machten aber gleichzeitig deutlich, dass die bisher eingesetzten Programme weiter optimiert werden können, vor allem im Hinblick auf die Aufdeckung von begangenen Straftaten. Die deutsche Kriminalpolitik sollte daher auf derartige Systeme nicht verzichten und sie in ihr kriminalpolitisches Programm integrieren.

Effektive Anreizstrukturen für Compliance sind verfügbar

Einer bloßen Verpflichtung der Unternehmen zur Einführung von Compliance-Programmen wurde von den befragten Unternehmen allerdings nur begrenzte Wirkung bescheinigt. Als wirksamste Maßnahmen bewerteten die Unternehmensvertreter die Verpflichtung zur Schaffung bestimmter Sanktionsmaßnahmen, die ihrerseits mit strafrechtlichen Sanktionen bewehrt wird.

Da die Effektivität von Präventionsmaßnahmen oft stark von den Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens abhängt, können sie in vielen Bereichen allerdings nicht mit der für gesetzliche Regelungen notwendigen Bestimmtheit definiert werden. Weit gefasste, starre Compliance-Pflichten würden die Unternehmen zudem erheblich belasten. Umfang und Ausgestaltung von Compliance-Maßnahmen sollten daher zumindest teilweise der Selbstregulierung der Unternehmen überlassen bleiben.

Die Führungskräfte wurden deshalb auch nach der Wirksamkeit von anderen, insbesondere flexibleren Regelungsformen befragt, die den Unternehmen einen größeren Freiraum bewahren. Die höchste Bewertung erhielt dabei ein System, das strafrechtliche Sanktionen gegen das Unternehmen nur bei tatsächlich begangenen Straftaten der Mitarbeiter verhängt, beim Bestehen eines geeigneten Compliance-Programms jedoch auf Unternehmenssanktionen verzichtet. Aufgrund seiner Koppelung an das staatliche Strafrecht hängt die Effektivität eines solchen Compliance-Systems mit seinen Privilegierungen allerdings stark von der rechtlichen Ausgestaltung ab.

Unternehmensstrafen sind die wirksamste staatliche Regulierungsform

Die Studie erstreckte sich daher auch auf die allgemeine Konzeption des staatlichen Wirtschaftsstrafrechts, wobei sowohl die Sanktionsformen als auch seine Adressaten betrachtet wurden. Die Befragten schätzten strafrechtliche Sanktionen als am effektivsten ein, an zweiter Stelle folgten zivilrechtliche Sanktionen. Das in Deutschland derzeit für Unternehmenssanktionen allein zur Verfügung stehende Ordnungswidrigkeitenrecht wurde dagegen deutlich schlechter bewertet. Dies spricht dafür, dass die – kontrovers diskutierte – Abschreckungswirkung des Wirtschaftsstrafrechts tatsächlich besteht.

Untersucht wurde auch, gegen wen, mit welchen Maßnahmen und mit welchem Erfolg das klassische staatliche Wirtschaftsstrafrecht am effektivsten eingesetzt werden kann: Sanktionen gegen den unmittelbar handelnden Täter wurden als deutlich wirksamer bewertet als solche gegen Vorgesetzte und Unternehmen. Dagegen beurteilten die Befragten Sanktionen gegen Unternehmen nicht wesentlich anders als die gegen Vorgesetzte des Täters. Für die Frage nach dem Adressaten von Sanktionsnormen ergibt sich daraus: Im Fokus der Sanktionierung sollte –der unmittelbar handelnde Täter stehen – nicht nur aus dogmatischen Gründen, sondern auch aus Gründen der Effektivität. Vorgesetztenverantwortlichkeit und Unternehmenssanktionen können aber daneben wichtige ergänzende Funktionen haben.

Erfolgversprechende kriminalpolitische Konzepte

Für die anstehende Reform des deutschen Unternehmenssanktionsrechts empfiehlt es sich demzufolge, die bestehende Unternehmensgeldbuße durch eine Unternehmensstrafe zu ersetzen. Neben der Geldstrafe muss diese auch die – besonders effektiv beurteilte – Beschränkung von geschäftlichen Aktivitäten und den Verfall von Gewinnen aus Straftaten ermöglichen. Für Unternehmen mit effektiven Compliance-Programmen sollten jedoch bei Delikten von Mitarbeitern Strafen gegen das Unternehmen entfallen oder gemildert werden, wenn die Unternehmen ihre Aufsichtspflichten zur Kriminalitätsverhinderung grundsätzlich erfüllt haben.

Dieses System hat nicht nur eine erhöhte Abschreckungswirkung auf die Täter, sondern motiviert Unternehmen zudem, Compliance-Systeme als „zweite Spur“ zur Verhinderung von Unternehmenskriminalität zu schaffen. Die empirische Erhebung bestätigt damit ein Konzept, das am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht zuvor mit rechtsvergleichenden und dogmatischen Methoden unter Einbeziehung der entsprechenden US-amerikanischen Regelungen analysiert, rechtlich bewertet und für die deutsche Rechtsordnung weiterentwickelt worden war. Der geplante Gesetzentwurf des Bundesrates mit seinem Wechsel der Sanktionsform zu einem echten Unternehmensstrafrecht ist daher zu begrüßen, sollte jedoch noch um eine detailliertere Regelung des Compliance-Aspekts ergänzt werden.

Literaturhinweise

Sieber, U.
Compliance-Programme im Unternehmensstrafrecht – Ein neues Konzept zur Kontrolle von Wirtschaftskriminalität.

In: Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht – Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen, Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag, 449–484. (Hrsg. Sieber, U. et al.). Heymanns, Köln/München (2008)

Engelhart, M.
Sanktionierung von Unternehmen und Compliance – Eine rechtsvergleichende Analyse des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts in Deutschland und den USA.

2. Aufl., Duncker & Humblot, Berlin (2012)

Sieber, U.; Engelhart, M.
Compliance Programs for the Prevention of Economic Crimes in Germany – An Empirical Analysis.

Duncker & Humblot, Berlin (2014)

 

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