Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Ein neues Glied in der Kette der Signalübermittlung - Die Rolle von APPL und Rab5

Autoren
Zerial, Marino; Miaczynska, Marta; Christoforidis, Savvas; Giner, Angelika; Shevchenko, Anna; Uttenweiler-Joseph, Sandrine; Habermann, Bianca; Wilm, Matthias; Parton, Robert G.
Abteilungen

Zerial: Molekulare Mechanismen des intrazellulären Transports (Prof. Dr. Marino Zerial)
MPI für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden

Zusammenfassung
Jede Zelle interagiert kontinuierlich mit ihrer Umgebung und nimmt dabei Nähr- und Botenstoffe (Signale) auf oder setzt sie frei. Während Signal- oder Botenstoffe von der Zelloberfläche aus eine Kette von Reaktionen in Richtung des Zellkerns auslösen (Signalübertragung), werden Nährstoffe in der Regel durch Einstülpung und Abschnürung der Zellmembranen in die Zelle aufgenommen und zu ihrem Bestimmungsort transportiert (Endozytose). Im Mittelpunkt dieses Transportmechanismus steht eine Vielzahl von unterschiedlichen Reaktionsräumen, so genannte Kompartimente (Endosomen). Ihre Entstehung und Funktion wird durch Enzyme - kleine GTPasen der Rab-Familie - gesteuert, die für ihren Arbeitsaufwand den zellulären Energiespeicher GTP (Guanosintriphosphat) verwenden. Eine Schlüsselrolle bei der Aufnahme und dem Transport von Nährstoffen spielt die kleine GTPase Rab5. Die Arbeitsgruppe von Marino Zerial hat einen Signalübertragungsweg identifiziert, der von zellinternen Kompartimenten ausgelöst und durch die Proteine Rab5 sowie zwei direkte Interaktionspartner APPL1 und APPL2 gesteuert wird. Durch externe Botenstoffe wie zum Beispiel den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF) verlieren APPL1 und APPL2 die Verbindung zu Rab5 und wandern vom Kompartiment zum Zellkern, wo sie die molekulare Maschinerie zur Zellteilung aktivieren. Eine wesentliche Rolle scheint dabei die Interaktion von APPL1 und APPL2 mit dem Proteinkomplex NuRD/MeCP1 zu spielen, welcher eine entscheidende Kontrollfunktion für die Chromatinstruktur und die Übersetzung von Genen in Proteine erfüllt. Diese jüngst in der Zeitschrift Cell [1]publizierten Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Endosomen, die die Proteine Rab5 und APPL besitzen, notwendige Zwischenglieder in der Kette der Signalübertragung zwischen Zellmembran und Zellkern sind.

Die Daten, die die Forscher um Marino Zerial aus ihren Untersuchungen erhalten haben, belegen die grundlegende Rolle der APPL-Proteine bei der Signalübermittlung, um Zellvermehrung (Proliferation) auszulösen. Mithilfe welcher Mechanismen führen die APPL-Proteine jedoch diese Funktion genau aus? Zwei wichtige Hinweise zur Beantwortung dieser Frage lieferte die Beobachtung, dass die APPL-Proteine zwischen dem Zellkern und dem Zytoplasma pendeln und außerdem mit dem Proteinkomplex NuRD/MeCP1 in Interaktion treten. Dieser Komplex weist eine Histon-Deacetylasen- und Chromatinaufbau-Aktivität auf. Da die Aktivität von Histon-Deacetylasen Bedingung für den Fortschritt des Zellzyklus ist, ist anzunehmen, dass das Anbinden von APPL an den NuRD/MeCP1-Komplex dem Ziel dient, diese Funktion der Steuerung durch extrazelluläre Moleküle unterzuordnen. Soweit den Forschern bekannt ist, gibt es bisher keinerlei Daten, die die Aktivität von Histon-Deacetylasen und den Aufbau der Chromatinstrukturen mit der Endozytose in Zusammenhang bringen - die Entdeckung der Dresdner Forscher könnte ein erstes Beispiel für einen solchen Fall darstellen. Die Versuchsergebnisse skizzieren einen mehrstufigen Prozess, bei dem (1) der Interaktion mit Rab5 Schritt (2) folgt, nämlich die Abgabe der Endosomen, was durch Signale von außerhalb der Zelle ausgelöst wird, und schließlich (3) das Einbringen von Zytoplasma zum Zellkern den entscheidenden Schritt des APPL1-Zyklus darstellt. Interessanterweise scheint die Interaktion mit Rab5 ein Teil des Kontrollmechanismus zu sein, der das Loslösen von APPL1 von den Endosomen mit der Signalübergabe an den Wachstumsfaktor und den Zelltransport verknüpft. Die Untersuchungen legen sogar nahe, dass die Lokalisierung abhängig von Rab5 eine Vorbedingung dafür ist, dass zytoplasmatische Interaktionen überhaupt stattfinden, die wiederum nötig sind, um Auslösersignale der Proliferation, also Zellvermehrung, zu übertragen. Diese These wird gestützt durch die Entdeckung, dass sich APPL1-Mutanten, die nicht mit Rab5 interagieren konnten, im Zytosol, also löslich in der Zelle, oder im Zellkern häuften und dominant-negative Auswirkungen auf die Synthese der DNS hatten. Diese Effekte beruhen höchstwahrscheinlich auf einer Beeinträchtigung der Aktivität von APPL1, indem Faktoren des Zytoplasmas und/oder des Zellkerns in Beschlag genommen werden. Auch wenn die Forschungsergebnisse bisher den Zellkern als wichtigsten Ort der Interaktionen zwischen APPL und dem NuRD/MeCP1-Komplex belegen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Wechselwirkungen auch im Zytoplasma stattfinden. Denn eine beträchtliche Menge an NuRD/MeCP1-Komponenten war im Zytoplasma neben ihrer Lokalisation im Zellkern zu beobachten. Diese Komponenten jedoch lagern sich nicht zusammen mit APPL-Proteinen an um Rab5Q79L erweiterte Endosomen an, was bedeuten könnte, dass das Binden von Rab5 und APPL sowie von APPL und NuRD/MeCP1 sich gegenseitig ausschließt. Das ständig wiederholte Binden von APPL1 an Rab5 und Wegbewegen von der Membran könnte nötig sein, um die Umkehrbarkeit von Interaktionen mit Downstream-Faktoren zu gewähren, aber auch, um deren Aktivität zu regulieren. Es erscheint plausibel, dass Modifikationen nach der Translation oder konformative Veränderungen an Rab5-positiven Membranen die Fähigkeit von APPL1 steuern, funktionell mit anderen Partnern zu interagieren, wie etwa mit dem NuRD/MeCP1-Komplex. Damit müsste das periodische Durchlaufen der Endosomen als ein obligatorischer Schritt in der APPL-Signalübermittlung gesehen werden.

Zelluläre Funktionen der APPL-Proteine

Mit der Entdeckung der Interaktion von APPL1 mit Rab5 und seiner endosomatischen Lagebestimmung müssen nun frühere Daten zum APPL1-Protein neu untersucht werden. Ursprünglich wurde gezeigt, dass APPL1 mit der inaktiven Form der multifunktionellen und anti-apoptotischen Kinase AKT2 reagiert. Da inaktive AKT-Kinasen Preproteine und vornehmlich zytosolisch sind, ist es unwahrscheinlich, dass sich AKT2 gemeinsam mit APPL-Proteinen an Endosomen anlagert. Ein ebenfalls nachgewiesener Stoff, der mit APPL1 interagiert, ist DCC, ein Tumore unterdrückender Rezeptor der Plasmamembran für ein Axon-leitendes Molekül netrin-1. Fehlen Rezeptorliganden, leitet DCC den Zelltod ein, indem caspase-3 und caspase-9 in einem Prozess aktiviert werden, der APPL1 benötigt. Weder der Transport zwischen Zellen noch die Abhängigkeit der DCC-APPL1-Interaktion von Liganden wurden bisher genau untersucht, aber eine plausible Annahme, die die Arbeit der Dresdner Forscher nahelegt, ist, dass DCC mithilfe von APPL-Endosomen in Nervenzellen Signale übermittelt. Weitere spannende Fragen ergeben sich durch die Ergebnisse in Hinblick auf eine Verlinkung von APPL-gesteuerten Prozessen, wie dem von DCC ausgelösten Zelltod, mit der Aktivierung von p53, einem Substrat des NuRD/MeCP1-Komplexes. Wird p53 aktiviert, löst es entweder einen Wachstumsstopp oder den Zelltod aus, abhängig von der Kombination der aktivierten Transkriptionsfaktoren unter bestimmten Bedingungen. In diesem Zusammenhang ist besonders interessant, dass die Deacetylation von p53 dessen Aktivität und seine Fähigkeit als Zelltod-Auslöser verringert. Da die APPL-Proteine ein bestimmtes Strukturmotiv aufweisen, BAR-Domäne genannt, ist es bemerkenswert, dass dieselbe Domäne des Proteins amphiphysinII/BIN1 eine pro-apoptotische Aktivität aufweist. Tatsächlich konnten die Forscher um Zerial einen erhöhten Zelltod bei einer Überexpression dieser BAR-Domäne von APPL1 beobachten. So nimmt man nun an, dass die Funktion der APPL-Proteine sich nicht auf das Reagieren auf einen einzelnen Wachstumsfaktor (EGF) beschränkt, sondern dass diese Proteine an der Schnittstelle einer Vielzahl verschiedener Signalwege agieren. Das Loslösen von APPL1 von den Endosomen als Reaktion darauf, dass die Zelle oxidativen Substanzen ausgesetzt wird, belegt diese Vermutung. Plausibel scheint auch hier die Annahme, dass die Verteilung des Wachstumsfaktors auf die verschiedenen Typen von Endosomen, eben auch APPL-Endosomen, sowie die daraus resultierenden Unterschiede der Signalqualität abhängig von Zelltyp oder Entwicklungsstadium sind. Beispielsweise ist auch bekannt, dass ein und derselbe Wachstumsfaktor in verschiedenen Zellen entweder Vermehrung oder Differenzierung auslösen kann.

Die entdeckten Interaktionen zwischen APPL und NuRD/MeCP1 legen die Vermutung nahe, dass die Signalübermittlung mithilfe von APPL-Proteinen direkt mit dem Aufbau der Chromatinstrukturen zusammenhängt, einem Prozess, der entscheidend für jegliche Entwicklung ist. Diese Sicht nehmen auch neuere Studien ein, die zeigen, dass Komponenten von NuRD im Fadenwurm C. elegans notwendig sind für die embryonale Lebens- und Entwicklungsfähigkeit und Ras-Signalübermittlungen. APPL-Proteine haben bei C. elegans oder der Fruchtfliege Drosophila keine Homologe, sind aber bei allen Wirbeltieren vorhanden und könnten damit eine wichtige Rolle bei der Signalübermittlung während der Entwicklung spielen, etwa bei der Anordnung der Axone in Nervenzellen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Identifizierung dieses neuen Signalweges der APPL-Proteine spannende Forschungsfragen aufwirft. Der von Rab5 abhängige Zyklus der APPL-Proteine und deren Anlagerung in endosomalen (Sub-)Kompartimenten ermöglicht vielleicht neue Therapiewege, die (unerwünschte) Zellvermehrung stoppen können, ohne dabei die grundlegenden Funktionswege der Zelle zu beeinträchtigen. Weitere Erkenntnisse zur genauen Funktionsweise der APPL-Proteine werden wahrscheinlich das Verständnis dafür erweitern, wie die von Liganden ausgelöste, von Rab5 übermittelte Endozytose sich auf die Chromatinstruktur auswirkt, sowie auf die Umsetzung von Genen in Proteine und auf den Zelltod.

Literatur

[1] Miaczynska, M., S. Christoforidis, A. Giner, A. Shevchenko, S. Uttenweiler-Joseph, B. Habermann, M. Wilm, R. G. Parton and M. Zerial: APPL proteins link Rab5 to nuclear signal transduction via an endosomal compartment. Cell 116, 445-456 (2004).

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