Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Stuttgart

Leben auf der Nanometerskala

Autoren
Spatz, Joachim P.; Arnold, Marco; Blümmel, Jacques; Cavalcanti-Adam, Ada; Glass, Roman; Ulmer, Jens
Abteilungen

Neue Materialien und Biosysteme (Prof. Dr. Joachim P. Spatz)
MPI für Metallforschung, Stuttgart

Zusammenfassung
Die Bildung molekularer Cluster spielt in einer Vielzahl hierarchisch organisierter Prozesse eine entscheidende Rolle. Insbesondere in der Biologie werden zelluläre Funktionen durch das Zusammenführen einzelner Proteine zu Clustern definierter Proteinanzahl reguliert. Proteine verändern hierbei deren molekulare Konformation – und damit deren Funktion – durch Wechselwirkung mit anderen Proteinen in räumlicher Nähe. Die Regulierung der Bildung von Proteinclustern ist somit ein funktionelles Handwerkszeug der Natur. Neben der räumlichen Nähe einzelner Proteine spielt die Anzahl der Proteine eines Clusters eine entscheidende Rolle. Üblicherweise handelt es sich hier um abzählbar viele Proteine. Grundsätzlich ist die kooperative Wechselwirkung zwischen Proteinen von entscheidender Bedeutung. Die Nanotechnologie kann in Form von nanostrukturierten und biofunktionalisierten Grenzflächen einen wichtigen Beitrag in der Zellbiologie liefern. Diese Technologie dient hierbei als ein „nanoskopisches Werkzeug“, um molekulare Wechselwirkungen zu regulieren und molekulare Längenskalen in Proteinclustern zu messen.

Die interdisziplinär aufgestellte Abteilung Neue Materialien & Biosysteme am Max-Planck-Institut für Metallforschung beschäftigt sich mit der Entwicklung neuer mikro- und nanostrukturierter Materialien sowie Biofunktionalisierungstechniken von Grenzflächen, mikromechanischer, optischer und optomechanischer Messtechniken. Diese ermöglichen das Zusammenführen einzelner Moleküle, Proteine, einzelner Proteinfilamente und einzelner Zellen zu jeweils einem Cluster definierter Anzahl an Einzelobjekten und das Quantifizieren der daraus resultierenden Funktion. Wir verfolgen einerseits Experimente an lebenden Zellen; andererseits biomimetische Ansätze auf der Ebene von Netzwerken einzelner Proteine und deren hierarchisches/kooperatives Zusammenwirken (Assemblierung), welche spezifische Zellfunktionen nachahmen. Hierbei ist insbesondere unser Ziel, die dynamische Regulation der Adhäsionskontakte und der Architektur des Zytoskeletts von Zellen sowie deren Einfluss auf Zellfunktionen physikalisch zu verstehen. Besonderes Merkmal der interdisziplinären Gruppe ist die Zusammenarbeit von Wissenschaftler/innen aus den Fächern Physik, Chemie und Biologie unter dem Dach einer Abteilung.

Auf der Ebene einer Zelle interessieren wir uns dafür, wie die Funktionen eines einzelnen Anhaftungsrezeptors durch das Bilden eines Proteinclusters aus einer definierten Anzahl von Einzelrezeptoren in ein makroskopisches Signal auf der zellulären Ebene übersetzt werden. Hierbei haben wir eine auf der Selbstorganisation von Zweiblockcopolymeren basierende Nanotechnologie entwickelt. Diese erlaubt es uns, einzelne Proteine an einer Grenzfläche, beispielsweise eines Glasplättchens, an definierten Punkten anzubinden, ohne deren Funktion wesentlich einzuschränken. Die Abstände und die Anzahl der einzelnen Proteine an einer Stelle des Substrats können auf molekular relevanten Längenskalen definiert eingestellt werden (Abb. 1).

Synthetischer Ansatz einer Nanotechnologie

Die Entwicklung der nanoskopischen Lithographietechnik basiert auf der Selbstorganisation einzelner Makromoleküle an Grenzflächen und geht auf eine enge Zusammenarbeit mit Professor Martin Möller (DWI und RWTH Aachen) an der Universität Ulm zurück. Der Grundgedanke liegt darin, dass die resultierenden Strukturen molekulare Längenskalen abdecken. Daher setzen wir zur Erzeugung dieser Strukturen bereits synthetische Makromoleküle ein, die die Strukturlänge vorgeben. Hiermit erzielen wir Strukturdimensionen, die mittels konventioneller Methoden wie der Photo- und der Elektronenstrahllithographie nicht möglich sind. Mittels Selbstorganisation werden Nanopartikel verschiedener Metalle bzw. Metalloxide (beispielsweise Au, Ag, Pd, Pd, Ni, Co, FeOx) mithilfe eines durch anionische Polymerisation hergestellten Zweiblockcopolymers (Abb. 2) auf unterschiedlichen Substraten (beispielsweise Glas, SiO2, GaAs, oder SrTiO3) abgeschieden.

Das organische Polymer wird mittels eines Gasplasmas (Argon, Sauer- oder Wasserstoff) von der Oberfläche entfernt (Abb. 3).

Die Größe der Metallpartikel ist im Bereich von 1 bis 20 nm variabel. Weiterhin kann der Abstand zwischen den einzelnen Partikeln je nach Herstellungsbedingungen und Polymerkettenlängen zwischen 10 und 200 nm variiert werden. Im Falle von Goldnanoclustern auf SiO2 oder Glas sind die Partikel so fest gebunden, dass sie weder durch Spülen mit verschiedenen Lösungsmitteln noch durch die Behandlung im Ultraschallbad von der Oberfläche abtrennbar sind. Größere Abstände und aperiodische Strukturen erhält man durch den Einsatz der monomizellaren Filme als Photo- oder Elektronenstrahlresist (Abb. 4) [2].

Biofunktionalisierung von nanostrukturierten Grenzflächen

Zellen oder Proteine unterscheiden in den meisten Fällen nicht zwischen der Chemie von Glas oder von Gold. Auch sind die Nanostrukturen derart klein, dass Zellen deren Topographie nicht merklich wahrnehmen. Eine Zelle hat einen Durchmesser von mehreren 10 µm. Proteine und Teile der Zellmembran belegen somit Substrate nicht ortselektiv. Um die Ablage von Proteinen zwischen die nicht mit Goldpunkten belegten freien Glasflächen einzuschränken, wird diese mit einer Monoschicht eines Hydrogels (Polyethylenoxid (PEG)) über Silan-Chemie modifiziert (Abb. 5). Das PEG-System bindet hierbei kovalent an die Glasoberfläche an und bildet eine Protein- und Zellmembran abweisende Schicht. Anschließend werden die Goldpunkte durch RGD-Thiol-Peptide mittels eines einfachen Tauchprozesses in eine peptidhaltige Lösung für eine Anbindung bei Zellkontakt aktiviert. Dabei bindet das RGD-Peptid spezifisch an den für die Haftung verantwortlichen Transmembranrezeptor Integrin. Professor Kessler, TU München, stellt uns diese besonderen Peptide zur Verfügung.

Das Leben und Sterben biologischer Zellen auf der Nanometerskala

Das Ankleben von Zellen an Gewebe, die Adhäsion von beispielsweise Gewebezellen, ist ein Schlüsselvorgang, mit dem Zellen Informationen aus ihrer Umgebung erhalten. Dieser Vorgang kann bestimmte Fehlfunktionen bei der Zellregulation auslösen, die zur Bildung von Krebs oder zum programmierten Zelltod (Apoptose) führen können. Ein entscheidender Aspekt der Zellhaftung ist die Ausbildung adhäsiver Protein-Komplexe, die auch fokale Adhäsionscluster genannt werden. Diese Strukturen enthalten transmembrane Integrinrezeptoren, die die extrazelluläre Matrix (EZM) mit dem Aktin-Zytoskelett durch eine zytoplasmatische Schicht von Ankerproteinen verbinden.

Das Fehlen hoch auflösender biochemischer Strukturierungsmethoden von Grenzflächen hat lange Zeit die Untersuchung des Einflusses der strukturellen Anordnung einzelner Moleküle oder Molekülcluster, die bei der Zelladhäsion eine wichtige Rolle spielen, auf die Funktion von Zellen verhindert.
Die Anwendung einer Nanotechnologie in Form von selbstorganisierenden Zweiblockcopolymeren zur Herstellung von chemisch strukturierten Oberflächen in der Größenordnung von 3 bis 100 nm in Kombination mit Biofunktionalisierungstechniken stellt einen viel versprechenden Lösungsansatz zur Überwindung dieser Einschränkung dar. Dieses neue Werkzeug eröffnet einzigartige Möglichkeiten zum Verständnis der relevanten Längenskalen in Proteinclustern bei der Zelladhäsion mit einer Auflösung von einem einzelnen Protein.

Im Wesentlichen haben wir eine starre Schablone von zelladhäsiven Nanopunkten entwickelt. Jeder Nanopunkt ist mit Liganden (hier: Bindungsmoleküle) für einzelne Integrine bedeckt, die mit großer Genauigkeit im Abstand von 28, 58, 73 und 85 nm auf Deckgläschen aufgebracht sind. Der kleine Durchmesser der Adhäsionspunkte lässt die Bindung von nur einem Integrinmolekül pro Punkt zu. Wir konnten nachweisen, dass ein Abstand von mehr als 73 nm zwischen den Adhäsionspunkten die Zelladhäsion und die Bildung von fokaler Adhäsion erheblich verringert. Die Nanostrukturen wurden so als ein „nanoskopisches Lineal“ eingesetzt. Wir konnten weiter feststellen, dass es sich bei diesem Abstand um eine universelle Längenskala in verschiedenen Zelllinien handelt.

Molekulare Motoren auf der Nanometerskala

In der Folge wurden in einer sehr engen und phantastischen Zusammenarbeit mit Dr. Thomas Surrey, EMBL Heidelberg, die nanostrukturierten und biofunktionalisierten Grenzflächen als ein Handwerkszeug zur quantitativen Bestimmung der Kinetik molekularer Motoren entwickelt und eingesetzt. Motorproteine transportieren in Zellen Makromoleküle oder Molekülverbände durch Umwandlung von chemischer in mechanische Energie. Die aus vier gleichen Untereinheiten gebildeten Motorproteine der Kinesin-5-Familie sind essentiell an der Bildung des Spindelapparats während der Kernteilung (Mitose) von Zellen beteiligt. Uns gelang es erstmals, das Motorprotein Eg5 durch eine systematische Dichtevariation auf nanostrukturierten Oberflächen zu untersuchen. Im Mittelpunkt der Anwendung stand die Fragestellung, ob und in welcher Form die Partikeldichte das Verhalten des Motorproteins beeinflusst (Abb. 7). Hierfür wurde Eg5 auf Goldnanostrukturen mit unterschiedlichen Partikelabständen (45, 58, 73, 90, 110 nm) eingebettet in eine PEG-Matrix immobilisiert. Anstelle des Transmembranrezeptors Integrin wird ein einzelnes Motorprotein Eg5 pro Goldpunkt festgesetzt (immobilisiert). Wir konnten zeigen, dass die Eg5-Proteine zum einen spezifisch auf diesen Partikeln anbinden und zum anderen die Menge des festgesetzten Proteins in direktem Zusammenhang mit der vorgegebenen Partikeldichte steht. Die ermittelten Gleitgeschwindigkeiten von Mikrotubuli, welche aktiv durch Eg5 unter ATP-Verbrauch transportiert wurden, stiegen mit zunehmender Motorkonzentration auf der Oberfläche. Weiterhin konnten wir bei geringen Goldpunktdichten (110 nm Abstände) eine Zunahme der Gleitgeschwindigkeit mit wachsender Länge der Mikrotubuli beobachten. Dieses Verhalten steht im Einklang mit der Dichteabhängigkeit der Nanopartikel: Je mehr Eg5 am Transport der Mikrotubuli beteiligt sind, umso schneller werden diese, bis eine Sättigung erreicht ist. Diese Erkenntnis lässt schließen, dass es sich bei Eg5 um ein nicht prozessives Motorprotein handelt, d. h. es löst sich nach jedem getätigten Schritt auf dem Filament ab. Weitere Geschwindigkeitserhöhungen konnten wir durch Steigerung der Salzkonzentration in den verwendeten Puffern erzielen, wobei die Abhängigkeit der Geschwindigkeit von der Eg5-Oberflächenkonzentration gewahrt wurde.

Diese Studien verknüpfen anorganische, nanostrukturierte Oberflächen mit organisch, bio-organischen Beschichtungen zur Untersuchung molekular definierter, biologischer Systeme. In diesem Rahmen wird erforscht, in wie weit die stringente Kontrolle über die Anordnung von Signalmolekülen oder von funktionellen Proteinen auf der Nanometerskala deren Funktion manipuliert. Die nanostrukturierte Grenzfläche wird somit zu einem „nanoskopischen Lineal“, welches die Messung spezifischer funktionaler Längenskalen in Molekül- oder Proteinclustern ermöglicht. Ebenso ist die Erweiterung der neuen Materialien auf andere molekulare Biosysteme denkbar.

Originalveröffentlichungen

J. Spatz, S. Mössmer, M. Möller:
Mineralization of Gold Nanoparticles in a Block Copolymer Microemulsion
Chemistry – A European Journal 2 (12), 1552-1555 (1996).
R. Glass, M. Möller, J. P. Spatz:
Block Copolymer Micelle Nanolithography
Nanotechnology 14 (10), 1153-1160 (2003).
M. Arnold, A. Cavalcanti-Adam, R. Glass, J. Blümmel, W. Eck, H. Kessler, J. P. Spatz:
Activation of Integrin Function by Nanopatterned Adhesive Interfaces
ChemPhysChem 5 (3), 383-388 (2004).
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