Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Mikrobielle Gemeinschaften mariner Habitate: Ökologie und Stoffumsatz

Autoren
Janßen, Felix; Treude, Tina; Boetius, Antje
Abteilungen
Zusammenfassung
Die Arbeiten in der Gruppe Mikrobielle Habitate umfassen den Stoffaustausch zwischen marinen Sedimenten und der Wassersäule, die in situ Quantifizierung der Transport- und Umsatzprozesse in marinen Sedimenten und experimentelle Studien zu den Einflüssen von Strömung, Wellen und Druckgradienten auf die im Sediment stattfindenden biologischen und biogeochemischen Prozesse. Schwerpunkte sind mikrobielle und geochemische Prozesse in permeablen Meeresböden und Riffen, Untersuchungen biogeochemischer Prozesse an Kontinentalrändern sowie die Biogeochemie chemosynthetischer Ökosysteme, die unabhängig von Photosynthese Kohlendioxid fixieren.

Habitat [‘hæbıtæt]: a place where an organism or a community of organisms lives, including all living and nonliving factors or conditions of the surrounding environment (Encyclopedia Britannica). Diese Definition erklärt die Zielsetzung der Ende 2003 gegründeten Forschungsgruppe Mikrobielle Habitate: ein besseres Verständnis der Lebensräume von Mikroorganismen am Meeresboden mit ihren charakteristischen Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und Umwelt zu erreichen (Abb. 1).

Das umfasst die Charakterisierung der Organismen-Gemeinschaften in ihrer physikochemischen Umgebung und der durch die Organismen bewirkten und auf sie wirkenden Prozesse auf verschiedenen zeitlichen und räumlichen Skalen. Dieser integrierende Ansatz strebt ein Verständnis der Faktoren an, die die Zusammensetzung und die Stoffwechselleistungen der Organismen in den verschiedenen Lebensräumen steuern, um neben der Frage „Was lebt wo und tut was?“ auch noch die Frage nach dem „Wann und warum?“ beantworten zu können. Die personellen Voraussetzungen der neuen Forschungsgruppe für solch komplexe Fragestellungen sind günstig: Expertise in der biogeochemischen Charakterisierung von Meeresböden und in der Quantifizierung von Stoffflüssen unter natürlichen und experimentellen Bedingungen wird von Wissenschaftlern der von Dr. Markus Hüttel von 1999-2003 geleiteten „Flux“-Gruppe eingebracht. Mitarbeiter aus dem vorherigen Umfeld der neuen Arbeitsgruppenleiterin Prof. Dr. Antje Boetius haben vielfältige Erfahrungen in der Untersuchung der Biogeochemie und Ökologie von Mikroorganismen chemosynthetischer Gemeinschaften des Kontinentalrands gesammelt - vor allem hinsichtlich der Zusammensetzung, Funktion und Verbreitung im Zusammenhang mit physikochemischen Faktoren und geologischen Strukturen. Durch gemeinsame Forschungsprojekte zum Methanumsatz im Meer sind die Wissenschaftler außerdem eng mit den anderen Arbeitsgruppen des Instituts vernetzt.

Mikrobielle Populationen nehmen Nischen in der marinen Umwelt ein, die durch Temperatur, Druck, pH, Salinität, durch die Verfügbarkeit von Nährstoffen und Elektronenakzeptoren, aber auch durch verschiedene Mortalitätsfaktoren bestimmt werden. Ziel der Forschungsgruppe Mikrobielle Habitate ist es, regulative Umweltfaktoren für die Nischenbildung und Selektion verschiedener mikrobieller Populationen zu erkennen und zu quantifizieren. Dazu findet eine enge Zusammenarbeit mit den Arbeitsgruppen Molekularökologie und Mikrobiologie statt. Verschiedene In-situ-Methoden und Verfahren zur experimentellen Untersuchung räumlicher und zeitlicher Variabilität in der Umwelt werden für den Einsatz in Küsten- und Tiefseesedimenten entwickelt. Die Arbeiten umfassen die Messung und Modellierung diffusiver und advektiver Prozesse in verschiedenen Habitaten, die Quantifizierung von Transport- und Reaktionsprozessen sowie die vergleichende Untersuchung mikrobieller Habitate an extremen Standorten wie Schlammvulkanen, heißen Quellen und Gashydrat-Reservoiren. Um die Wechselwirkungen zwischen den Organismen-Gemeinschaften und ihrer unbelebten Umgebung untersuchen zu können, eignen sich besonders Lebensräume mit starken räumlichen und zeitlichen Veränderungen der Umweltbedingungen: Schlammvulkane, in denen gasreicher Schlick aus dem Untergrund austritt und sich über dem Meeresboden ausbreitet; aktive Fluid- und Gas-Austritte, in deren unmittelbarer Nähe sich chemosynthetische Lebensgemeinschaften etablieren; Flachwassersande, wo starke Strömungen und Wellen zu einer ausgeprägten und extrem dynamischen chemischen Zonierung führen, und Riffsysteme, die auf eine effiziente Nutzung von Nährstoffressourcen angewiesen sind. Im Folgenden werden Beispiele aus der Forschung der Mikrobielle Habitate-Gruppe in diesen verschiedenen Ökosystemen vorgestellt.

Schlammvulkane, heiße Schlote, Wal-Kadaver: Energie-Oasen in der Tiefsee

Fokussierte Austritte von Gas, Fluiden und Schlamm, aber auch episodische Einträge von organischem Kohlenstoff durch das Absinken eines Walkadavers oder von Holzbündeln stellen räumlich begrenzt große Mengen von Energie in der Tiefsee bereit – zum Beispiel in Form von Methan, höherkettigen Kohlenwasserstoffen oder komplexen Karbohydraten. Der mikrobielle Abbau der Kohlenwasserstoffe im Meeresboden führt zur Freisetzung reduzierter Substanzen wie Schwefelwasserstoff, die von chemoautotrophen Gemeinschaften als Energiequelle zum Aufbau von Biomasse ohne Sonnenlicht und Photosynthese genutzt werden können.

Methan, das mit aufwärts gerichtetem Transport von Fluiden und Schlamm in großer Menge die oberen Horizonte der Meeresböden erreichen kann, entsteht im Meer durch mikrobielle Methanogenese, durch thermogene Umbildung von organischem Material oder abiotisch an bestimmten Gesteinsoberflächen tektonisch aktiver Zonen. An der Meeresboden-Oberfläche kann das Methan an das Meerwasser und damit an die Atmosphäre abgegeben werden. Erst in den letzten Jahren ist erkannt worden, dass es vor allem die zunächst als Stoffwechsel-Kuriosität aufgefasste anaerobe Oxidation von Methan (AOM) ist, welche die Methanemission kontrolliert. Konsortien von methanotrophen Archaeen und sulfatreduzierenden Bakterien setzen dabei Methan und Sulfat zu Karbonat und Sulfid um. Ein Prozess mit hoher Klimarelevanz – ist doch Methan ein 30fach effektiveres Treibhausgas als Kohlendioxid.
Die anaerobe Methanoxidation und ihre Bedeutung als primärer biogeochemischer Prozess in methanreichen marinen Habitaten wird in unterschiedlichsten Meeresgebieten und unter den verschiedensten geologischen und physikochemischen Bedingungen untersucht: an Pockmarks in Nord- und Ostsee, an Gashydrat-Vorkommen im östlichen Pazifik und im Golf von Mexiko, an Fluidaustritten („Cold Seeps“) und Schlammvulkanen in der Barentssee, im Mittelmeer, im Nordatlantik und im Schwarzen Meer. Die verblüffende Erkenntnis: Die methanotrophen Gemeinschaften, die die anaerobe Methanoxidation durchführen, sind in der Lage, unter den verschiedensten Bedingungen effiziente Filtersysteme gegen das im Porenwasser gelöste Methan zu bilden und selbst stark erhöhte Flussraten durch erhöhte Biomasse und Bildung von mikrobiellen Matten vollständig zu kompensieren. Dabei beeinflusst dieser Umsatzprozess die Umgebung entscheidend, denn die Umsatzprodukte können als Karbonat oder als Schwefelverbindung ausfallen und die Freisetzung von Schwefelwasserstoff lädt andere thiotrophe Mikroorganismen und symbiotische Tiere ein (Abb. 2). Eine nennenswerte Methanemission in die Atmosphäre scheint nur bei Austritten von freiem Gas in Form von Gasblasen oder auftreibendem Gashydrat stattzufinden. Laborexperimente zum Einfluss der Umweltbedingungen ergaben zudem, dass neben den Methanflüssen die Verfügbarkeit von Sulfat eine zentrale Rolle spielt. Von entscheidender Bedeutung sind demnach letzten Endes die Transportprozesse, welche den Mikroorganismen das Methan aus der Tiefe der Sedimente als auch das Sulfat aus dem Meerwasser zuführen (Abb. 2b).

Auch die Sedimentologie der verschiedenen Lebensräume und die Vergesellschaftung mit verschiedenen Makroorganismen hat eine entscheidende Bedeutung bei der Nischenbildung in gasreichen Habitaten. Künftig werden Transportprozesse und Energieflüsse an gasreichen Standorten in Zusammenarbeit mit der Mikrosensor-Gruppe unter In-situ-Bedingungen am Meeresgrund gemessen. Zusammen mit der Modellierer-Gruppe werden Versuche zum Transport von Porenwasser durch aufsteigende Gasblasen durchgeführt. Erste Ergebnisse zeigen, dass es an Gasaustritten mit dem Bodenwasser zu einem Eintrag von Sulfat und zu einer intensiven Durchmischung von Methan und Sulfat kommt, die die anaerobe Methanoxidation begünstigt. Mit diesen neuen Erkenntnissen entstehen neue Fragen: Welche der Mikroorganismen tragen direkt zur anaeroben Methanoxidation bei und welche ziehen einen sekundären Nutzen daraus? Was ist die Rolle der oft in großer Menge auftretenden unidentifizierten Bakterien, über deren Stoffwechsel noch nichts bekannt ist? In welcher Beziehung stehen methanotrophe Gemeinschaften mit sulfidoxidierenden chemosynthetischen Gemeinschaften an Methanquellen?

Ein ideales Untersuchungsgebiet stellt der Håkon Mosby-Schlammvulkan in der Barentssee dar, wo an der Meeresbodenoberfläche weitgehend unbesiedelter methanreicher Schlick austritt. Da der Schlick sich langsam über den Meeresboden ausbreitet, liegen unterschiedlich alte Schlicke direkt nebeneinander. Hier ist es gelungen, unterschiedliche Stadien der Besiedlung mit einer Sukzession von aerober zu anaerober Methanoxidation nachzuweisen und erste Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen den methanotrophen Gemeinschaften und den physikochemischen Bedingungen ihrer Umgebung zu gewinnen. Die Untersuchungen zu marinen Methanflüssen werden durch verschiedene Drittmittelprojekte gefördert (DFG, BMBF, EU, ESF) und werden in Zusammenarbeit mit allen Arbeitsgruppen des Max Planck Institutes durchgeführt.

Eine neue Arbeitsrichtung der Gruppe ist die Charakterisierung biogeochemischer Habitate an Hydrothermalquellen, die ähnlich wie kalte Quellen stark fragmentierte und variable, aber energiereiche Lebensräume darstellen. Hier begannen im Herbst 2004 die Planungen von Projekten und Ausfahrten im Rahmen des DFG Schwerpunktprogramms „Vom Mantel zum Ozean: Energie-, Stoff- und Lebenszyklen an Spreizungsachsen“. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe „Symbiosen-Forschung“ werden hier die Transportprozesse und der Energiefluss an verschiedenen Hydrothermalquellen-Habitaten chemosynthetischer Lebensgemeinschaften untersucht.

Ein dritter Typ von reduzierten Lebensräumen in der Tiefsee sind Walkadaver. Absinkende Kadaver verendeter Wale führen der nahrungsarmen Tiefsee auf einen Schlag riesige Mengen an organischem Material zu, das die nähere Umgebung auf viele Jahre verändert. Anders als im Fall von heißen und kalten Fluidaustritten, für die die Zeitskalen noch ungeklärt sind, lässt sich die Habitatentwicklung im Fall der Walkadaver mittels Datierung und experimenteller Ausbringung zeitlich exakt einordnen. Obwohl auch riesige Walkadaver von Fischen und Krebsen innerhalb von Monaten weitestgehend skelettiert werden, stellt das in den Walknochen vorhandene und in den umgebenden Meeresboden eingetragene Walöl auf Jahrzehnte eine Anreicherung der Umgebung mit Kohlenwasserstoffen dar. In der Nähe des Walkadavers können stark erhöhte Sulfatreduktionsraten wie auch eine Produktion von Methan nachgewiesen werden. Das dabei entstehende Sulfid steht als Energiequelle zur Verfügung und führt zur Entwicklung chemoautotropher Lebensgemeinschaften (Abb. 3).

Auch abgesunkenes Holz kann eine Nische für thiotrophe und methanotrophe Organismen darstellen, wobei die mikrobiellen Prozesse des anaeroben Holzabbaus im Meer noch ungeklärt sind. Hier schließt sich der Kreis zu den Untersuchungen an heißen und kalten Fluidaustritten: Genau wie dort siedeln sich auch an Holz und an Walkadavern Tiere an, die in ihrem Gewebe sulfid- und/oder methanoxidierende Mikroorganismen als Symbionten tragen. Da es sich hier zum Teil um die gleichen Tierarten wie an kalten und heißen Quellen handelt, ist die „Stepping Stone“-Hypothese entstanden, nach der einige der Organismen Holz und Walkadaver als Zwischenstation besiedeln, um den Weg zwischen weit entfernten Methanquellen oder Vulkanschloten zu überwinden. Unser Beitrag zu dieser Fragestellung ist die Untersuchung der Entstehung reduzierter mikrobieller Lebensräume in der Tiefsee sowie die Quantifizierung der Energieflüsse durch mikrobielle und abiotische Prozesse (Beier, Boetius, Felden, Luley, Niemann, Omoregie, Palacios, Shovitri, Treude, Sweetman, Wegener, Wenzhöfer, Wilkop, Witte).

Küstensande: das größte Filtersystem der Welt

Die Küstenzonen der Ozeane sind hochproduktive Ökosysteme, die trotz ihrer kleinen Fläche eine große Rolle für die globalen Stoffkreisläufe von Kohlenstoff und Stickstoff spielen. Die Gebiete sind von vielfältiger Bedeutung für den Menschen – als Fischgründe, Lagerstätten fossiler Brennstoffe und als Erholungsgebiete. Gleichzeitig werden die Küstenzonen in hohem Maße belastet – durch Eutrophierung, Schadstoff-Einleitungen und bauliche Eingriffe. Mit Blick auf die vielfältigen Nutzungen und Gefährdungen der Küstenmeere wird zunehmend der Bedarf für gezieltes Küstenmanagement erkannt. Die Basis für ein erfolgreiches Management stellen fundierte Kenntnisse über Transportprozesse, Stoffflüsse und über die Biodiversität dar. Diese Kenntnisse sind leider auch für die Küstenmeere noch immer sehr lückenhaft. Dies gilt besonders für die Biogeochemie und Mikrobiologie sandiger Meeresböden, die den Großteil der Flachwassergebiete einnehmen. Bereits direkt unterhalb der Niedrigwasserlinie, also in unmittelbarer Nähe der vertrauten Sandstrände, beginnt die terra incognita mit einem extremen Mangel an Basisdaten etwa über den Stoffaustausch und den Umsatz von organischem Material und Nährstoffen. Auch über die Interaktionen zwischen Mikroorganismen und anderen Lebewesen ist wenig bekannt. Anders als in schlickigen Sedimenten kann, angetrieben durch die starken Strömungen, Wellen und Gezeiten, Wasser durch den Porenraum zwischen den Sandkörnern hindurchströmen. Dieser als Porenwasser-Advektion bezeichnete Massentransport versorgt die Lebensgemeinschaften im Meeresboden mit Sauerstoff und Nährstoffen und führt diesem im Austausch die Stoffwechselprodukte der Organismen wieder zu.

Die Rolle der Sande für den Stoffumsatz in Küstengewässern wird im Rahmen des EU-Projektes COSA untersucht. Damit führt die Mikrobielle Habitate-Gruppe einen der Schwerpunkte der ehemaligen Flux-Gruppe weiter. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Bedeutung der Sande für den Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf und auf der Rolle der Porenwasser-Advektion. In den Sanden vor Sylt und vor der Ostsee-Halbinsel Hel in Polen konnten in situ Porenwassergeschwindigkeiten von mehreren Zentimetern pro Stunde nachgewiesen werden. Der Einfluss der Porenwasser-Advektion auf die Sauerstoffversorgung des Meeresbodens wird in den Planaroptoden-Messungen deutlich, die zweidimensionale Messungen der Sauerstoffverteilungen ermöglichen: Starke Gradienten zwischen sauerstoffreichen Ein- und sauerstoffarmen Ausstromzonen führen zu einer ausgeprägten biogeochemischen Zonierung, die infolge sich stetig ändernder Strömungsverhältnisse und Sediment-Umlagerungen eine ausgeprägte zeitliche Dynamik aufweist (Abb. 4).

Dem integrierten Ansatz der Mikrobielle Habitate-Gruppe entsprechend wird zukünftig mit Methoden der mikrobiellen Ökologie untersucht, wie sich die mikrobielle Gemeinschaft unter dem Einfluss der biogeochemischen Zonierung und unter verschiedenen Umweltbedingungen zusammensetzt und welche Bakteriengruppen wo und wann für die Abbauprozesse besonders wichtig sind. Inkubationen der Sande ergaben hohe Abbauraten organischen Materials - eine wichtige Eigenschaft gerade in den durch starke Algenblüten gekennzeichneten Küstengebieten. Die Raten ließen sich durch intensivierten Porenwasseraustausch noch steigern: Offensichtlich ermöglicht die gute Versorgungslage der Mikroorganismen im Sand als Folge des Porenwasserstromes eine starke Stoffwechsel-Aktivität. Die hohen Stoffwechselleistungen der Mikroorganismen-Gemeinschaften konnten durch Messungen der Enzymaktivität bestätigt werden. Neben dem Abbau organischen Materials kann in den Sanden auch eine intensive Produktion organischen Materials durch einzellige Mikroalgen stattfinden. Es hat sich gezeigt, dass diese so genannte „benthische Primärproduktion“ in den obersten Millimetern der Sande die gesamten Abbauprozesse im darunter liegenden Meeresboden überwiegen kann. Da etwa 30% des Meeresbodens auf dem Kontinentalschelf genug Licht bekommt, um ein Wachstum von Mikroalgen zu ermöglichen, ist die benthische Primärproduktion für das Kohlenstoffbudget der Flachwassergebiete von großer Bedeutung. Wie die Abbauraten kann auch die Primärproduktion durch die Porenwasser-Advektion stimuliert werden – höchstwahrscheinlich, indem die Versorgung der Mikroalgen mit Kohlendioxid verbessert wird. Ein großer Teil der erzeugten Photosyntheseprodukte wird direkt in Form langkettiger Zucker abgegeben. Diese Zucker, aber auch die Mikroalgen selbst, stellen eine Nahrungsquelle für den umgebenden Meeresboden dar und begünstigen damit die Sekundärproduktion von Mikroorganismen und Tieren. Die Verwertung dieses Nahrungsangebotes durch die Organismen-Gemeinschaften der Sande ist ein wichtiger Aspekt, der unter Verwendung spezieller Polysaccharide und Mikroalgen untersucht wird, die mit Fluoreszenz-Farbstoffen und stabilen Kohlenstoff- und Stickstoff-Isotopen markiert werden (Alisch, Billerbeck, Böer, Cook, Dunker, Ehrenhauss, Fischer, Janssen, Menger, Røy, Schüßler, Wenzhöfer).

Mikrobielle Habitate an Schwämmen und Korallen – Tiere schaffen Lebensraum für Mikroben

Mikroorganismen können vielfältige Beziehungen mit Pilzen, Pflanzen und Tieren eingehen, von Symbiosen bis hin zur Krankheit. Eine Form des Zusammenlebens ist die kommensalische Assoziation der Mikroben an Oberflächen und Ausscheidungsprodukten von Tieren. Tiere können zum Beispiel allein aufgrund ihrer vergleichsweise enormen Größe zu einem mikrobiellen Habitat werden, indem sie Mikroben in ihrem Körperinneren oder auf ihren Oberflächen beherbergen. Ein neues Forschungsthema in der Habitat- und Mikrosensor-Gruppe ist die Untersuchung von Schwämmen als mikrobieller Lebensraum. Schwämme repräsentieren primitive Tiere, deren Zellgemeinschaft ein System von Wasserkanälen ausbildet (Abb. 5).

Während die interzelluläre Matrix höherer Tiere steril, d.h. frei von körperfremden Zellen ist, beherbergen Schwämme eine Vielzahl von Bakterien mit einer erstaunlich hohen Vielfalt an physiologischen und phylogenetischen Merkmalen. Einige der Bakterien scheinen einen positiven Einfluss auf das Schwammwachstum zu haben und produzieren besondere Naturstoffe, weshalb sie für die Verwendung zu pharmazeutischen Zwecken interessant geworden sind. Neueste Untersuchungen mit Mikrosensoren zeigen, dass sich im Inneren von Schwämmen auch sauerstofffreie Zonen ausbilden können, die eine hohe Aktivität von sulfatreduzierenden Bakterien zeigen. Der bei diesem Prozess freiwerdende Schwefelwasserstoff wird je nach Pumpaktivität der Schwammzellen relativ zügig wieder zu Sulfat re-oxidiert. In diesem Zusammenhang wird über eine katalytische Beteiligung von chemoautotrophen Schwefelbakterien, wie sie auch von Cold Seeps und Walkadavern bekannt ist, spekuliert. Diese Bakterien nutzen Schwefelwasserstoff als Energiequelle, indem sie ihn z.B. mit Sauerstoff zu Sulfat oxidieren. Das mikrobielle Habitat „Schwamm“ birgt noch viele offene Fragen bezüglich seiner Bewohner und deren Aktivitäten. Seine Erforschung ist nicht nur aus mikrobieller Sicht von Interesse, sondern könnte auch wichtige Erkenntnisse sowohl für die Biotechnologie als auch über die Ökologie von Schwämmen liefern.

Neben der Beherbergung von Mikroorganismen können Tiere auch allein durch ihre Stoffwechselprodukte (z.B. Exkremente und Schleim) einen Beitrag zur Förderung mikrobieller Habitate liefern. Besonders interessant, da bislang unbeachtet, ist der schon zu Zeiten der Flux-Gruppe untersuchte Eintrag von Nährstoffen in tropische Riffe durch Korallenschleim. Korallen leben in enger Symbiose mit einzelligen Algen (Zooxanthellae), jedoch scheiden die Tiere etwa die Hälfte des von den Algen assimilierten Kohlenstoffes wieder als Schleim aus (Abb. 6).

Der Schleim dient den Korallen als Schutz vor Aufwuchs, vor Ablagerung von Schwebepartikeln sowie vor Austrocknung bei Niedrigwasser. Die Absonderung des Schleimes spielt eine entscheidende Rolle für den Nährstoffeintrag in die umliegenden Sedimente. Zum einen löst sich der Großteil des Schleimes im Meerwasser auf und wird in die porösen Sande gespült. Hier wird er durch Mikroorganismen abgebaut und trägt somit unmittelbar zum Nährstoffeintrag bei. Der übrige Teil des Schleimes verweilt kurzfristig in der Wassersäule, wobei er Schwebepartikel (einzellige Algen, partikulärer Kohlenstoff) einbindet, die seinen Kohlenstoff- und Stickstoffgehalt innerhalb von nur 2 Stunden um 3 Größenordnungen erhöhen können. Gezeitenströme konzentrieren den Schleim in den Rifflagunen, wo er sich schließlich schnell absetzt. Der sedimentierte Schleim mit seinem Beifang kommt sowohl der benthischen Fauna wie auch der mikrobiellen Gemeinschaft der Riffsedimente als Nahrungsgrundlage zugute. Der remineralisierte Schleim wird anschließend wieder in Form von mineralischen Nährstoffen in die Wassersäule abgegeben und dient dem Wachstum von autotrophen Organismen. Korallen geben somit einen großen Teil der Energie, die durch ihre endosymbiontischen Zooxanthellen konserviert wurde, an ihre Umgebung ab. Dies erklärt vielleicht die hohe Primärproduktion in Riffsystemen trotz der eigentlich nährstoffarmen Bedingungen in tropischen Gewässern (Cook, Hoffmann, Huettel, Naumann, Rasheed, Wild).

Aber bitte in situ: Methodenentwicklung für neue Untersuchungsgebiete

Viele Gründe sprechen dafür, Meeresboden und Mikroorganismen in ihrem natürlichen Gefüge zu belassen und Messungen zu Umsatz-, Transport- und Entwicklungsprozessen direkt am Grund des Meeres durchzuführen. Werden Proben aus größerer Wassertiefe an die Oberfläche gebracht, kommt es zu drastischen Änderungen der physikochemischen Bedingungen, besonders wenn man mit gasreichen Proben arbeitet. Auch in flacherem Wasser kann die Probennahme zu Artefakten führen: Isoliert von Wasserströmungen, Gas- und Fluidaustritten ändern sich die Transportraten und damit die Versorgungslage der Organismen. Seit der Institutsgründung sind daher Geräte für In-situ-Messungen von den Arbeitsgruppen der Abteilung Biogeochemie kontinuierlich entwickelt, eingesetzt und verbessert worden. Die Konzentration der Mikrobielle Habitate-Gruppe auf kleine Lebensräume mit starker räumlicher Heterogenität bringt eine Fülle von Aufgaben für die Entwicklung neuer Messmethoden mit sich (Abb. 7).

In Gebieten, wo sich die Besiedlungsmuster und physikochemischen Bedingungen auf einer Skala von wenigen Dezimetern drastisch ändern, können Messgeräte nicht mehr, wie bisher üblich, „blind“ abgesetzt werden. Hier ist der Einsatz ferngelenkter Unterwasser-Fahrzeuge nötig, wie sie in zunehmender Zahl auf den Forschungsschiffen zur Verfügung stehen. Diese können über oder auf dem Meeresboden kontrolliert navigieren und erlauben gezieltes Arbeiten unter visueller Kontrolle. Um die Messmodule mit den Greifarmen der Unterwasser-Fahrzeuge positionieren zu können, ist es jedoch nötig, Gewicht und Größe der Geräte zu reduzieren. Ein wichtiges Ziel der aktuellen Geräteentwicklung stellt daher die Miniaturisierung bestehender Kammer- und Mikro-Profiler-Module dar, um Stoffflüsse und Porenwasserzusammensetzung, z.B. in direkter Umgebung von Fluidaustritten, mit feiner räumlicher Auflösung zu untersuchen. Dazu arbeitet die Mikrobielle Habitate-Gruppe derzeit weltweit mit allen Instituten zusammen, die multidisziplinäre Unterwasserplattformen für Forschungszwecke nutzen.

Andere technische Herausforderungen ergeben sich aus der Arbeit in Lebensräumen, in denen intensiver Massentransport von Gas, Fluiden und Porenwasser stattfindet. Da die Transportraten z.B. von Methan und Porenwasser und die mikrobielle Aktivität oft in direktem Zusammenhang stehen, ist für eine Abschätzung des Stoffumsatzes eine genaue Kenntnis der Transportraten nötig. Um Porenwassertransportraten im Meeresboden zu messen, werden Geräte entwickelt, die Farbstoff in das Sediment injizieren und anschließend mit optischen Sensoren die Bewegung der Farbstoffwolken durch den Porenraum verfolgen. Für Messungen der Porenwasser-Advektion in Flachwassergebieten wurde ein neues Gerät („Lance-A-Lot“) entwickelt, das neben den Porenwassergeschwindigkeiten auch das Relief des Meeresbodens wahrnimmt. Damit können Richtung und Geschwindigkeit des Porenwasserstromes den topographischen Strukturen zugeordnet werden. Für Messungen an Fluidaustritten wird gerade ein abgewandeltes Gerät („DeepFlow“) entwickelt, das die direkte Quantifizierung von Fluidaustritten erlaubt.

Intensiver Massentransport erfordert auch für die Messungen des Sauerstoffflusses als Summenparameter für Abbau und Produktion organischen Materials neue methodische Ansätze. Findet Massentransport statt, sind die etablierten Flussmessungen mit Kammern und Mikro-Profilern kaum oder gar nicht möglich. Eine Alternative stellt hier die für Stoffflüsse zwischen Biosphäre und Atmosphäre verwendete „Eddy correlation“-Technik dar. In Zusammenarbeit mit Peter Berg von der Florida State University wird diese Methode für Messungen in aquatischen Systemen weiterentwickelt. Ohne die Sedimente in irgendeiner Weise zu beeinflussen, werden über dem Meeresboden gleichzeitig der Sauerstoffgehalt und die Strömung des Bodenwassers genau erfasst. Aus den Unterschieden der Sauerstoffkonzentration in ab- und aufwärts strömenden „Wasserpaketen“ wird der Sauerstofffluss von und zum Meersboden berechnet. Die Anwendungsmöglichkeiten der neuen Technik sind äußerst vielfältig und umfassen Messungen extrem hoher Sauerstoffflüsse, etwa über Muschelbänken, ebenso wie Messungen über steinigen Meeresböden, in die weder Kammern noch Sensoren einzudringen vermögen.

Messungen spezifischer mikrobieller Prozesse einzelner Organismengruppen, wie etwa Sulfatreduktion oder anaerobe Methanoxidation, erfordern Inkubationen mit markierten Substraten, da diese Prozesse sich nicht durch Summenparameter erfassen lassen. Um auch hier Artefakte durch die Probennahme und Dekompression möglichst gering zu halten, wird ein In-situ-Inkubator entwickelt („INSINC“), mit dem solche Inkubationen direkt am Meeresboden durchgeführt werden können und der gleichzeitig so handlich ist, dass er von den Greifarmen der Unterwasserfahrzeuge punktgenau eingesetzt werden kann. Die In-situ- Technologieentwicklung und Feldarbeit der Mikrobielle Habitate-Gruppe - in Küstenbereichen wie auch auf hoher See - ist das Kernstück der Arbeitsgruppe und wird durch mehrere nationale und internationale Projekte unterstützt. (Boetius, Janssen, Langreder, Nordhausen, Røy, Treude, Wenzhöfer, Witte, Viehweger)

Die Drittmittelförderung in der Mikrobielle Habitate-Gruppe umfasst folgende Projekte:
BMBF/DFG Geotechnologies Programme: MUMM - Methane in the Geo-Bio System - Turnover, Metabolism and Microbes
DFG Forschergruppe Watt - BioGeoChemistry of Tidal Flats
EU-Projekte:
COSA - Coastal Sands as Biocatalytical Filters
EXOCET - Extreme ecosystem studies in the deep ocean: Technological Developments
HERMES - Hot spot ecosystem research on margins of European seas
METROL - Methane flux control in ocean margin sediments
ESF programme EUROCORES / EUROMARGINS: Mediflux - An integrated study of seepage through the seabed of the Nile deep-sea fan

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