Forschungsbericht 2004 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Der urheberrechtliche Interessenausgleich in der Informationsgesellschaft

Autoren
Hilty, Reto M.; Geiger, Christophe
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die Informationsgesellschaft hat große Bereiche des wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Lebens grundsätzlich verändert und eine Anpassung des Rechts erforderlich gemacht. Die Anpassung des Urheberrechts an diese neuen Herausforderungen bildete einen der Schwerpunkte der Abteilung Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht im Jahr 2004 und stellt auch eine längerfristige Herausforderung im Rahmen einer Vielzahl von Institutsprojekten dar.

EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft: Umsetzung in das deutsche Recht

Ein großer Teil der Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Forschung im Bereich des Urheberrechts liegt auf der laufenden Umsetzung der aus dem Jahr 2001 stammenden EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft in den Mitgliedstaaten. Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedstaaten, deren Gesetzgebungsaktivitäten am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht beobachtet werden, hat Deutschland unter dem vorgegebenen Zeitdruck eine erste Umsetzung mit der Urheberrechtsnovelle vom 13. September 2003 durchgeführt. Sensible und schwierige Fragen wurden dabei allerdings zunächst ausgeklammert. Im Rahmen des so genannten „zweiten Korbs“, einer weiteren Reform des Urheberrechts, sollten nun allerdings gewisse Korrekturen vorgenommen und weitere Anpassungen geprüft werden. Durch die vorgezogenen Neuwahlen in Deutschland ist dieses Vorhaben nunmehr zwar in Frage gestellt. Die Fragen bleiben aber unvermindert aktuell. Konkret geht es zum Beispiel um die Zukunft der Privatkopie bei digitalen Medien, um diverse Schrankenregelungen, das Vergütungssystem, aber auch die Rechtsstellung der Sendeunternehmen sowie (generell, aber vor allem mit Blick auf die Nutzung von Filmmaterial in Rahmen neuer Technologien) um die Frage, ob Nutzungsrechte an im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannten Nutzungsarten eingeräumt werden dürfen. Das Institut unterstützt diese Arbeiten durch zahlreiche wissenschaftliche Aktivitäten, insbesondere berät es das Bundesministerium der Justiz in Form von gezielten, oft rechtsvergleichenden Untersuchungen.

Einen Sonderfall bildet die sehr umstrittene Frage der Stellung der Wissenschaft innerhalb des Urheberrechts. Das Institut ist selbst Teil der betroffenen Max-Planck-Gesellschaft und spielt daher hier nicht die sonst übliche unabhängige Rolle. Es versucht stattdessen im Verbund mit anderen Wissenschaftsorganisationen deren spezifische Interessen zu vertreten. Dabei handelt es sich keineswegs um Eigeninteressen der Wissenschaft. Vielmehr bilden Forschung und Wissenschaft eine entscheidende Grundlage für Innovationen, welche ihrerseits wiederum den Motor für Wachstum und Wohlstand darstellen.

In diesem Zusammenhang mag es auf den ersten Blick nicht einleuchten, weswegen sich die Wissenschaft heute durch das Urheberrecht bedroht fühlt, nachdem jenes im Grunde nicht zuletzt zum Schutze wissenschaftlicher Forschung gedacht war. Die Erklärung dafür ist in den modernen Informationstechnologien zu suchen, welche den Wissenschaftlern auf der einen Seite zwar ganz neue Möglichkeiten des weltweiten Zugangs zu Information vermitteln. Die andere Seite der Medaille ist freilich, dass die Wissenschaftler die von ihnen selbst produzierte Information bis heute nicht selbst verwerten, sondern für die Publikation mit gewinnorientierten Verlegern zusammenarbeiten. Diese wiederum verfügen mit den neuen elektronischen Medien über technische Infrastrukturen, mit denen sie den Zugang zu den (zunehmend nur noch elektronisch verfügbaren) wissenschaftlichen Inhalten kontrollieren oder nur sehr selektiv gewähren. Als Folge davon müssen die Wissenschaftsorganisationen wie beispielsweise die Max-Planck-Gesellschaft heute beträchtliche finanzielle Mittel einsetzen, um überhaupt Zugang zu Informationen zu erlangen, die Partnerorganisationen (meist finanziert mit öffentlichen Geldern) publiziert haben und die essentiell für die eigene Arbeit sind.

Die Krux liegt mithin darin, dass die Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse nicht direkt untereinander austauschen, sondern die Nutzungsrechte jeweils einem kommerziell operierenden Verwerter einräumen, von dem sie andere Wissenschaftler (meist abermals mit öffentlichen Geldern) dann wieder erwerben müssen. Dieser Missstand ist so leicht auch gar nicht zu beseitigen. Denn Wissenschaftler sind in erster Linie auf Anerkennung angewiesen, um beruflich weiter zu kommen. Deswegen neigen sie dazu, in möglichst renommierten Zeitschriften zu publizieren, was umgekehrt bedeutet, dass sie dem Gedanken des Open Access (etwa in der Form der freien Publikation auf einer Homepage) sehr kritisch gegenüber stehen: Durch die freie Publikation verspielen sie sich die Möglichkeit der Publikation in einem hoch angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschrift, weil deren Verleger in aller Regel ein exklusives Nutzungsrecht durchsetzen kann. Dieser Umstand verleiht gerade jenen Verlagen, die weltweit agieren und Tausende von Zeitschriftentiteln unterhalten, eine starke Verhandlungsmacht. Diese mit traditionellen Mitteln wie dem Kartellrecht zu brechen, ist schwierig, weswegen der sachgerechten Ausgestaltung des Urheberrechts eine Schlüsselrolle zukommt. Ziel muss es mithin sein, dass jene Rechte, welche den Verlegern seitens der Wissenschaftler zum Zwecke der Informationsverbreitung eingeräumt werden müssen, von Gesetzes wegen so limitiert werden, dass ein Missbrauch ausgeschlossen ist.

Interessenausgleich im Urheberrecht

Das Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Urheberrecht ist im Grunde aber nur die Spitze des Eisbergs. Betrachtet man die gegenwärtigen Entwicklungen im breiteren Kontext, zeigt sich, dass der vom europäischen Recht gesteckte Rahmen nicht nur viele Fragen offen gelassen hat, zumal die angestrebte Harmonisierung in Tat und Wahrheit misslungen ist: Statt einer einheitlichen Definition aller zwingenden Schranken wurde lediglich ein – abschließender – Katalog aufgestellt, aus welchem die Mitgliedsländer optional Schranken auswählen können. Darüber hinaus zeigt die Ausgestaltung der Schranken, dass die effektiven Anforderungen der Informationsgesellschaft im europäischen Recht verkannt werden. Denn gerade die Frage des Zugangs zu Information ist ganz allgemeiner Natur, wobei die tatsächlichen Entwicklungen hier noch am Anfang stehen.

Konkret ist das Urheberrecht dabei mit zwei fundamentalen Problemstellungen konfrontiert. Zum einen basiert auch das heutige Urheberrechtsdenken noch immer auf der unzutreffenden Hypothese, dass es einen „Rechtsinhaber“ gebe, dessen Interessen potenziell im Widerspruch zu jenen der Allgemeinheit stehen. Tatsächlich zeigt jedoch gerade der Bereich der Wissenschaft exemplarisch, dass die Interessen der Urheber (also der Kreativen, der originären Rechteinhaber) und jene der Verwerter (der Inhaber eines abgeleiteten Rechts) weit auseinander klaffen. Dabei schafft das Urheberrecht mit der Fiktion, den „Urheber“ schützen zu wollen, ein Spannungsverhältnis gegenüber den Allgemeinheit, während es tatsächlich gar nicht die Urheber selbst sind, welche von der laufenden Verschärfung des Urheberrechts profitieren, sondern die Verwerter – zu Lasten der Interessen der Allgemeinheit. Die zweite fundamentale Problemstellung ist bei den heute einsetzbaren technischen Schutzmaßnahmen (dem so genannten Digital Rights Management) zu sehen. Sie lassen es zu, dass Werkverwendungen, die bislang ohne weiteres möglich waren, behindert oder sogar ausgeschlossen werden können. Auf dieser technischen Ebene ist das bisherige urheberrechtliche Instrumentarium deswegen deutlich verschärft worden, weil der Bestand dieser technischen Schutzmaßnahmen seinerseits rechtlich abgesichert ist (beispielsweise dürfen elektronische Zugangssperren nicht beseitigt werden). Abermals profitiert davon in der Regel aber nicht der einzelne Urheber, sondern die Verwertungsindustrie.

Bei allem Verständnis dafür, dass die Verwerter selbstverständlich einen angemessenen Rechtsschutz brauchen, um sich vor illegaler Piraterie zu schützen, drängt sich die Feststellung auf, dass ein gerechter Interessensausgleich nicht mehr besteht. Will man ihn zurückgewinnen, so gelingt dies wohl nur noch losgelöst vom derzeit geltenden internationalen und europäischen Recht. Diese Erkenntnis war der Anlass für ein bereits im Jahr 2003 begonnenes, breit angelegtes Forschungsprojekt mit dem Titel „Interessenausgleich im Urheberrecht“. Ziel des Projekts ist es, ein Forum für eine Standortbestimmung des Urheberrechts zu bilden und gemeinsam mit Experten renommierter ausländischer Forschungsinstitutionen konsolidierte Thesen dafür zu entwickeln, wie ein ausbalanciertes Urheberrecht künftig ausgestaltet sein muss.

Interessengerechte europäische Harmonisierung aus deutsch-französischer Sicht

Zwischen den Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit der unmittelbar anstehenden Gesetzgebung im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft auf der einen und dem eher visionär ausgelegten Projekt einer Suche nach dem gerechten Interessenausgleich steht ein weiteres Forschungsvorhaben, das zukünftig den Einfluss der Wissenschaft auf die Rechtsentwicklung in Europa sichern soll. Ziel ist es, ein fachkundiges Gegengewicht zu den stark vom Lobbyismus geprägten Gesetzgebungsaktivitäten bilden zu können.

Wenngleich die Gesetzgebung auf europäischer Ebene die Harmonisierung nationaler Rechte anstrebt, so zeigen sich doch häufig Unterschiede sowohl in der nationalen Gesetzgebung als auch in der Rechtsprechung. Diese Unterschiede werden im Rahmen des Forschungsprojekts analysiert. Mag es dabei auch illusorisch erscheinen, stets die Gesetzgebung aller inzwischen fünfundzwanzig Mitgliedsländer genauer zu untersuchen, so erweist sich ein Vergleich gewisser Rechtsordnungen, aus denen ein besonderer Einfluss geltend gemacht wird, doch als besonders fruchtbar. Insbesondere lehrreich erscheinen dabei – jedenfalls bezogen auf das Immaterialgüterrecht – das französische und das deutsche System, weil beide Rechtskonzeptionen den Inhalt europäischer Rechtserlasse traditionsgemäß entscheidend prägen. Als besonders geeignet erwies sich vor diesem Hintergrund eine Kooperation mit dem französischen Institut de Recherche en Propriété Intellectuelle in Paris.

Zurzeit werden die Perspektiven des europäischen Urheberrechts aus deutscher und französischer Sicht erfasst, um auf die möglichen Veränderungen frühzeitig reagieren und für die künftige Rechtsentwicklung Impulse liefern zu können. Das Projekt gestaltet sich in Form einer Vortragsreihe, die abwechselnd (mit gleicher Themenstellung und gleichen Referenten aus beiden Ländern) in Paris und München stattfindet. Namentlich die Reaktionen anlässlich der jeweils anschließenden Publikumsdiskussion führen dabei zu aufschlussreichen Erkenntnissen der Unterschiede. Behandelt werden in diesen Vortragsreihen die derzeit besonders brennenden Fragen: Zum einen bezieht das Urheberrecht sowohl in sachlicher Hinsicht wie auch mit Blick auf die so genannte „Schöpfungshöhe“ Bereiche mit ein, die vor dem Hintergrund möglicher negativer Auswirkungen des urheberrechtlichen Schutzes je nachdem gar nicht erfasst sein sollten oder jedenfalls einem weniger weit reichenden Schutzinstrument zugeführt werden könnten (zum Beispiel besondere Leistungsschutzrechte). Zum anderen werden auch spezifische Fragen zum Verwertungsrecht und zum Urhebervertragsrecht in Europa aufgegriffen, denn solche Themenbereiche stehen derzeit auf der Agenda der Europäischen Kommission in Brüssel.

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