Forschungsbericht 2004 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Unternehmensinformation und Wettbewerbsschutz

Autoren
Link, Simon
Abteilungen

Rechnungslegung und Steuern (Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die Ausweitung von Informationspflichten für Unternehmen ist derzeit ein populäres Regulierungsinstrument. Als solches hat sie eine Reihe von ökonomisch fundierten Vorteilen. Allerdings besteht die Gefahr, dass Unternehmen durch ihre Pflichtpublikationen Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten und anderen Marktteilnehmern erleiden. Diese Vor- und Nachteile in Einklang zu bringen wird dadurch erschwert, dass einmal gegebene Informationen nicht mehr zu kontrollieren sind. Die Rechtsordnung kann entweder die ungehinderte Verbreitung von Informationen beschränken oder anhand des Umfangs und Detailgrades der zu publizierenden Informationen differenzieren.

Informationspflichten sind ökonomisch sinnvoll

Aus ökonomischer Sicht sprechen eine Reihe von Gründen für eine ausführliche Berichterstattung der Unternehmen. Unternehmen agieren auf Märkten und eine ausreichende Information der Marktteilnehmer ist für deren Funktionieren essentiell. Viele ökonomische Marktmodelle unterstellen sogar die vollkommene Information aller Akteure. Wenn Informationen allgemein verfügbar sind, können alle Marktteilnehmer optimale Entscheidungen treffen. Das fördert die Effizienz, da Fehlurteile vermieden werden. Auch zwischen Kapitalgebern und Managern eines Unternehmens wirkt intensiver Informationsaustausch positiv. Er erleichtert die Überwachung und stellt sicher, dass die Manager nicht ihre eigenen, sondern Unternehmensinteressen verfolgen.

Informationspflichten sind ein besonders schonendes Regulierungsinstrument

Informationspflichten machen sachliche Regelungen, die die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung der Unternehmen einschränken, entbehrlich. Das funktioniert deshalb, weil Information eine Selbstregulierung durch die Marktteilnehmer ermöglicht. Das zeigt etwa die Diskussion über gesetzliche Mindestkapitalanforderungen. Das sind die Regelungen, nach denen Kapitalgesellschaften ein bestimmtes Mindestkapital haben müssen, dessen Aufbringung und Erhaltung durch restriktive Vorschriften gesichert wird. Auf diese kann man eventuell verzichten, wenn die Marktteilnehmer hinreichend über die Kapitalausstattung eines Unternehmens informiert sind. Dann können sie nämlich selbst entscheiden, ob sie mit einer Gesellschaft Geschäfte machen oder zunächst zusätzliche Sicherheiten fordern. Die Information über die Kapitalausstattung ersetzt somit eine sachliche Regulierung derselben.

Diese besondere Eignung von Informationspflichten als schonendes Regulierungsinstrument zeigt sich besonders im Fall des europäischen Binnenmarktes. Dessen Verwirklichung wird nach wie vor durch die unterschiedlichen Anforderungen, die für wirtschaftliche Betätigung in den Mitgliedsstaaten gelten, behindert. Können aber nach der schon erläuterten Wirkungsweise sachliche Anforderungen durch Informationspflichten ersetzt werden, so wird dieses Binnenmarkthindernis beseitigt. Unternehmen müssen dann nur die sachlichen Anforderungen eines Landes erfüllen und gleichzeitig ihre Geschäftspartner darüber informieren, welchem Regime sie unterliegen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht haben also Informationspflichten zahlreiche Vorteile und positive Wirkungen.

Unternehmen fürchten Wettbewerbsnachteile

Aus Sicht des einzelnen Unternehmens besteht allerdings die Befürchtung, dass durch die Veröffentlichung sensibler Informationen Wettbewerbsnachteile entstehen. So können Publikationen etwa Rückschlüsse auf die Geschäftsstrategie eines Unternehmens zulassen und damit Konkurrenten wertvolle Informationen liefern. Durch die Publikation besonders guter Zahlen in bestimmten Unternehmensbereichen können Konkurrenten auf Geschäftschancen oder besonders lukrative Märkte hingewiesen und so zum Markteintritt veranlasst werden. Durch die Offenlegung von Verlusten und Risiken könnte ein Unternehmen Schwächen zeigen und so Angriffe von Wettbewerbern oder Übernahmeversuche provozieren. Wenn aufgrund von Bilanzangaben Kalkulationsdetails und Margen bekannt werden, drohen Nachteile bei Ausschreibungen sowie in Verhandlungen mit Lieferanten und Abnehmern.

Da die Informationspflichten also positive wie negative Wirkungen haben können, muss die Rechtsordnung versuchen, den Konflikt zwischen den verschiedenen Wirkungen optimal zum Ausgleich zu bringen. Dabei sind auch die Einflüsse höherrangigen Rechts, insbesondere des Europarechts zu beachten.

Das EU-Recht: Informationsanforderungen ohne Beschränkungsregeln

Der maßgebliche Einfluss des Europarechts besteht darin, dass die Verordnungen und Richtlinien der EU zahlreiche Informationspflichten, insbesondere bei der Rechnungslegung und im Kapitalmarktrecht, fordern. Dabei verlangt das Gemeinschaftsrecht eine strikte Umsetzung, flankiert von wirksamen Sanktionen.

Ansatzpunkte für eine Beschränkung von Informationsanforderungen aus Wettbewerbsgründen sind dagegen im Europarecht kaum zu finden. Insbesondere die Grundfreiheiten können wohl nur in Extremfällen zum Schutz vor Informationspflichten herangezogen werden. Grund für diese Rigidität ist sicherlich nicht zuletzt die bereits erwähnte besondere Binnenmarktkompatibilität von Informationspflichten als Regulierungsinstrument ebenso wie die Sorge um die effektive Durchsetzung des Sekundärrechts.

Die Unkontrollierbarkeit von Informationen erschwert ideale Lösungen

Will man die Vorteile von Informationspflichten für Märkte und Unternehmen mit den Anforderungen aus deren Wettbewerbssituation in Einklang bringen, zeigt sich, dass eine grundlegende Eigenschaft von Informationen maßgeschneiderten Lösungen entgegensteht. Solche wären nur dann möglich, wenn für verschiedene Zwecke der Unternehmensinformation verschieden umfangreiche Informationspflichten vorgeschrieben werden könnten. Eine einmal gegebene Information kann jedoch nicht mehr kontrolliert werden und sie breitet sich mitunter über die ursprünglich angesprochene Zielgruppe hinaus aus.

So mag etwa ein Aktionär einer Gesellschaft detaillierte Informationen über den Beschlussgegenstand benötigen, um eine Hauptversammlungsvorlage beurteilen zu können. Auch mag zumutbar sein, dass die Gesellschaft die Information in diesem Zusammenhang preisgibt. Es lässt sich aber nicht verhindern, dass der Aktionär diese Informationen auch bei seiner Entscheidung über Kauf und Verkauf von Aktien der Gesellschaft benutzt und sie an Dritte weitergibt. Damit ist die Information jedoch bereits für den Kapitalmarkt relevant. Sie muss dann zur Wahrung der Chancengleichheit allen Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt werden. Unter diesen befinden sich aber sicherlich auch Wettbewerber. Angesichts dessen ist die Zumutbarkeit einer Veröffentlichung für die Gesellschaft sicher schon anders zu beurteilen. Eine maßgeschneiderte Lösung für den ursprünglichen Zweck – Information über einen Beschlussgegenstand auf der Hauptversammlung – ist somit schon nicht mehr möglich.

Informationswege sind rechtlich nur bedingt kontrollierbar

Es sind zwar rechtliche Maßnahmen denkbar, wie dieses Dilemma abgemildert werden kann. Eine vollständig zufriedenstellende Lösung bieten sie jedoch nicht und sie sind teilweise nur für einzelne Rechtsbereiche geeignet.

So wirkt das GmbH-Recht einer Weiterverbreitung von Informationen mit einer Geheimhaltungs- und Schadenersatzpflicht sowie einem Wettbewerbsverbot für die Gesellschafter entgegen. Das ist jedoch hier nur wegen des in der Regel kleinen Gesellschafterkreises möglich. Bei kapitalistisch strukturierten GmbHs mit vielen Gesellschaftern stößt diese Regelung bereits an Grenzen.

In einem Fall hat das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der Nutzung von Informationen aus dem Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft für andere als den ursprünglichen Zweck bestätigt. Einem Hochschullehrer war untersagt worden, in kommerziellen Vorträgen Bilanzanalysen anhand der ungeschwärzten Bilanz eines Unternehmens zu demonstrieren und dabei auf dessen desolate Lage hinzuweisen. Ob jedoch diese Entscheidung auf weitere Sachverhalte übertragbar ist, ist fraglich.

Als weitere Differenzierung könnte man die Durchsetzung von Informationspflichten nur solchen Personen ermöglichen, für die die jeweiligen Informationen tatsächlich bestimmt sind. So musste etwa jüngst der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Verfahren deutschen Ursprungs entscheiden, ob auch Konkurrenten einer GmbH & Co KG diese dazu zwingen können, ihre Jahresabschlüsse zum Handelsregister einzureichen. Der EuGH hat die Einschränkung des Durchsetzungsrechts allerdings abgelehnt.

In eine ähnliche Richtung ginge eine Beschränkung von Sanktionen im Falle der Veröffentlichung von falschen Informationen. Hier stellt sich die Frage, ob jemand, der eine Unternehmensinformation zu einem Zweck nutzt, für den sie ursprünglich nicht gedacht war, dennoch das informationsgebende Unternehmen für einen dabei entstandenen Schaden haftbar machen kann. Kann etwa ein Konkurrent, der sich bei seiner Geschäftsplanung auf Informationen aus der Rechnungslegung seines Wettbewerbers gestützt hat, von diesem Schadenersatz verlangen, wenn die Informationen falsch waren?

Differenzierung nach Umfang und Detailgrad der Pflichtinformationen

Wo solche Maßnahmen zur Beschränkung des freien Informationsflusses nicht greifen, bleibt nur die Abwägung zwischen zwei Extremen: Der Gesetzgeber kann verlangen, dass Informationen veröffentlicht werden und nimmt dabei die unkontrollierte Weiterverbreitung in Kauf, oder er gestattet es dem Unternehmen, sich auf Geheimhaltungsinteressen zu berufen. Einziges Differenzierungsinstrument bleibt dann die Auswahl der zu gebenden Informationen und eventuell der Detailgrad und die Ausführlichkeit, mit der diese gegeben werden müssen.

Dieses Mittels bedienen sich das geltende Gesellschafts- und Bilanzrecht, indem sie den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, bestimmte Informationen zurückzuhalten, wenn andernfalls das Unternehmensinteresse gefährdet wäre. Auch die neue Regelung zur Ad-hoc-Pflicht durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz sieht vor, dass das Unternehmen auf eine Veröffentlichung in einem solchen Fall verzichten kann. Im Recht der Lageberichterstattung darf nach wohl herrschender Meinung eine Gefährdung des Unternehmens dadurch vermieden werden, dass man kritische Informationen nur in allgemeiner und abstrakter Form gibt.

Die internationalen Rechnungslegungsstandards IAS (International Accounting Standard) und IFRS (International Financial Reporting Standard) enthalten keine Vorschriften, die ausdrücklich ein Zurückhalten von Informationen aus Wettbewerbsgründen erlauben. Allerdings geht man davon aus, dass die vielen impliziten Wahlrechte und Beurteilungsspielräume den Unternehmen genügend Möglichkeiten lassen, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Deshalb mag hier die wohl auch sonst verbreitete Taktik greifen, den Baum im Wald zu verstecken, also brisante Informationen zwischen weniger wichtigen zu verbergen.

Fazit

Informationspflichten sind für Unternehmen trotz der vielen Vorteile kein stets nur positiv zu bewertendes Regulierungsinstrument. Wegen der besonderen Eigenschaften des Gutes Information, insbesondere seiner Tendenz, sich unkontrolliert zu verbreiten, ist es schwierig, die Vorteile zu Nutzen und gleichzeitig die Nachteile für den Wettbewerb zu vermeiden. Dennoch finden sich in den verschiedenen Rechtsgebieten eine Reihe von Ansatzpunkten, die – differenziert eingesetzt – zufriedenstellende Lösungen ermöglichen.

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