Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion

Spektroskopische Modelle für Paramagnetische Aktiv-Zentren im Photosystem II

Autoren
Bill, Eckhard
Abteilungen

Bioanorganische Chemie (Prof. Dr. Karl Wieghardt)
MPI für bioanorganische Chemie, Mülheim an der Ruhr

Zusammenfassung
Die Photosynthese der grünen Pflanzen und mancher Bakterien beruht auf der Funktion von sehr komplexen molekularen Maschinen. Wie in einer Fabrik wird in den Photosystemen der Zellen das Sonnenlicht eingefangen, die gewonnene Energie dann in einer Reihe von Schritten stabilisiert und in chemisch verwertbare Form umgewandelt, um damit chemische Nutz-Reaktionen auszuführen – von denen die Spaltung des Wassers die wichtigste und auch chemisch anspruchvollste ist. Die grundlegenden Schritte des Prozesses beruhen auf der Trennung von elektrischen Ladungen an redox-aktiven Gruppen in den Proteinmolekülen des Photosystems sowie der effizienten Weiterleitung und Steuerung des Ladungsflusses. Durch genau tarierte Redoxpotenziale und einer geschickten räumlichen Anordnung der beteiligten Zentren wurde im Laufe der Evolution verhindert, dass die getrennten und gesammelten Ladungen quasi durch Kurzschluss sofort wieder verloren gehen. Das besondere Interesse unserer Forschung gilt der Frage, wie einzelne redox-aktive Molekülgruppen des Reaktionszentrums, an dem die Wasserspaltung stattfindet, über beträchtliche Entfernungen zusammenwirken – und wie man die Wechselwirkungen und ihre Steuerung auf molekularer Ebene mit physikalischen Methoden messen kann. Das „große Ziel“ solcher Forschungsprojekte ist das Verständnis der natürlichen Vorgänge in solcher Tiefe und Detail, dass man die Prozesse letztlich im Labor nachahmen kann. In dem hier vorgestellten Projekt wurde eine Serie von strukturell verwandten Mangan-Modellkomplexen synthetisiert, die quasi Ausschnitte aus dem natürlichen System darstellen. Diese künstlichen Verbindungen zeigen zum ersten Mal in vitro die physikalischen Eigenschaften, die man vom so genannten S2Yz-Zustand des natürlichen Photosystems (PS II) kennt. Der S2Yz-Zustand ist ein von außen stabilisierbarer Schaltzustand in der Oxidationskette des wasserspaltenden Mangan-Komplexes in PS II. Da hier beide Zentren, der Mangankomplex und das Radikal, im S2Yz-Zustand wie in den Modellen jeweils einen Spin tragen, also paramagnetisch sind, kann man ihre magnetische Dipolwechselkopplung zur Messung ihrer Wechselwirkungen (und besonders des Abstandes) nutzen. Experimentell verwendet man dazu paramagnetische Elektronen-Spin-Resonanz (EPR)-Spektroskopie. Die bekannten Molekülstrukturen und gezielten räumliche Variationen der synthetischen Modelle haben zum ersten Mal systematische EPR-Studien und magnetische Suszeptibilitätsmessungen für so komplexe paramagnetische Zentren wie im PS II ermöglicht. Die gewonnenen Erkenntnisse beleuchten viele prinzipielle Feinheiten von realen Systemen und bieten Grundlagen für Messungen und Interpretationen in biochemischen Systemen.

Dass die Kenntnis der Struktur einer chemischen Verbindung Vorbedingung für das Verständnis ihrer chemischen Reaktionen ist, gilt insbesondere für Enzyme. Sie sind besonders groß und haben komplexe Molekülstrukturen mit mehreren funktionell aktiven Zentren, an denen während des biologischen Katalysezyklus Reaktionspartner binden oder Elektronen aufgenommen bzw. abgegeben werden. Ohne Wissen zumindest über die grundlegende räumliche Anordnung der „molekularen Maschinerie“ kann man nicht hoffen, deren Funktionen aufzuklären und die biochemischen Reaktionen im Detail zu verstehen. Die erfolgreichste Methode zur Strukturbestimmung aber, die Beugung von Röntgenstrahlen an Einkristallen, hat bei der Aufklärung von Biomolekülen leider mitunter Grenzen, die nicht nur durch die Auflösung und die großen Abmessungen der Proteinmoleküle und ihrer Flexibilität gegeben sind. Zwar sind die Röntgen-Struktur-Informationen sehr wertvoll (obwohl wirklich atomare Dimensionen eher selten erreicht werden), aber nicht jedes Protein kann kristallisiert werden – und schon gar nicht beliebige katalytische Zwischenzustände. Manchmal sind gerade die interessantesten Intermediate eines Reaktionszyklus nur sehr kurzlebig und können bestenfalls in Lösung unter kontrollierten Reaktionsbedingungen vorübergehend angereichert und eingefangen werden – ohne dass im Endeffekt Einkristalle für Röntgenbeugungsaufnahmen zu erhalten wären.

Bei der wichtigen und großen Gruppe von Elektronentransfer- und Redox-Reaktionen kommen durch Übertragung von Elektronen zwischen den Reaktionszentren und den chemischen Reaktionspartnern Zwischenzustände vor, die eine ungerader Zahl von Valenzelektronen haben, also Spins tragen und damit paramagnetisch sind. Die paramagnetischen Eigenschaften solcher Redoxzentren und deren weit reichende magnetische Dipol-Wechselwirkung kann man für Abstandsbestimmungen mit spektroskopischen Mitteln nutzen. Als Messmethode eignet sich dabei ganz besonders die Elektronen-Spin-Resonanz-Spektroskopie (allgemeiner auch paramagnetische Elektronenresonanz-Spektroskopie genannt, weil nicht nur Spin-, sondern auch magnetische Bahnmomente eine Rolle spielen; besser bekannt unter der englischen Bezeichnung Electron Paramagnetic Resonance, EPR). Man weiß heute genau, wie die EPR-Spektren von einander benachbarten Paramagneten durch die gegenseitigen „Streufelder“ ganz charakteristisch beeinflusst werden können. Je nach Stärke der Dipolwechselwirkung können typische Seitenbänder in den üblichen EPR-Spektren auftreten, oder, wenn der Abstand größer und die Wechselwirkung schwächer ist, verändern sich mehr die Relaxationseigenschaften der Spinsysteme, also deren Dynamik. Dieser Effekt kann besonders empfindlich durch das Echo der Proben auf Mikrowellenimpulse gemessen werden. Da die Dipolwechselwirkung zwischen den Zentren nicht über chemische Bindungen vermittelt wird, sondern sich frei durch den Raum ausbreitet und nach einer einfachen Gesetzmäßigkeit mit der Entfernung abnimmt (proportional r-3), lässt sich aus den typischen Dipol-Mustern der EPR-Spektren oder der Spinechos relativ einfach Information über den Abstand von Spin-Paaren gewinnen. Die theoretischen und experimentellen Grundlagen dieser Messungen wurden in den letzten 30 Jahren ausführlich untersucht und beschrieben.

Wissenschaftlich reizvoll ist, dass für EPR-Messungen Proteine nicht aufwendig kristallisiert werden müssen – man braucht nur relativ wenig Material und kann häufig durch Schock- und Tieffrieren reaktive und kurzlebige Zwischenzustände einfangen und studieren. Für manche Enzymsysteme und Reaktions-Intermediate können EPR-Abstandsmessungen deshalb eine effiziente Methode zur Gewinnung selektiver Strukturdaten darstellen. Auch künstlich erzeugte organische Radikale werden neuerdings sehr erfolgreich als Spin-Marker für Abstandmessungen eingesetzt, da die Methode der „site-directed mutagenesis“ es relativ problemlos erlaubt, künstliche Aminosäuren mit stabilen künstlichen Radikalen gezielt in Proteinstrukturen einzubauen. Über die Abstandmessungen hinaus liefern EPR-Spektren aber auch wertvolle Informationen über die Elektronenstruktur der untersuchten paramagnetischen Zentren. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um physiologisch vorhandene Übergangsmetallionen wie Eisen, Nickel oder Mangan handelt. Diese haben offene Valenzschalen und können mehrere Oxidationszustände annehmen, auch mit den höheren Spinzuständen S = 3/2, 2, 5/2, usw. Damit sind sie prädestiniert für katalytische Aufgaben, aber sie bieten auch ausgeprägt reiche spektroskopische Eigenschaften – woraus sich umgekehrt ihre chemischen Eigenschaften ableiten lassen.

Enzymsysteme, für deren Untersuchung spektroskopische Abstandsmessungen mit verschiedenen EPR-Techniken eine ganz wesentliche Rolle spielen, sind die bakteriellen und pflanzlichen Photosysteme. Das Photosystem der grünen Pflanzen (PS II) ist eine der komplexesten molekularen Maschinen und stellt so etwas wie den „heiligen Gral“ der bioanorganischen und biophysikalischen Forschung dar. Seine Aufklärung, insbesondere die Funktion des wasserspaltenden Reaktionszentrum (RC) und dessen genaues Verständnis („sodass man es nachmachen könnte“), ist eine erhebliche wissenschaftliche Herausforderung mit beträchtlichem technischem Anwendungspotenzial. Es gilt zu lernen, wie die Energie des eingefangenen Lichts in PS II zur sukzessiven Sammlung von vier Oxidationsäquivalenten auf dem vierkernigen Manganzentrum des RC verwendet wird – was letztlich mit hoher Effektivität zur Wasserspaltung und damit zur Erzeugung von Wasserstoff und Sauerstoff, d.h. zur Sammlung und Speicherung von Energie ohne Abfallprodukte genutzt wird. Diese besondere, chemisch enorm anspruchsvolle Aufgabe kann man bisher noch keineswegs im Labor mit einem künstlichen System nachmachen.

Eine der möglichen Schlüsselstellen für die Oxidation des Manganzentrums in PS II ist eine Tyrosin-Gruppe, Yz, die redox-aktiv ist und die als eine Art Elektronen-Relais funktionieren kann. Viele Studien haben sich auf die wichtige Frage des Abstandes dieser Gruppe vom Mn4-Zentrum konzentriert. Für EPR-Methoden eignet sich dabei besonders der künstlich stabilisierte Zwischenzustand S2Yz. Der S2-Zustand ist der dritte von insgesamt fünf Redox-Stufen des Manganzentrums (S0 bis S4), in dem der Mn4-Cluster einen halbzahligen Gesamtspin SMn = 1/2 hat und der ein sehr charakteristisches Multi-Linien-EPR-Spektrum mit Hyperfeinkopplung aufweist, das stark an die Spektren von wohlbekannten synthetischen zweikernigen Mn(III)Mn(IV)-Komplexen erinnert. Ausführliche Messungen und Auswertungen weisen aber doch eher auf drei Mn(III)- und ein Mn(IV)-Ion hin, die elektronisch zusammenwirken und magnetisch gekoppelt sind. Die Oxidation des Mn4-Zentrums zum S3- Zustand kann chemisch blockiert werden, wobei sich stattdessen der erwähnte Zwischenzustand S2Yz bildet. Dabei bleibt die Tyrosingruppe oxidiert und liegt als Radikal Yz mit Spin Srad = 1/2 vor. Obwohl Röntgenbeugungsmessungen von PS II einen Abstand von ca. 7,5 Å zwischen dem Mn4-Cluster und der Tyrosin-Gruppe Yz vermuten lassen, konnte der wahre Abstand der beiden Redoxzentren in definierten Redoxzuständen bisher nicht eindeutig geklärt werden.

Eine Serie von EPR-Untersuchungen am S2Yz-Zustand von PS II hat nun gezeigt, dass man die langreichweitige Dipolwechselwirkung des Spin-Paares in der Tat recht empfindlich messen kann. Die Auswertung der Ergebnisse und die daraus abgeleiteten Abstandsbestimmungen leiden allerdings auch hier an einer grundsätzlichen Schwierigkeit: der Mn4-Cluster stellt keinen magnetischen Punktdipol dar, sondern weist eine ausgedehnte Verteilung der Spindichte über die vier Spin-gekoppelten Manganionen mit getrennten positiven und negativen lokalen magnetischen Momenten auf. Im Detail erfordert dies erhebliche Korrekturen am theoretischen Abstandsmodell für die Auswertung solcher Daten. Da aber weder die genaue räumliche Struktur des Mn4-Clusters noch die grundsätzliche Verteilung der Valenz- und Spinzustände der Mangan-Ionen richtig bekannt sind, kann man das Spinkopplungsschema und die daraus resultierende Verteilung des magnetischen Moments nicht exakt berechnen, sondern muss unsichere allgemeine Annahmen einfließen lassen. Ähnliche Überlegungen gelten für die Verteilung der Radikal-Spindichte, die auch über kovalente Bindungen räumlich ausgedehnt verteilt sein kann. Wie man sich intuitiv vorstellen kann, hängt die Stärke der Dipolwechselwirkung zwischen zwei paramagnetischen Zentren nicht nur vom Abstand, sondern auch von der Orientierung der Spindichteverteilungen relativ zueinander ab. Entsprechend unsicher sind deshalb auch die Ergebnisse der EPR-Abstandsbestimmungen. Dies gilt natürlich nicht nur für den S2Yz-Zustand von PS II, sondern für viele biochemischen Moleküle – der S2Yz-Zustand soll hier nur als ein Beispiel für die systematische Aufklärung solcher Systeme angeführt werden, die eine besonders relevante Forschungsaktivität des Instituts bilden.

Es gibt in der chemisch-physikalischen Fachliteratur eine ganze Reihe von Berichten über EPR-Untersuchungen an synthetisch erzeugten Übergangsmetallkomplexen mit kovalent an den Metall-Liganden gebundenen stabilen organischen Radikalen. Moleküle mit verschiedenen geometrischen Anordnungen und Abständen der paramagnetischen Zentren wurden in den verschiedensten flüssigen und gefrorenen Lösungen untersucht und so viele grundsätzliche Phänomene daran studiert. Aber nur sehr wenige der untersuchten Komplexe wurden auch wirklich strukturell charakterisiert, sodass man tatsächlich geometrische und spektroskopische Eigenschaften hätte abgleichen können. Es war insbesondere bisher kein einziges Modell bekannt, das die wesentlichen Eigenheiten des S2Yz-Zustandes aufwies, nämlich starke Austauschwechselwirkungen zwischen zwei oder mehr Mangan-Ionen mit verschiedenen Valenzen und eine schwache langreichweitige Spinkopplung zu einem organischen Radikal in einem festen Abstand.

Das Ziel war nun, mit neuen gezielten Modellsystemen die verschiedenen Einflüsse der chemischen Umgebung wie auch der geometrischen Anordnung auf die Wechselwirkung zwischen paramagnetischen Zentren mit ausgedehnten Spindichten wie im S2Yz-Zustand von PS II möglichst systematisch zu ergründen. Dazu mussten zunächst passende Mangankomplexe mit kovalent verbundenen organischen Radikalen synthetisiert und charakterisiert werden, die in einer Serie von verwandten Verbindungen systematische Variationen des Mangan-Radikal-Abstands, der chemischen Natur der Brücke (mit konjugierten oder nicht konjugierten Bindungen) und des Valenzzustandes des Manganclusters (oder auch der Art des Radikals) aufweisen. Dabei war es sinnvoll, sich zunächst auf zweikernige Komplexe zu konzentrieren, weil die Spinkopplung in Dimeren leichter und klarer zu verstehen ist als in den Mn4-Einheiten – wobei grundsätzlich aber die gleichen Mechanismen der Kopplung vorliegen. Dementsprechend sind sich die EPR-Spektren von solchen Mn2- und Mn4-Einheiten prinzipiell recht ähnlich. Das Paradebeispiel dieser Synthesen ist in Abbildung 1 gezeigt: die Molekülstruktur des Komplexes [(Me4dtne)Mn2(µ-O)2(µ-O2C-PROXYL)]2+, kurz als Verbindung (1) bezeichnet. Der Komplex hat den gleichen stabilen Kern wie alle in dieser Serie, mit zwei verbrückenden Sauerstoffatomen zwischen zwei Manganionen im „Mantel“ des sechszähnigen Liganden (Me4dtne). Die kovalent gebundene organische „Seitengruppe“ trägt ein stabiles organisches Radikal (hier eine sog. PROXYL-Gruppe), das hauptsächlich auf der NO-Gruppe lokalisiert ist (im Bild durch einen roten Punkt angezeigt). Die genaue Molekülstruktur ist das Ergebnis einer Röntgenbeugungsmessung an einem Einkristall.

Die beiden Zentral-Ionen des Komplexes (1) haben die Valenzen Mn(III) und Mn(IV) und „lokale“ Spins SMnIII = 2 und SMnIV = 3/2. Dass es, wie erwartet, eine starke Spinkopplung zwischen den beiden Ionen gibt, sieht man an der magnetischen Suszeptibilität der Verbindung, einer relativ einfachen Messung, die an festem Pulvermaterial gemacht wurde und oben rechts in Abbildung 1 gezeigt ist. Experten erkennen an der Temperaturabhängigkeit des so genannten effektiven magnetischen Momentes µeff sofort, dass der Mn2-Cluster im Grundzustand bei tiefen Temperaturen einen Gesamtspin von S2 = 1/2 hat, was bedeutet, dass die beiden „lokalen“ Mangan-Spins anti-parallel zueinander ausgerichtet sind, weil die Spin-Spinwechselwirkung „anti-ferromagnetisch“ ist. Oberhalb 200 K steigt das effektive Moment an, weil dann auch höhere Spin-Zustände für das Manganzentrum möglich sind (zu sehen in dem kleinen eingesetzten Bild unter den Magnetisierungskurven oben rechts). Darüber hinaus weist die Auffächerung der Magnetisierungskurven bei verschiedenen angelegten Feldstärken B darauf hin, dass es auch eine merkliche Kopplung des Mn2-Zentrums zum Spin Srad = 1/2 des Radikals geben muss. Die genauen Messungen der jeweiligen Anteile der Spinkopplung, die einerseits durch die chemischen Bindungen vermittelt werden (die sog. Austauschwechselwirkung) und die andererseits sich frei durch den Raum ausbreiten (die Dipolwechselwirkung), waren dann das Ziel von eingehenden EPR-Studien an gefrorenen Lösungen des Komplexes.

Es bleibt noch zu erwähnen, dass man interessante Derivate der Verbindungen erhalten kann, wenn man sie elektrochemisch an einer Elektrode reduziert oder oxidiert. Die messbaren Redox-Eigenschaften stellt man üblicherweise anschaulich in einem „zyklischen Voltammogramm“ dar (unten rechts in Abb. 1). Die Spitzen in diesen elektrischen Stromkurven entsprechen induzierten Elektronenübertragungen zwischen der Arbeitselektrode und den untersuchten Molekülen bei der jeweils erreichten Spannung. Diese elektrochemischen Potenziale liefern einerseits wichtige Informationen zum Verständnis der katalytischen Eigenschaften der Verbindungen. Durch selektive Oxidation oder Reduktion kann man aber auch gezielt solche Modifikationen herstellen, bei denen z.B. das Radikal in eine unmagnetische Gruppe überführt wird oder in denen der Metallcluster zwei homovalente Manganionen mit gleichem Spin hat, die zu einem SMn2 = 0-Grundzustand gekoppelt sind. Diese Zustände sind für systematische EPR-Untersuchungen außerordentlich hilfreich, weil sie quasi die isolierten „Eltern“ des gekoppelten Spinsystems von Komplexen wie (1) darstellen. Man kann daran – ungestört von der Kopplung zwischen den Zentren – die einzelnen Eigenschaften gezielt messen und anschließend in die Analyse der komplexen Systeme übertragen. Wie unterschiedlich die jeweiligen isolierten {Mn(III)Mn(IV)}- und Radikal-Zentren von (1) sind, und wie groß der spektroskopische Einfluss der Kopplung ist, soll im Folgenden dargestellt werden.

Das magnetisch isolierte {Mn(III)Mn(IV)}-Zentrum eines Komplexes ohne Radikalspin auf der organischen Seitengruppe zeigt ein sehr charakteristisches EPR-Spektrum von zumindest sechzehn aufgelösten Einzellinien, wie in Abbildung 2 gezeigt ist (rote Kurve, Komplex (2)). Die Aufspaltung der Linien durch Hyperfeinkopplung des Elektronenspins mit den Kernspins der 55Mn-Kerne (das natürliche Isotop mit 100% Häufigkeit) ist mittlerweile so gut verstanden, dass man die Spektren perfekt simulieren kann. Die regelmäßig auftretenden Resonanzen gehören zu insgesamt 6x6 Einstellungsmöglichkeiten der beiden Kernspins mit I = 5/2 relativ zum Elektronenspin SMn2 = 1/2. Allerdings sind wegen der spezifischen Spinverteilung nur sechzehn der Übergänge aufgelöst. Eine theoretische Simulation dieser Muster liefert alle relevanten Parameter für die physikalische Beschreibung der Spinkopplung innerhalb des Manganzentrums.

Dagegen eignen sich einige oxidierte Komplexe bestens für Messungen der magnetischen Eigenschaften des isolierten Radikalspins. Die Metallionen liegen in diesen Modifikationen beide als Mn(IV) vor. Da sie also auch gleiche Spins haben, führt ihre anti-ferromagnetische Spinkopplung quasi zu einer gegenseitigen „Aufhebung“ der magnetischen Momente und damit zum diamagnetischen Zustand des gesamten Mn2-Clusters. Das EPR-Spektrum eines solchen Beispiels zeigt die sehr scharfen EPR-Linien und geringen Aufspaltungen, die typisch für organische Radikale sind und die sich deutlich von den weit aufgespaltenen Spektren von Übergangsmetallionen unterscheiden (Komplex (3) in Abb. 2). Der Unterschied liegt in den verschiedenen Eigenschaften der Elektronenorbitale der beteiligten Elemente begründet, besonders in den magnetischen Momenten der Bahnbewegungen.

Wenn man nun diese beiden „Eltern“-Spinsysteme (den {Mn(III)Mn(IV)}-Cluster mit Spin SMn2 = 1/2 und das organische Radikal mit Srad = 1/2) einander in einem Molekül auf 0,7 nm Abstand nahe bringt, d.h. in die Reichweite der gegenseitigen Spin- und Dipolwechselwirkung wie in Komplex (1), so ändern sich die EPR-Spektren dramatisch. Die neue breite und wenig aufgelöste Hauptlinie, wie in Abbildung 2 bei g-Wert = 2 zu sehen (obere Achsenbeschriftung), kann man verstehen als die Überlagerung der früheren Mangan-Hyperfeinlinien mit einer Vielzahl von unaufgelösten so genannten Seitenlinien, die durch den magnetischen Einfluss des Radikals auf den Mn2-Cluster entstehen. Die große Zahl der Linien diese Spektrums ist einfach nicht mehr aufgelöst und es zeigt sich ein breites Überlagerungsmuster.

Ein ganz besonders deutliches Phänomen der langreichweitigen Spinkopplung zwischen Mn2-Cluster und Radikal ist aber das Auftreten von vorher „verbotenen“ so genannten Halbfeldsignalen bei g = 2. Deren Ursache liegt in der Bildung eines Triplett-Zustandes durch die langreichweitige Spinkopplung mit Gesamtspin St = 1 für das ganze Molekül. Im Feld des EPR-Spektrometers spalten dessen Unterzustände entsprechend ihrer magnetischen Quantenzahlen mS = +1, 0, und -1 auf. Ein solches Energiediagramm für ein Spintriplett ist in Abbildung 3 oben gezeigt. Starke EPR-Übergänge sind auch in solch einem Triplett bei g = 2 zu erwarten, wie in Abbildung 3 mit den senkrechten Pfeilen angedeutet. Neu ist aber gegenüber einem „normalen“ Spin-Dublett, dass auch bei g = 4 Übergänge möglich sind, die es ohne Kopplungsschema nicht gibt. Man kann theoretisch zeigen, dass die Intensität dieser Halbfeldsignale ein genaues Maß für den Abstand der beiden koppelnden Spinsysteme darstellt. Die entsprechende Simulation der Kopplungs-Spektren ist zwar sehr aufwendig, lässt sich aber recht befriedigend ausführen, wie die dünne Linie durch die experimentellen Daten zeigt.

Aus den Parametern der Computer-Auswertungen für die Serie der untersuchten Komplexe bestimmt man dann – mit einigen zusätzlichen theoretischen Überlegungen – die genauen Kopplungen und Abstände zwischen den organischen Radikalen und den {Mn(III)Mn(IV)}-Zentren. Für Korrelationen der spektroskopischen Ergebnisse mit den bekannten Strukturen der Komplexe müssen nämlich die Dipol-Daten in geeigneter Weise in Abstandsinformationen umgewandelt werden. Dazu muss man Spindichteverteilung auf dem Mangancluster zugrunde legen, ebenso wie die Anordnung der paramagnetischen Gruppen. Hier liegt nun der unschätzbare Nutzen der Modellkomplexe, nämlich dass man die Strukturen kennt und geeignete Modelle für diesen theoretischen Schritt in der Analyse ausarbeiten und testen kann. Im Wesentlichen muss man ein Dreipunkt-Dipolmodell aufbauen, um die Einflüsse dreier Zentren „lokaler“ Spindichte einzeln in geeigneter Weise zu berücksichtigen. Man sieht an einer einfachen Skizze der Molekülstruktur von Komplex (1), dass es in Lösung einen Freiheitsgrad der Drehung der Radikalgruppe um die Verbindungsachse zum Mn2-Cluster gibt (skizziert in der kleinen eingesetzten Struktur in Abb. 3 unten). Die theoretische Ausarbeitung der Verdrehung des Moleküls ergibt eine Variation der Dipolkopplung wie in Abbildung 3 unten dargestellt. Man kann die Abhängigkeit verstehen als den Einfluss der sich ändernden Abstände der Radikalgruppe zum Mn(III)- und zum Mn(IV)-Ion, den getrennten Zentren der Majoritäts- bzw. Minoritätsspindichte auf dem Cluster. Aus der errechneten Kurve kann man letztlich den mittleren Einstellwinkel der Radikalgruppe in der gefrorenen Lösung der EPR-Probe bestimmen. Darüber hinaus zeigte sich aber auch, dass man die organischen Radikale nicht immer als punktförmige Momente behandeln kann. Das wichtigste Beispiel in der Serie ist ein synthetischer Komplex, für den die Auswertung der Dipolwechselwirkung einen ca. 1/3 kürzeren Abstand ergibt als in der Molekülstruktur gefunden – was nur durch eine räumliche Verschmierung der Radikalspindichte zum Manganzentrum hin und durch so genannte Spinpolarisationseffekte erklärt werden kann. Ein besonders unerwartetes Ergebnis der Modellstudie waren Variationen der langreichweitigen Austauschwechselwirkungen zwischen den Radikalen und den {Mn(III)Mn(IV)}-Clustern – völlig entgegen den intuitiv erwarteten Ergebnissen, wenn mehr oder weniger stark konjugierte organische Gruppen die Brücke bildeten. Diese noch unverständlichen Eigenheiten der kovalenten Verbindungsgruppen sollen Ziel weiterer Studien sein. Diese chemischen Gruppen sind letzten Endes auch deshalb für uns interessant, weil über solche Kontakte möglicherweise auch Elektronenübertragungen vermittelt werden – also die elementaren Schritte der biochemischen Katalyse.

Die beispielhaft dargestellten Untersuchungen an einer Reihe von verwandten und bestens charakterisierten synthetischen Modellkomplexen mit EPR-Methoden und komplementären Magnetisierungsmessungen sowie chemischen und elektrochemischen Synthesen soll die Betrachtungsweise und Möglichkeiten verdeutlichen, mit denen man mit den spektroskopisch-physikalischen Mitteln der bioanorganischen Chemie Zugang zum Verständnis so komplexer Systeme wie dem Reaktionszentrum von PS II auf molekularer Ebene erhält. Spin- und Elektronendichteverteilungen und die relative Orientierung der Gruppen zueinander, wie an den Mn2-Radikal-Modellen experimentell bestimmt, sind die wesentlichen Parameter der physikalischen Wechselwirkungen solcher Zentren, die wiederum die biochemischen Interaktionen bedingen. In diesen Details liegt der Schlüssel zum Verständnis der komplexen natürlichen molekularen Maschinen.

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