„Das erste eindeutige Anzeichen für die Aufblähung des Alls“

Interview mit Max-Planck-Direktor Karsten Danzmann über die indirekte Beobachtung von urtümlichen Gravitationswellen

20. März 2014
Es kommt selten vor, dass eine Entdeckung Medien und Wissenschaftler gleichermaßen in Aufregung versetzt. Im Fall des Experiments Bicep2 war das so: Diese in 2800 Metern Höhe am Südpol installierte Antenne empfängt Mikrowellenstrahlung, die aus der Geburtsstunde des Universums stammt. In diesem kosmischen Babybild fanden Forscher so etwas wie die Fingerabdrücke von Gravitationswellen. Sie scheinen die Inflationstheorie zu bestätigen. Danach soll sich das Weltall unmittelbar nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren schlagartig von der Größe eines Atoms zu der eines Fußballs aufgebläht haben – was dem Modell seinen Namen gibt, denn „Aufblähung“ heißt im Lateinischen inflatio. Über die neuen Ergebnisse unterhielten wir uns mit Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover.

Interview: Helmut Hornung

Herr Danzmann, wie würden Sie den Wert der Entdeckung Ihrer amerikanischen Kollegen auf einer Skala von 0 bis 10 einordnen?

Karsten Danzmann: Eine klare 10! Das ist das erste eindeutige experimentelle Anzeichen für eine inflationäre Expansion gleich nach dem Urknall.

Gibt es keine anderen Beobachtungsindizien für das Modell der Inflation?

Es gibt in der Tat nur indirekte Anzeichen. Die Inflation ist gerade dafür erfunden worden, die Gleichförmigkeit und Flachheit des Universums zu erklären, was sie natürlich dann auch tut. Denn in welche Richtung wir auch blicken, das Weltall im Großen bietet überall denselben Anblick. Außerdem weist der Raum offenbar keine Krümmung auf – so, als ob ihn die Inflation geglättet hätte. Und schließlich erklärt die Inflation das Vorhandensein von Galaxienhaufen, die aus Dichteschwankungen hervorgingen. Hinter denen stecken wiederum Quantenfluktuationen, welche die Inflation schlagartig auf kosmische Skalen vergrößert hat.

Nun war das Universum unmittelbar nach seiner Geburt undurchsichtig, weil die Lichtteilchen aufgrund der dichten Ursuppe ständig mit anderen Teilchen kollidierten und nicht durchkamen. Erst als sich der Nebel nach ungefähr 400.000 Jahren lichtete, konnte die Strahlung auf die Reise gehen. Alles, was wir mit unseren Instrumenten heute registrieren, stammt demnach aus dieser späteren Epoche. Die beobachteten Gravitationswellen aber sind schon bei der Inflation entstanden...

Tatsächlich fand die Inflation lange vor dem Zeitpunkt statt, zu dem das Weltall durchsichtig wurde. Daher ist es schon bemerkenswert, trotzdem eine Signatur der Inflation im Mikrowellenhintergrund zu finden. Diese Signatur hat offenbar – gespeichert in den urtümlichen Gravitationswellen – die ersten 400.000 Lebensjahre des Kosmos irgendwie überstanden.

Die Bicep2-Forscher haben die Gravitationswellen indirekt beobachtet. Gesehen hat man dieses von Albert Einstein vor 100 Jahren vorhergesagte Phänomen noch nicht?

Gravitationswellen entstehen immer dann, wenn sich Massen bewegen. Sie rasen mit Lichtgeschwindigkeit davon, wobei sie den Raum stauchen und strecken. Der direkte Nachweis ist schwierig und bisher nicht gelungen. Aber die Kollegen Russell Hulse und Joseph Taylor haben im Jahr 1993 den Nobelpreis für den indirekten Beweis bekommen. Sie konnten zeigen, dass das aus zwei sich rasch umlaufenden Sternen bestehende Doppelpulsarsystem PSR1913+16 genauso viel Energie verliert, wie man das durch die Abstrahlung von Gravitationswellen erwartet.

Also sind die neuen Bicep2-Daten eigentlich nichts Besonderes?

Doch! Denn diese Messungen gehen noch einen Schritt weiter. Es wird aus ihnen nämlich klar, dass nicht nur die Abstrahlung von Gravitationswellen so verläuft, wie von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt, sondern dass auch die Wechselwirkung mit Materie exakt so vonstattengeht wie theoretisch angenommen: Der Abdruck, den die Gravitationswellen vor 13,8 Milliarden Jahren in die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung eingeprägt haben, sieht genauso aus wie vermutet.

Was heißt das konkret?

Die Messungen erfassen die Polarisation – eine Größe, die anzeigt, in welchem Maße Wellen in derselben Richtung schwingen. Nun erscheinen die beobachteten Muster in der Polarisation quasi verwirbelt. Daher müssen sie durch Wellenbewegungen bewirkt worden sein, die die Raumzeit erzittern ließen. Und da kommen eigentlich nur Gravitationswellen infrage. Das stimmt uns übrigens sehr zuversichtlich, dass auch jene Spuren, die Gravitationswellen heute in unseren Detektoren hinterlassen sollten, den Vorhersagen der Relativitätstheorie entsprechen müssten.

Hätten Sie mit Ihrem Detektor GEO600 eine Chance, urtümliche Gravitationswellen aufzufangen?

Das kommt sehr darauf an, was genau damals im frühen Universum passiert ist. Die Bicep2-Daten sagen uns direkt nur etwas darüber, wie stark primordiale Gravitationswellen bei extrem niedrigen Frequenzen von 10-16 Hertz sind. Wenn das Standardmodell der Inflation alles richtig beschreibt, dann werden Wellen vom Urknall zu schwach für die gegenwärtige Generation von Detektoren auf der Erde sein. Und auch die geplanten, im All stationierten Lisa-Satelliten würden sie nicht registrieren können. Wahrscheinlich aber lief die Geburt des Universums sehr viel komplizierter ab. Daher gibt es wohl eine Vielzahl von möglichen Prozessen, die alle wesentlich stärkere Signale bei den höheren Frequenzen für Detektoren auf der Erde und im Weltraum erzeugen.

 

Wann rechnen Sie mit einem ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen?

Die erste Generation der erdgebundenen Detektoren Ligo und Virgo wird gegenwärtig umgebaut, um eine deutlich höhere Empfindlichkeit zu erreichen. Nur unsere Anlage GEO600 in Ruthe bei Hannover hält noch Wacht nach gelegentlichen Ereignissen in unserer Nachbarschaft. Wenn die Detektoren auf der Erde etwa im Jahr 2019 ihre Design-Empfindlichkeit erreicht haben, dann wäre es schon sehr überraschend, wenn wir nicht innerhalb kürzester Zeit ziemlich viele Ereignisse registrieren würden.

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