Wenn Zwerge kollidieren

Astronomen beobachten am Beispiel des Systems Andromeda II, wo kleine Galaxien herkommen

23. Februar 2014
Galaxien wachsen, indem sie sich kleinere Galaxien einverleiben oder mit anderen Galaxien verschmelzen. Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen, zu der auch Glenn van de Ven vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie gehört, das bisher kleinste Beispiel für den Überrest einer solchen kosmischen Verschmelzung identifiziert: die Zwerggalaxie Andromeda II, ein Satellit des bekannten Andromedanebels. Anhand der Bewegung der Sterne innerhalb der Galaxie machten die Forscher zwei unterschiedliche Sterngruppen ausfindig: die Sterne der ursprünglichen AndII-Zwerggalaxie und Sterne eines anderen Zwergsystems, das vor mehr als drei Milliarden Jahren mit AndII zusammenstieß.

Die Entdeckung der kleinsten bekannten Galaxienverschmelzung begann mit einer Anomalie: Eine US-amerikanische Astronomengruppe unter der Leitung von Marla Geha hatte die Geschwindigkeiten von mehr als 700 Sternen in und um AndII gemessen. AndII, so zeigte sich dabei, dreht sich nicht nur sehr viel schneller als andere Galaxien desselben Typs. Sie drehte sich auch auf eine gänzlich ungewöhnliche Weise: Nicht analog zu einem Rad, das um seine Achse rotiert, sondern in einer Art Taumelbewegung senkrecht zur Symmetrieachse.

Die Anomalie veranlasste die Forscher dazu, die Daten an drei Kollegen weiterzureichen, die große Erfahrung im Modellieren der Sternbewegungen in Galaxien besitzen: Glenn van de Ven vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Wyn Evans von der Universität Cambridge und Nicola Amorisco von der Universität Kopenhagen.

Amorisco, Evans und van de Ven analysierten die Sterngeschwindigkeiten sorgfältig mit einer von ihnen zuvor entwickelten Methode und fanden eine Erklärung für die anomale Rotation: Bei AndII scheint es sich um den Überrest einer Verschmelzung zweier noch kleinerer Galaxien zu handeln. Die ungewöhnliche Rotation stammt aus jener Phase, in der die kleinere der Zwerggalaxien die größere vor dem Verschmelzen umkreiste.

„Durch die sorgfältige Untersuchung der Bewegungen von mehr als 700 Einzelsternen haben wir herausgefunden, dass es sich um zwei unterschiedliche Gruppen von Sternen handelt“, sagt Van de Ven: Die Sterne der ursprünglichen Zwerggalaxie und Sterne in einem sogenannten Sternstrom, einer Art Gürtel aus Sternen, der sich um die Zentralregionen von AndII wickelt.

Schon im Jahr 2007 hatte eine Untersuchung der Sternverteilung in AndII die Autoren zu der Spekulation geführt, das System könnte der Überrest einer Verschmelzung sein – Anhaltspunkt war damals die ungewöhnliche Form einer bestimmten Gruppe sehr alter Sterne in der Galaxie. Die Entdeckung des Sternstroms stellt diese Behauptung auf eine solide Grundlage.

Derartige Sternströme sind die charakteristischen Überreste einer kleineren Galaxie, die von einer größeren eingefangen wurde. Man hat solche Ströme in unserer Milchstraße sowie in vielen anderen größeren Galaxien gefunden – aber nie in einem System mit einer Masse von weniger als einer Milliarde Sonnen. Die Masse von AndII ist sogar noch deutlich geringer: Sie liegt bei nicht mehr als zehn Millionen Sonnen.

„Bisher haben Astronomen lediglich Spuren der späteren Stadien der Galaxienevolution gefunden – Fälle, in denen mindestens eine der beteiligten Galaxien bereits recht massereich und damit ihrerseits aus einer Serie früherer Verschmelzungen hervorgegangen war“, sagt Nicola Amorisco. AndII sei das erste Beispiel für eine Verschmelzung in einer sehr kleinen Galaxie.

In dem allgemein akzeptierten Modell der Galaxienentwicklung ist das der Anfang der Wachstumskette: kleine Zwerggalaxien, die mit noch kleineren Zwergen verschmelzen. Bis jetzt hatte noch niemand einen Beleg für diese Theorie gefunden.

Amorisco, Evans und van de Ven hoffen, dass die nächsten Entdeckungen dieser Art nicht lange auf sich warten lassen – zumal andere Astronomen über ähnliche Beobachtungsdaten für Zwerggalaxien verfügen. „Mit unserer Untersuchungsmethode sollte es möglich sein, auch in diesen anderen Daten nach Sternströmen zu suchen. Und vielleicht finden wir dabei ja sogar noch leichtere Verschmelzungsprodukte?”, sagt Glenn van de Ven.

HOR/MP

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