Erst denken, dann reden?

Zur zeitlichen Koordination von Sprechen und Denken

20. Februar 2014

In alltäglichen Unterhaltungen beginnen wir oft schon zu sprechen, bevor wir genau festgelegt haben, was wir sagen und wie wir es formulieren wollen. Damit ergibt sich die Frage, wie Denken und Sprechen in der Zeit koordiniert werden. Wie weit denken Sprecher voraus? Wissenschaftler um Antje Meyer vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik haben nachgewiesen, dass dies von der Komplexität dessen abhängig ist, was man sprachlich darstellen möchte. Ihre Experimente zeigen, wie der Zeitverlauf der gedanklichen Vorbereitung von Inhalt und Form der Äußerung beeinflusst wird.

Text: Antje Meyer und Agnieszka Konopka

"Erst denken, dann reden!" Diesen wohlgemeinten Rat hört man typischerweise, nachdem man bereits in ein Fettnäpfchen getreten ist oder ein sorgfältig gehütetes Geheimnis ausgeplaudert hat. Das ist nicht verwunderlich: Man weiß nämlich schon seit langem, dass sich Sprecher nur selten vorab genau überlegen, was sie sagen wollen. Stattdessen planen sie meistens nur den Anfang einer Äußerung, beginnen zu reden und planen weiter, während sie den Satzanfang aussprechen. Dies funktioniert, weil die Sprechplanung, also die Auswahl der richtigen Wörter und ihre Anordnung im Satz, schneller ausgeführt wird als die Aussprache selbst. So braucht man zum Beispiel mindestens 1,5 Sekunden, um die Worte „Das kleine Mädchen ...“ auszusprechen. Das gibt einem genügend Zeit, den nächsten Teil des Satzes, etwa „... schiebt den Jungen“, zu planen.

Wenn die Planungszeit während der Aussprache eines Satzteils einmal nicht ausreicht, macht der Sprecher eine kurze Pause im Satz oder sagt vielleicht „äh“, um Zeit zu gewinnen. Gelegentlich machen wir aus Zeitnot oder Mangel an Konzentration allerdings auch Fehler, wie etwa in dem Satz „Ich freue mich so, dass Ihr gegangen seid!“ (statt „gekommen seid“). Insgesamt aber funktioniert das gleichzeitige Denken und Sprechen hervorragend und ermöglicht den raschen Redewechsel im natürlichen Gespräch.

Wie bilden sich Gedanken?

Eine wichtige Frage in der Sprachpsychologie ist, welche Planungseinheiten Menschen beim Aufbau ihrer Äußerungen verwenden. Am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nimwegen interessieren wir uns besonders für die Frage, wie sich die Gedanken, die ausgedrückt werden sollen, allmählich aufbauen, ob dies für alle Sprecherinnen und Sprecher und in allen Situationen auf die gleiche Weise geschieht oder ob es hierbei systematische Unterschiede gibt. Darüber hinaus versuchen wir herauszufinden, wie die gedankliche Vorbereitung einer Äußerung mit der Aussprache koordiniert wird, insbesondere wie weit Sprecher vorausplanen, bevor sie beginnen zu reden.

Augenbewegungen zeigen Planungsprozesse

Um diese Fragen zu untersuchen, bitten wir erwachsene Probanden, Szenen in ihrer Muttersprache, dem Niederländischen, zu beschreiben. Wir nehmen die Äußerungen auf und bestimmen auf der Grundlage des Sprachsignals, wann die Probanden anfangen zu sprechen und wann sie jedes weitere Wort aussprechen. Während des Experiments tragen die Probanden eine Augenbewegungskamera, mit der auf die Millisekunde genau bestimmt werden kann, wann und wie lange sie das „Agens“ (das heißt den Handelnden/die Handelnde) und das „Patiens“ (denjenigen der oder diejenige die die Handlung "erleidet") ansehen. Diese Vorgehensweise beruht auf dem allgemeinen Prinzip, dass man in der Regel dorthin schaut, wo gerade das Wichtige zu sehen ist, also zum Beispiel zum Handelnden, über den man sprechen möchte. Aus den Augenbewegungen können wir also ableiten, wann jemand seine Aufmerksamkeit auf einen Bildteil richtet, also vermutlich den entsprechenden Gedanken aufbaut und vielleicht auch die entsprechenden Wörter aus dem Gedächtnis abruft. Dies können wir zu den gesprochenen Äußerungen in Beziehung setzen und so bestimmen, wie weit Sprecher ihre Äußerungen planen, bevor sie anfangen zu sprechen.

Mögliche Planungsstrategien

Wie planen Sprechende nun die Beschreibung von Handlungen? Frühere Studien hierzu legten zwei Hypothesen nahe: Erstens könnten sie vor Äußerungsbeginn nur das erste Konzept und das erste Wort der Äußerung festlegen. Demnach sollten sie, sobald das Bild erscheint, einen der Handlungsteilnehmer, etwa ein Mädchen, betrachten und dann sofort zu sprechen beginnen. Die folgenden Wörter in der Äußerung würden dann später geplant. Zweitens könnten sie vor Beginn der Äußerung bereits grob festlegen, was im Bild passiert, also wer was tut. Dann sollten sie zunächst beide Handlungsteilnehmer (den Jungen und das Mädchen) und vielleicht auch andere Bildteile (etwa einen Schlitten) betrachten. Im ersten Fall wird nur ein einfaches Konzept festgelegt, während im zweiten Fall vor Äußerungsbeginn bereits eine komplexere gedankliche Struktur gebildet wird.

Eine dritte, bisher nicht beachtete Möglichkeit ist, dass Sprechende weder die eine noch die andere Strategie konsistent anwenden, sondern dass ihre Sprechplanung von der Schwierigkeit der Aufgabe abhängt. So könnten sich zum Beispiel mit steigender Schwierigkeit die Planungseinheiten verkleinern. Um die letztgenannte Hypothese prüfen zu können, verwenden wir Bilder, in denen die Handlungen entweder leicht zu erkennen und zu beschreiben waren oder schwieriger. Auch die Erkennbarkeit der Personen wurde variiert. Die Probanden erhielten keine spezifischen Anweisungen hinsichtlich Art und Länge der Beschreibungen.

Sprecher sind flexibel

Wir stellten fest, dass das Blickverhalten der Probanden und somit der Zeitverlauf ihrer gedanklichen und sprachlichen Planungsprozesse tatsächlich von der Schwierigkeit der Beschreibungsaufgabe abhingen. Ein Teil der Ergebnisse (nämlich für Beschreibungen mit einfach erkennbaren Personen) ist in Abbildung 3 dargestellt. Hier ist für jeden Zeitpunkt nach Bildbeginn angegeben, welcher Anteil aller Blicke auf das Agens (schwarz) und das Patiens (grau) entfiel. Die Äußerungen begannen nach etwa 1,8 bis 2 Sekunden. Insgesamt betrachteten die Probanden anfangs eher das Agens als das Patiens. Aber wenn die Handlung einfach zu beschreiben war, war die Präferenz für das Agens nicht sehr ausgeprägt. Das sieht man daran, dass die schwarze Linie anfangs (bis etwa 600 Millisekunden) nur geringfügig oberhalb der grauen lag. Anschließend betrachteten die Probanden bevorzugt das Agens, das in der Regel zuerst erwähnt wurde, und dann das Patiens, das als zweites benannt wurde. Dieses Muster zeigt, dass sich die Probanden zunächst einen Überblick über das Geschehen verschafften (und dabei oft sowohl das Agens als auch das Patiens betrachteten) und eine gedankliche Struktur bildeten, um dann, während sie die einzelnen Wörter aus ihrem mentalen Lexikon auswählten, der Reihe nach zu den beiden Personen zurückzukehren.

Wenn die Handlung dagegen schwerer zu beschreiben war, beschränkten sich die Probanden von Anfang an mehr auf die Betrachtung des Handelnden. Die Phase des allgemeinen Überblicks entfiel weitgehend. 

Diese und weitere Analysen zeigten, dass die Probanden nicht starr eine Planungsstrategie verwendeten, sondern – abhängig von der Situation – unterschiedlich planten. War die Situation leicht überschaubar, bildeten sie vor Beginn der Äußerung eine komplexe gedankliche Struktur aus. Bei komplexeren oder undeutlicheren Situationen konzentrierten sie sich zunächst eher auf einen Handlungsteilnehmer und planten den anderen Teil der Äußerung später.

Wir können unsere Äußerungen also auf verschiedene Weise planen und dabei unterschiedlich weit vorausdenken. Zusätzlich können wir natürlich aus einem großen Wortschatz wählen. Beides – die Flexibilität in den Planungsstrategien und die Flexibilität in der Wahl des Gesagten – hilft uns, uns schnell und angemessen auszudrücken.

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