Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

Veranlagung zu Übergewicht: ein Wechselspiel von Genom und Umwelt?

Autoren
Heß, Martin; Brüning, Jens C.
Abteilungen
Neuronal Control of Metabolism
Zusammenfassung
Die steigende Zahl übergewichtiger Menschen und die damit einhergehenden Erkrankungen stellen ein immer größeres Problem für die moderne Gesellschaft dar. Lebenswandel und genetische Prädisposition bestimmen die individuelle Anfälligkeit zur Gewichtszunahme. Durch Identifizierung der für Übergewicht prädisponierenden genetischen Veränderungen und die anschließende Beschreibung der betroffenen Gene/Proteine – auch im Mausmodell – erhoffen sich Wissenschaftler Einblicke in die komplexe Interaktion zwischen Genom und Umwelt und damit in die Mechanismen, die zu Übergewicht führen können.

Einleitung

Übergewicht und Fettleibigkeit stellen für unsere moderne Gesellschaft eine gewaltige Herausforderung dar. Vor einigen Jahren ein Phänomen das vornehmlich in entwickelten Industrienationen zu beobachten war, greift dieser Trend nun auch auf Schwellenländer über [1]. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass rund 1,4 Milliarden Menschen übergewichtig sind und rund ein Drittel dieser bereits als fettleibig gelten (World Health Organization). Viele Begleiterscheinungen der Fettleibigkeit überraschen nicht, z. B. Diabetes mellitus Typ 2, kardiovaskuläre Erkrankungen und Schlaganfälle [2]. Krankhaftes Übergewicht stellt jedoch auch einen Risikofaktor für bestimmte Krebserkrankungen dar und steht sogar im Verdacht, neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer zu begünstigen [3]. Als Konsequenz sinkt nicht nur die individuelle Lebensqualität, es entstehen darüber hinaus immense Kosten in der Patientenversorgung, die auch in einer großen Volkswirtschaft eine spürbare finanzielle Belastung hinterlassen werden [4].

Genetische Veranlagung oder Lebenswandel?

Worin liegt nun die Ursache für die stetige Zunahme des Übergewichts in der Bevölkerung? Einzelne Veränderungen (Mutationen) in der kodierenden Sequenz bestimmter Gene können zu einem Verlust der Funktion des Proteins, welches in eben diesem Gen kodiert ist, führen (loss of function mutation). So führt der Funktionsverlust von Leptin, einem Hormon, das von Fettzellen sezerniert wird und Sättigungsgefühl auslöst, unweigerlich zu schwerer Fettleibigkeit, die unbehandelt bereits im Kindesalter zum Tode führen kann [3]. Könnten solche Formen von monogen (von einzelnen Genen) verursachter Fettleibigkeit verantwortlich für die prozentuale Zunahme übergewichtiger Menschen in der Bevölkerung sein? 

Erhebungen, die seit dem Beginn der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in den USA gesammelt wurden, zeigen deutlich, dass der Anteil der Übergewichtigen und fettleibigen Menschen an der Bevölkerung seit Anfang der 80er Jahre stetig steigt (Abb. 1). Mutationen, die zu monogener Fettleibigkeit führen, liegen jedoch nur äußerst selten der bei Menschen beobachteten Fettleibigkeit zu Grunde. Darüber hinaus werden diese Veränderungen des Genoms bereits seit Generationen vererbt und somit waren die seltenen Fälle von schwerer Fettleibigkeit bereits vor den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt.

Das immer häufiger auftretende Übergewicht muss demnach eine andere Ursache haben. Nach heutigen Erkenntnissen sind unsere veränderten Lebensumstände der Kern des Problems [4]. Sesshaftes Leben, Büroarbeitsplatz, automobile Mobilität, fehlende Bewegung und ein ständiges Überangebot an energiereicher und wohlschmeckender Nahrung charakterisieren unsere heutige Gesellschaft. Somit ist  es auch nicht überraschend, dass die 1970er Jahre sowohl den Beginn des Siegeszugs der Fastfood-Industrie als auch den Beginn des Gewichtzuwachses in der Bevölkerung markieren.

Können wir also unserem Genom keine Schuld an unserem Übergewicht geben? Und warum beobachten wir dennoch eine breite Variabilität im Erscheinungsbild unserer Gesellschaft, obwohl jedes Mitglied einer definierten Bevölkerungsgruppe den gleichen Umweltbedingungen und Versuchungen ausgesetzt ist? Mögliche Antworten werden seit der Entwicklung genomweiter Sequenzierung in Vielzahl geboten. Einzelnukleotid-Veränderungen im menschlichen Genom, sogenannte single nucleotide polymorphisms (SNPs), werden in Verbindung mit bestimmten Krankheitsbildern oder Körpermerkmalen gebracht [4]. Diese Polymorphismen führen jedoch nicht zu einem Funktionsverlust der entsprechenden Gene, vielmehr befinden sich viele dieser Veränderungen in nicht-kodierenden Sequenzen. Wie genau diese Polymorphismen verschiedene Krankheiten oder Funktionen des Körpers beeinflussen, ist meist ungeklärt und stellt eine Herausforderung für die Wissenschaftler dar. Vermutlich wird indirekt die Funktion oder die Expression von Proteinen beeinflusst. Innerhalb eines menschlichen Genoms befinden sich nun nicht nur eine, sondern viele solcher Einzelnukleotid-Veränderungen. Manche werden mit nachteiligen, andere mit günstigen Effekten für ein bestimmtes Merkmal oder eine Krankheit, wie z. B. Fettleibigkeit, assoziiert. In ihrer Gesamtheit beeinflussen alle im Genom vorhandenen Polymorphismen die individuelle Anfälligkeit für z. B. Übergewicht und somit spricht man in diesem Fall von polygener, durch das Zusammenspiel mehrerer Gen-Loci bedingter Fettleibigkeit [4].

Gegenwärtig sind mit Hilfe genomweiter Sequenzierungen 52 Gene (Loci) identifiziert worden, die innerhalb ihrer Sequenz Polymorphismen aufweisen, die wiederum mit Übergewicht in Verbindung gebracht wurden (Abb. 2), [4]. Eines dieser Gene ist das fat mass and obesity asssociated protein (FTO). Tatsächlich war FTO eines der ersten Gene, welches im Jahr 2007 mit Hilfe neuerer und wirtschaftlicherer Methoden der genomweiten Sequenzierung mit Übergewicht in Verbindung gebracht wurde [4; 5]. Wie wir nun wissen, befindet sich innerhalb eines Bereiches des ersten Introns (nicht kodierende Region eines Gens) ein Cluster von SNPs, der äußerst signifikant mit einem erhöhten Body-Mass-Index (BMI) assoziiert ist [6]. Der BMI bewertet das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße. Man spricht von Risiko-Allelen, die für ein erhöhtes Körpergewicht empfänglich machen. Die individuellen Effekte des für ein erhöhtes Körpergewicht prädispositionierenden Risiko-Allels sind hierbei relativ gering. Träger eines FTO-Risiko-Allels haben im Durchschnitt einen um 0.4 kg/m2, Träger von zwei Risiko-Allelen um 0.8 kg/m2 erhöhten Body-Mass-Index im Vergleich zu nicht betroffenen Probanden [7]. Inwiefern eine für Übergewicht prädispositionierende Variation im FTO-Gen mit anderen Risikofaktoren, mit anderen Polymorphismen, die mit Übergewicht assoziiert sind, oder mit Umwelteinflüssen interagiert, ist bis dato nicht bekannt, stellt jedoch einen wichtigen Baustein in der Untersuchung polygen verursachten Übergewichtes dar.

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