Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Herausforderungen des Einheitspatentsystems

Autoren
Jaeger, Thomas
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München
Zusammenfassung
Nach langem Ringen wurde in Europa Einigung über eine Verordnung über ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung und eine flankierende Gerichtsbarkeit erzielt. Damit wird ein territorial wie sachlich trunkierter, seltsam hybrider und, wie sich rasch zeigt, rechtlich wie funktional defizitärer Rechtstitel geschaffen. Im Rahmen begleitender Forschung werden die Sachgerechtigkeit dieses Modells hinterfragt und Alternativen vorgeschlagen.

Ein einheitliches Patent für den Binnenmarkt

Ein Weg aus der Wirtschaftskrise führt über die Stimulation von Innovation. Wesentlichen Anteil daran haben Patente: Innovationsanreiz ist die Berechtigung des Inhabers, jemandem die Nutzung einer Erfindung zu erlauben oder zu untersagen. Je größer das Territorium, in dem dieses Ausschließlichkeitsrecht gilt, desto größer ist auch der ökonomische Nutzen für den Inhaber. Anders als die USA und andere bedeutende Märkte erteilt die EU jedoch bislang kein Patent für den gesamten Binnenmarkt: Obwohl Patentschutz einheitlich beim Europäischen Patentamt beantragt werden kann, muss er für jeden Staat einzeln in Kraft gesetzt werden und gilt nur für dessen Territorium. Dies führt nicht (aufgrund des Zwangs zur Registrierung der Erfindung für jeden Staat) zu erheblich höheren Kosten für Unternehmen und erschwert die vermögensmäßige Nutzung (etwa den Verkauf oder die Lizenzierung) sowie grenzüberschreitende Gerichtsstreitigkeiten (etwa bei Verletzung, behaupteter Patentungültigkeit oder Zwangslizenzen).

Idealmodell versus Kompromissmodell

Über die wirtschaftliche Notwendigkeit eines einheitlichen Patentschutzes besteht in Europa schon lange Einigkeit. Auch bei anderen Immaterialgüterrechten wie Marken, Designs und Sorten hat man solche Rechte sui generis schon vor Jahren bereitgestellt. Beim Patent aber konnte man sich auf kein Modell einigen. Knackpunkt war über viele Jahrzehnte vor allem ein flankierendes Patentgericht. Die zahlreichen über die Jahre gemachten Vorschläge waren einmal zu stark unionsrechtlich und zentralistisch geprägt, ein anderes Mal wieder zu wenig einheitlich und effektiv, bis schließlich der Europäische Gerichtshof im Jahr 2011 einen endlich erzielten Kompromiss als unionsrechtswidrig kippte. Beim Patent bestand dagegen jahrelang kaum Diskussionsbedarf: Angedacht war ein umfassendes, einheitliches und autonom im Unionsrecht verankertes Recht – qualitativ nachempfunden dem, was man von den Marken usw. her kannte.

Ein ideales Patentsystem für den Binnenmarkt bestünde aus einer materiellen und einer prozeduralen Hälfte. Materiell sollte ein autonomer und mit dem nationalen Recht so wenig wie möglich verzahnter Schutztitel auf Verordnungsbasis bestehen, der sämtliche Aspekte des Entstehens, Umfangs und Endes von Schutz und die wirtschaftliche Nutzung regelt. Idealerweise wäre ein solches Patent außerdem modern in dem Sinne, dass es auf aktuelle Herausforderungen antwortet, etwa was Ausnahmen von Erfindungen in bestimmten Bereichen, Ausnahmen zugunsten bestimmter Nutzungsarten oder die Zugänglichkeit von Schlüsseltechnologien angeht. Ein ideales Patentgerichtssystem wiederum würde angesichts der Zweiteilung der Patentsysteme in Europa, die durch den außerhalb der EU errichteten Rahmen des Europäischen Patentamts droht, vor allem versuchen, hinsichtlich der einbezogenen Staaten und der dort genutzten Patenttitel die Einheitlichkeit des Patentrechtskorpus in Europa zu gewährleisten. Es würde außerdem der Effektivität und der Qualität des Gerichts und seiner Zugänglichkeit für potenzielle Nutzer den Vorzug vor sonstigen Gesichtspunkten einräumen – in erster Linie vor effektivitätshemmenden politischen Kompromissen.

Dass das 2012 angenommene Patentgerichtsmodell diesem Ideal nicht folgt, kann nicht überraschen: Die politische Realität und das in der Theorie Wünschenswerte divergieren oft. Sehr wohl überraschen mag aber, wie weit das vorgeschlagene Modell, das derzeit angesichts anhängiger Klagen noch nicht implementiert ist, vom Ideal entfernt ist. Kompromisse finden sich auf allen Ebenen des Patentsystems wieder: bei der Frage, welche Staaten in der EU und darüber hinaus daran mitwirken, ebenso wie bei der Ausgestaltung des Patents und des zugehörigen Gerichts.

In territorialer Hinsicht verabschiedeten sich Spanien und Italien aus dem Projekt, als man sich im Rat nicht auf eine Sprachregelung einigen konnte. Weitergemacht wurde qua verstärkter Zusammenarbeit, also einer Koalition der Willigen, wie sie in jüngerer Zeit immer wieder in den Raum gestellt wird und für die Integrationsdynamik heute problematisch ist. Gleichzeitig wurden sämtliche Nicht-EU-Staaten aus dem Projekt verabschiedet, auch wenn sie Mitglieder beim Europäischen Patentamt sind. Kurz gesagt: Von materieller und prozeduraler Einheitlichkeit des Patentrechtskorpus ist nicht mehr zu sprechen, stattdessen tritt lediglich eine neue Patentebene neben die bereits bestehenden.

Inhaltlich hat das neue Patent mit seinen Verwandten bei Marken usw. nur wenig gemein: Anstelle eines autonomen und vollwertigen Unionsrechts werden nationale Patente „mit einheitlicher Wirkung” verklammert. Das Unionsrecht dockt damit, in rechtstechnisch bislang einmaliger und rechtlich bedenklicher Weise, an nationalen Rechten an und ist im Bestand von diesen abhängig. Schwer wiegen auch die inhaltlichen Lücken des neuen Patents: Geregelt sind weder die Patentierungsvoraussetzungen noch der Umfang des Patentschutzes oder das Vermögensrecht. Stattdessen wird auf nationales Recht und Völkerrecht verwiesen. Das Einheitspatent ist damit lediglich ein inhaltsleeres Gefäß, dessen Konturen nicht einmal schemenhaft unionsrechtlich festgelegt sind. Dies könnte unionsrechtswidrig sein und gewährleistet auch weder Rechtssicherheit noch eine einfache, günstige und vorhersehbare Nutzung durch potenzielle Inhaber.

Abstriche gab es auch beim Gerichtssystem, sowohl im Großen als auch im Kleinen. Im Großen wurden, wie erwähnt, Drittstaaten ausgeschlossen, aber auch auf eine Zwangslizenzklage sowie auf volle Berufungsrechte in Administrativverfahren (also betreffend die Erteilung oder Gültigkeit) wurde verzichtet. Im Kleinen ist das Modell von Kompromissen durchsetzt, etwa was eine nationale Besetzung der Richterbank oder die Offenheit des Systems für nationale Verfahrensbesonderheiten (zum Beispiel das deutsche Trennungsprinzip) angeht.

Begleitende Forschung des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb

Das Institut widmet dem Binnenmarktpatent seit Jahren einen Forschungsschwerpunkt. Wichtig ist, nicht nur reaktiv, das heißt, kommentierend oder bei öffentlichen Konsultationen tätig zu sein, sondern vor allem proaktiv: Es gilt, Fehlentwicklungen vorausschauend zu erkennen und zu vermeiden und Regelungsalternativen aufzuzeigen. Angesichts des komplexen Querschnittscharakters des Themas im Schnittfeld von Innovation und Integration, seiner Dynamik und der Intransparenz politischer Entwicklungen ist dies nicht immer ganz leicht.

Die Thematik war Gegenstand eines am Institut im Jahr 2012 erfolgreich abgeschlossenen Habilitationsprojekts. Die zugehörige Publikation erschien im Herbst 2013 unter dem Titel „System einer Europäischen Gerichtsbarkeit für Immaterialgüterrechte” im Verlag Springer.

Das Projekt formuliert für die unterschiedlichen Unionsschutzrechte, vor allem für Patente und Marken, zentrale Bausteine der Gerichtsbarkeit. Diese werden dann zu einzelnen idealen Gerichtsmodellen zusammengesetzt und anschließend wird eine mögliche Verbindung zu einem einheitlichen Immaterialgütergericht überlegt. Da nur unionseigene Gerichte erteilte Schutzrechte unmittelbar aufheben können, besteht das als ideal vorgeschlagene Modell letztlich aus zwei, allerdings wechselseitig miteinander verbundenen Gerichten. So sollte einerseits ein sehr großes Gericht für Verletzungs- und Gültigkeitsfragen sowie Zwangslizenzklagen bei sämtlichen Schutzrechten (Unions- und Bündelpatente, Sorten, Marken und Designs) zuständig sein. Dieses Gericht hätte bei Patenten außerdem eine Administrativzuständigkeit. Es wäre dezentralisiert und völkerrechtsbasiert. Andererseits wäre ein kleineres Gericht für den Bereich der Administrativgerichtsbarkeit zu errichten, das für die von einer Unionsbehörde erteilten Schutzrechte (Marken, Designs und Sorten) zuständig ist. Der weitere Rechtsmittelzug würde dort vom Administrativgericht an ein Fachgericht im Sinne von Artikel 257 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gehen. Für den Fall, dass das ideale Gericht nicht realisiert werden kann, werden Ersatzvarianten mit einzelnen, noch vertretbaren Abstrichen vorgeschlagen. Ziel der Untersuchungen ist aber ohnehin weniger, einzelne Modelle in Reinform umzusetzen, als vielmehr systemisch durchdachte, tragfähige und detaillierte Maßstäbe zur Funktionalitätsbewertung aktueller und künftiger Vorhaben zu formulieren. Weitgehend modellunabhängig findet zudem eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem zugehörigen Verfahrensrecht statt.

Die Hoffnung, dass die in großen Zügen entworfenen Bausteine der Gerichtsbarkeit sich zum raschen, bewertenden Abgleich mit der schnelllebigen Praxis eignen würden, hat sich seit Beendigung des Habilitationsprojekts auch bestätigt: Nach wie vor ist das Projekt auf europäischer Ebene im Fluss. Aus dem Projekt sind mehrere an ein wissenschaftliches Publikum gerichtete Veröffentlichungen zu speziellen Aspekten der aktuelleren Entwicklungen hervorgegangen. Darüber hinaus entwarf ein Institutsteam vor dem Hintergrund der Thesen der Arbeit und deren kritischer Diskussion zwei breite wissenschaftliche Stellungnahmen zur materiellen und gerichtlichen Ausgestaltung des Systems einerseits und zum vorgeschlagenen Verfahrensrecht andererseits. Sie unternehmen es, die komplexen Probleme und Wertungen in einfache, für die relevanten Entscheidungsträger auf europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene sowie für Patentrechtspraktiker verständliche Sprache zu fassen und Anregungen und Argumente für eine breitere Diskussion zu liefern.

Literaturhinweise

Hilty R.; Jaeger, T.; Lamping, M.; Romandini, R.; Ullrich, H.
Comments on the Preliminary Set of Provisions for the Rules of Procedure of the Unified Patent Court
Max Planck Institute for Intellectual Property & Competition Law Research Paper No. 13-16
Ullrich, H.
The Property Aspects of the European Patent with Unitary Effect: A National Perspective for a European Prospect?
The Property Aspects of the European Patent with Unitary Effect: A National Perspective for a European Prospect? Scrutinizing Internal and External Dimensions of European Law, Les dimensions internes et externs du droit européen à l’épreuve – Liber Amicorum Paul Demaret, 481 (Eds. Govaere, I.; Hanf, D.). Peter Lang, Brussels (2013)
Hilty, R.; Jaeger,T.; Lamping, M.; Ullrich, H.
The Unitary Patent Package: Twelve Reasons for Concern
Max Planck Institute for Intellectual Property & Competition Law Research Paper No. 12-12
Ullrich, H.
Select from Within the System: The European Patent with Unitary Effect
Max Planck Institute for Intellectual Property & Competition Law Research Paper No. 12-11
Jaeger, T.
System einer Europäischen Gerichtsbarkeit für Immaterialgüterrechte
Springer, Heidelberg (2013)
Jaeger, T; Hilty, R.; Drexl, J; Ullrich, H.
Comments of the Max Planck Institute for Intellectual Property, Competition and Tax Law on the 2009 Commission Proposal for the Establishment of a Unified European Patent Judiciary
International Review of Intellectual Property and Competition Law 40 (7), 817–838 (2009)
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