Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen

microRNAs als molekulare Etiketten zur gezielten Ausschaltung von mRNA

Autoren
Izaurralde, Elisa
Abteilungen
Biochemie
Zusammenfassung
MicroRNAs sind im Genom kodierte, rund 22 Nukleotide lange RNAs, die die Genexpression post-transkriptional reduzieren, indem sie an die untranslatierten 3′-Regionen von Boten-RNAs (mRNAs) binden und diese meist auch eliminieren. Obwohl viel über ihre Biogenese und biologischen Funktionen berichtet wurde, sind die Mechanismen, mit denen miRNAs die Genexpression deaktivieren, nicht vollständig erforscht. Unser langfristiges Ziel ist es, molekularbiologisch zu verstehen, wie miRNAs gezielt Hunderte von mRNA-Sequenzen in Tierzellen auf spezifische Weise unterdrücken können.

Kleine RNA-Abschnitte regulieren die Genexpression

miRNAs spielen in einer Vielzahl biologischer Prozesse, wie der Entwicklung, der Zelldifferenzierung, der Zellproliferation oder dem Zelltod, eine wichtige Rolle [1]. Das Genom von Insekten und Würmern enthält mindestens 100 miRNA-Gene, während Wirbeltiere und Pflanzen auf 500 bis 1000 miRNAs kommen. Jede miRNA kann unter Umständen Hunderte von unterschiedlichen Boten-RNAs (messenger RNAs, mRNAs) regulieren, was vermuten lässt, dass ein erheblicher Anteil von eukaryotischen Genen einer Regulierung durch miRNAs unterliegt [2].

Angesichts der großen Anzahl von Genen, die durch miRNAs heruntergeregelt und ausgeschaltet werden, überrascht es nicht, dass miRNAs an der Entstehung vieler Krankheiten, wie etwa Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwechselstörungen, beteiligt sind und somit die Erforschung ihrer genauen Funktionsweise neue Möglichkeiten für eine therapeutische Intervention eröffnet [1]. Um herauszufinden, wie miRNAs an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind und um sinnvolle therapeutische Strategien entwickeln zu können, ist daher ein detailliertes, mechanistisches Verständnis ihrer Wirkungsweise erforderlich.

Zur Ausübung ihrer Funktionen bilden miRNAs Komplexe mit Proteinen aus der Familie der sogenannten Argonauten. Diese Komplexe werden auch als miRISCs - miRNA-induced silencing complexes - bezeichnet, in denen die miRNAs die Aufgabe übernehmen, Argonaut-Proteine zu teilweise komplementären mRNA-Zielsequenzen zu führen, die dann nachfolgend blockiert werden [1, 2, 3].

Trotz bemerkenswerter Fortschritte in unserem Verständnis der Biogenese und Funktion von miRNAs sind die Mechanismen, die miRNAs zur Herunterregulierung der Genexpression einsetzen, noch nicht vollständig verstanden. Allerdings haben die im letzten Jahrzehnt durchgeführten Untersuchungen wichtige Fortschritte gebracht, weil nachgewiesen werden konnte, dass Argonaut-Proteine von Proteinen der GW182-Familie unterstützt werden, die wiederum als molekulare Knotenpunkte für die Rekrutierung von Translationsrepressoren und Abbauenzymen dienen.

Die Familie der GW182 Proteine

GW182-Proteine wurden erstmals in menschlichen Zellen als Antigen identifiziert und im Serum eines Patienten gefunden, der unter einer motorisch-sensiblen Neuropathie litt. Experimente zeigten, dass diese Proteine mit Argonaut-Proteinen interagieren und in Tieren bei der Zellregulation über miRNAs eine wichtige Rolle spielen [3, 4].

GW182-Proteine sind in mehrzelligen Organismen vorhanden. Wirbeltiere und einige Insektenarten besitzen drei GW182-Proteine (TNRC6A/GW182, TNRC6B und TNRC6C), während Fruchtfliegen nur ein GW182-Protein aufweisen. In Hefe und Pflanzen wurden bislang keine GW182-Proteine nachgewiesen [4]. GW182-Proteine aus Wirbeltieren und Insekten sind typischerweise durch eine N-terminale Region gekennzeichnet, die an die Argonaut-Proteine bindet, und zwar an deren sogenannte AGO-Bindungsdomäne (ABD). Die C-terminale Region der GW-182 Proteine wiederum ist dazu in der Lage, Abbauenzyme zu rekrutieren und wird daher als Silencing-Domäne (SD) bezeichnet (Abb. 1).

Sowohl die N-terminale ABD als auch die C-terminale SD von GW182-Proteinen sind für das Herunterregeln von mRNAs wesentlich. Bemerkenswerterweise sind beide Domänen strukturell ungeordnet und reich an Trpytophan (W) Resten. Diese sind häufig Glycin (G) Resten benachbart und bilden so GW-, WG- oder GWG-Motive, die gesammelt als GW-Wiederholungen (GW-Repeats) bezeichnet werden, worauf die Bezeichnung der Protein-Familie zurückzuführen ist (Abb. 1). GW182-Proteine nutzen diese W-haltigen Motive zur Bindung an ihre Partner. Insbesondere wurde nachgewiesen, dass GW182-Proteine Tryptophan-Reste in hydrophobe Taschen einbringen können, die sich auf der Oberfläche ihrer Bindungspartner befinden [4–9].

Ein Modell für die Herunterregulierung von Genen durch miRNAs

Die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt gewonnenen Erkenntnisse der miRNA-Forschung unterstützen ein mechanistisches Modell, das mit der Erkennung einer mRNA durch eine miRNA in Verbindung mit einem Argonaut-Protein beginnt (Abb. 2). Das Argonaut-Protein rekrutiert dabei ein GW182-Protein, was eine Kaskade von Ereignissen auslöst. Diese beinhalten die Unterdrückung der Translation, die Entfernung des Poly(A)-Schwanzes der mRNA - was als Deadenylierung bezeichnet wird - und letztendlich den vollständigen Abbau der mRNA (Abb. 2, Abb. 3). Wie die Translation unterdrückt wird, ist noch weitgehend unbekannt. Dagegen weiß man bereits ziemlich viel über den Mechanismus der durch miRNAs ausgelösten Deadenylierung und des darauf folgenden mRNA-Abbaus. Es ist bekannt, dass die Deadenylierung durch die sequenzielle Aktivität von zwei cytoplasmischen Deadenylase-Komplexen erfolgt: dem PAN2-PAN3 Komplex und dem CCR4-NOT-Komplex (Abb. 3; [3, 4]).

Abhängig von der Zellart und / oder der speziellen Zielsequenz kann die deadenylierte mRNA im translatorisch unterdrückten Zustand zur späteren Verwendung aufgehoben werden. In vielen Organismen und Zellarten kommt es allerdings zu einer Abnahme der mRNA-Menge. Dies passt zur Beobachtung, dass deadenylierte mRNAs grundsätzlich instabil sind und durch generell wirkende Abbauenzyme schnell verdaut werden. miRNAs beschleunigen somit die Zerstörung der Ziel-mRNA, indem sie Enzyme rekrutieren, die am generellen mRNA Abbau in der Zelle beteiligt sind. Dieser Abbau wird auch als 5'-3'-mRNA Degradation bezeichnet [3, 4]. Dabei werden die mRNAs zunächst deadenyliert. Anschließend wird die molekulare Kappe, die das mRNA-5’-Ende schützt, in einem als Entkappung bezeichneten Prozess entfernt, und letztlich wird die mRNA vom 5'-Ende her durch eine Exonuklease mit der Bezeichnung XRN1 exonukleolytisch abgebaut (Abb. 3).

Ein wichtiger Beitrag unseres Labors für die miRNA-Forschung war der Nachweis, dass miRNAs den Abbau von mRNAs bewirken, indem sie diese der enzymatischen Maschinerie zuführen, die für den generellen mRNA Abbau über den 5'-3'-Weg zuständig ist. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass dieser über die miRNAs vermittelte mRNA-Abbauweg Argonaut- und GW182-Proteine sowie Deadenylase- und Entkappungskomplexe benötigt. Diese Komplexe werden von den GW182-Proteinen zur mRNA rekrutiert [3, 4, 6–10].

Aber damit ist das Bild noch lange nicht vollständig, es fehlt insbesondere die Erkenntnis, wie es zur Unterdrückung der Translation durch miRNAs kommt. Eine interessante Möglichkeit wäre die, dass einer der beiden Deadenylase-Komplexe, der CCR4-NOT-Komplex, sowohl die Translation unterdrückt als auch die Deadenylation bewirkt. Für diese Möglichkeit spricht die erstaunliche Beobachtung, dass Untereinheiten des CCR4-NOT-Komplexes in der Lage sind, die Translation von mRNAs zu unterdrücken, denen ein Poly(A)-Schwanz fehlt und die deshalb gar nicht deadenyliert und abgebaut werden können [4, 6, 7]. Diese Beobachtungen legen nahe, dass Deadenylase-Komplexe unabhängig von der Rolle, die sie bei der Deadenylierung spielen, zur Unterdrückung der Translation beitragen könnten. Zukünftige Studien werden zeigen, ob Deadenylase-Komplexe die Translation unterdrücken, und wenn ja, durch welche Mechanismen dies bewirkt wird.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass miRNAs an vorderster Front der biomedizinischen Forschung stehen. Seit ihrer Entdeckung 1993 sind die Fortschritte auf diesem Gebiet bemerkenswert. Entscheidende Schritte waren die Aufklärung einzelner Stufen der Biogenese von miRNAs, die Identifizierung der Effektoren dieses Prozesses und die Aufklärung der Bedeutung von miRNAs als therapeutische Werkzeuge und Zielsequenzen.

Viele molekulare und mechanistische Details der Herunterregulierung von Genen durch miRNAs bleiben zwar noch zu klären, aber die letzten Jahre haben unsere Kenntnisse über diese Mechanismen erheblich erweitert. Insbesondere wurde eine so nicht erwartete, direkte Verbindung zum CCR4–NOT-Komplex festgestellt, der als post-transkriptionaler Hauptregulator in eukaryotischen Zellen agiert. Untersuchungen der Wechselwirkungen zwischen diesem Komplex und dem auf miRNAs basierenden Silencing-Mechanismus werden das Forschungsfeld weiter voran bringen und sind ein spannendes Thema für weitere Studien.

Literaturhinweise

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