Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie

Bakterielle Nanospritzen

Autoren
Gatsogiannis, Christos; Raunser, Stefan
Abteilungen
Abteilung Physikalische Biochemie
Zusammenfassung
Bakterien besitzen ein Arsenal an Waffen, um ihren Wirt zu infizieren und gegebenenfalls zu töten. Forscher am MPI für molekulare Physiologie haben einen neuartigen Mechanismus beschrieben, mit dem das Bakterium Photorhabdus luminescens Insekten attackiert. Dabei spielen ein ungewöhnlicher Kokon mit seinem hochgiftigen Inhalt und eine neuartige Nanospritze die zentralen Rollen. Diese neuen Erkenntnisse sind von grundlegender Bedeutung für das allgemeine Verständnis des Transports von Wirkstoffen durch Membranen und könnten sogar für gezielte medizinische Anwendungen in Frage kommen.

Leuchtende Fadenwurm-Bakterien und ihre tödliche Fracht

Das lichtemittierende Bakterium Photorhabdus luminescens lebt symbiotisch im Darm von millimetergroßen Fadenwürmern. Diese Allianz ist für beide Organismen überlebenswichtig [1]. Die Würmer befallen im Boden lebende Insektenlarven und infizieren sie mit den Bakterien. Die Bakterien produzieren einen Giftcocktail, mit dem sie die Larven töten und danach fressen. Die Würmer wiederum fressen die Bakterien und pflanzen sich fort. Aufgrund ihrer für Insekten tödlichen Wirkung werden diese Symbionten in der Landwirtschaft als biologische Schädlings­bekämpfungsmittel eingesetzt. 

Momentaufnahmen einer bakteriellen Mikroinjektionsnadel

Die sogenannten Tc-Toxine gehören zu den wirksamsten Giften von  Photorhabdus. Sie bilden Komplexe aus drei verschiedenen Proteinen (TcA, TcB, TcC) und werden daher auch als ABC-Toxine bezeichnet. Erste Untersuchungen deuteten darauf hin, dass die biologische Aktivität in TcC lokalisiert ist [2]. Es fördert die unkontrollierte Polymerisation von Aktin in der Wirtszelle, die letztendlich zum Zelltod führt. Aber wie gelangt TcC ins Innere der Zelle, um seine tödliche Wirkung zu entfalten? Um Antworten darauf zu finden, wurde das Toxin zunächst mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie untersucht. Mit dieser Technik können im Eis eingebettete Proteine bis ins nahezu atomare Detail analysiert werden.


Dabei wurde zuerst TcA, die größte Komponente des Tc-Toxins, im Elektronenmikroskop bei Temperaturen von -196°C abgebildet. Tausende Einzelbilder des Komplexes wurden aufgenommen, um die dreidimensionale Struktur des Komplexes bei einer Auflösung von 6 Ångström zu erhalten. Bei dieser Auflösung kann man Protein-Sekundärstrukturen, wie z. B. Helices, identifizieren. Dabei stellte sich heraus, dass fünf Untereinheiten eine glockenähnliche Struktur bilden, die aus einer äußeren Hülle und einem inneren Kanal besteht (Abb. 1), [3].

Weitere elektronenmikroskopische und biochemische Untersuchungen zeigten, dass TcA in extrem basischem Milieu (wie es im Mitteldarm der Insektenlarven herrscht) eine spektakuläre Konformationsänderung durchläuft: die äußere Hülle öffnet sich, der Kanal wird entkoppelt und wie eine Nadelspritze durch die Membran-Doppelschicht geschoben [3].

Der Injektionsapparat in atomarer Auflösung

Die genaue Analyse des Komplexes mittels Röntgenkristallographie identifizierte eine ungewöhnlich gestreckte Polypeptidkette als die treibende Kraft für diese drastischen Konformationsänderungen [4].  Diese verbindet den zentralen Kanal mit der äußeren Hülle und steht unter Spannung, vergleichbar mit einer gestreckten Feder. Die Hülle, die den unteren Bereich des Kanals umschließt und verhindert, dass sich die Polypeptid-Feder entspannen kann, öffnet sich, sobald der pH-Wert in der Umgebung sinkt oder steigt. Nun kann sich die molekulare Feder entspannen und die gespeicherte mechanische Energie freisetzen. Dabei zieht sie den zentralen Kanal mit sich und verschiebt ihn um ca. zwölf Nanometer. Dieser stößt dadurch mit seiner Spitze durch die Membran der Wirtszelle und bildet einen Kanal, der ins Innere der Zelle führt (Abb. 2), [4].

Auf der äußeren Hülle von TcA wurden außerdem potenzielle rezeptorbindende Domänen identifiziert, die für die Wirts- oder Zellspezifität von extremer Bedeutung sein können. Eine dieser Domänen ähnelt sogar sog. Neuraminidasen, Enzymen, die u. a. in der Membran von verschiedenen Viren zu finden sind und Ziele von modernen virustatisch wirkenden Medikamenten darstellen.

Der Kokon enthält das Killer-Enzym

TcB und TcC formen zusammen einen hohlen Kokon, der eine Art Behälter für das hochtoxische C’-terminale Ende von TcC darstellt, das autoproteolytisch von TcC gespalten wird (Abb. 3).

Dieser Kokon dient somit nicht nur zum Schutz des giftigen Inhalts (z.B. vor Proteasen), sondern schützt auch die Bakterien vor den eigenen Giftstoffen. Zudem entfaltet er wahrscheinlich auch das giftige Peptid, damit dieses später durch den Kanal passt. Das Toxin soll nur zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort freigesetzt werden, nämlich um die Wirtszelle zu attackieren. Und genau in diesem Kontext kommt wieder die dritte Untereinheit TcA, die als Nanospritze fungiert, ins Spiel: Der Kokon von TcB/TcC dockt spezifisch an TcA an, sodass sein giftiger Inhalt ins Kanalinnere der Nanospritze gelangt (Abb. 4).

Die Hülle der Nanospritze bindet anschließend an bestimmte Rezeptoren an der Oberfläche der Wirtszelle. Der Kanal wird dann wie die Kanüle einer Spritze durch die Zellmembran geschoben und transportiert so das Killer-Enzym ins Zellinnere. Im Zytoplasma der Wirtszelle faltet sich das Enzym wieder in seine ursprüngliche Form und entfaltet dort seine tödliche Wirkung. Die Insektenlarven sterben meistens innerhalb von 48 Stunden.

Ausblick

Die Struktur des Injektionsapparats und desTransportkokons und der Mechanismus der Toxintranslokation der Tc-Toxine von Photorhabdus sind einzigartig und unterscheiden sich von allen bereits bekannten Toxinen in jeder Hinsicht. Diese Toxin-Familie ist auch bei Bakterien zu finden, die Krankheiten bei Menschen hervorrufen, wie z. B. Yersinia pestis, dem Erreger der Lungen- und Beulenpest. Deshalb werden die jetzigen Erkenntnisse und die weitere Erforschung des molekularen Mechanismus der hier untersuchten Tc-Proteine helfen, die Wirkungsweise der humanpathogenen Bakterien besser zu verstehen und zu bekämpfen. Insbesondere die Identifizierung potenzieller Rezeptoren an der Oberfläche der Wirtszellen sowie die Aufklärung ihrer Interaktion mit dem Toxin eröffnet neue Möglichkeiten in der Medizin und der Landwirtschaft. Denn hier würde sich die Chance ergeben, die Wirkung dieser Toxine zu hemmen (z. B. bei humanpathogenen Bakterien) oder – falls erwünscht – sogar weiter zu verstärken bzw. zu modifizieren (z. B. für schädlingsresistente Nutzpflanzen und insektenpathogene Bakterien).

Aber noch wichtiger: Die neuen Erkenntnisse enthüllen einen völlig neuen Mechanismus, wie Peptide beschützt durch die Membran in eine Zielzelle transportiert werden können. Eine Perspektive mit enormem Potenzial wäre daher die Entwicklung von modifizierten Tc-Komplexen, die als „Protein-Shuttles“ bzw. Nanospritzen gezielt in der Medizin eingesetzt werden können.

Referenzen

Joyce, S. A.; Watson, R. J.; Clarke, D. J.
The regulation of pathogenicity and mutualism in Photorabdus
Current Opinion in Microbiology 9, 127-132 (2006)
Lang, A. E.; Schmidt, G.; Schlosser, A.; Hey, T. D.; Larrinua, I. M.; Sheets, J. J.; Mannherz, H. G.; Aktories, K.
Photorhabdus luminescens toxins ADP-ribosylate actin and RhoA to force actin clustering
Science 327, 1139-1142 (2010)
Gatsogiannis, C.; Lang, A. E., Meusch, D., Pfaumann, V.; Hofnagel, O.; Benz, R.; Aktories, K.; Raunser, S.
A syringe-like injection mechanism in Photorhabdus luminescens toxins
Nature 495, 520-523 (2013)
Meusch, D.; Gatsogiannis, C.; Efremov, G. R.; Lang, A. E; Hofnagel, O.; Vetter, I. R.; Aktories, K.; Raunser, S.
Mechanism of Tc toxin action revealed in molecular detail
Nature 508, 61-65 (2014)

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