Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen

Geschlechtsspezifische Effekte beim Lügen bei der Steuererklärung

Gender differences in tax compliance behavior

Autoren
Qari, Salmai
Abteilungen
Abteilung für Finanzwissenschaft
Zusammenfassung
Wenn sie ihre Steuern erklären, sind Frauen und Männer gleich ehrlich. Auch hängt die Bereitschaft, ehrlich zu sein, nicht vom Geschlecht des Gegenübers ab, lautet das Ergebnis einer Studie am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. In einem Experiment mussten die Probanden gegenüber einer Zöllnerin oder einem Zöllner den Wert mitgeführter Waren deklarieren. Für hohe Warenwerte ist eine Steuer fällig, aber die Reisenden können entscheiden, ob sie versuchen, durch eine falsche Angabe diese Steuer zu hinterziehen.
Summary
In a tax compliance experiment with real face-to-face communication between declaring subjects and officers, researchers analyze the role of both the subject’s and the officer’s gender for deceptive behavior. Their results show that the amount of underreporting generally does not depend on the officer’s gender and that there is no evidence that the matching of genders plays a role for deceptive behavior. Moreover, as a reaction to a high rather than a low penalty, women and men both reduce deceptive behavior to the same extent and therefore seem to have similar risk taking attitudes.

Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Euro-Krise steht immer wieder auch das Thema der Steuerhinterziehung und -vermeidung im Fokus der medialen Berichterstattung. Das Ausmaß an Steuerhinterziehung hängt entscheidend davon ab, wie oft und wie intensiv Steuerprüfungen durchgeführt werden. In einem Interview argumentiert Dieter Engels, Präsident des Bundesrechnungshofs, dass in einigen Bundesländern die Personaldecke der Landesfinanzverwaltungen so dünn sei, dass „nur alle 30 bis 50 Jahre eine Steuerprüfung, also praktisch gar nicht“ drohe. Mit zusätzlichen Steuerprüfern ließen sich „Einkunftsmillionäre oder Betriebe, aber auch andere Bereiche besser und häufiger kontrollieren“ [1]. Gerade bei den genannten Einkunftsmillionären könnte im Zuge der jüngsten Berichterstattung der Medien der Eindruck entstehen, dass es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Delikt handelt, das vor allem Männern zuzuschreiben ist. Ein Teil der ökonomischen Forschungsliteratur bestätigt diesen Eindruck und argumentiert, dass Frauen im Allgemeinen weniger kompetitiv und weniger risikofreudig seien als Männer [2]. Ob diese Ergebnisse generalisierbar sind, ist jedoch umstritten. Aktuelle Forschungsbeiträge, die Geschlechtsunterschiede stärker im Kontext von Steuerhinterziehung untersuchen, liefern widersprüchliche Aussagen. Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Forschungsfragen, die experimentell untersucht werden sollen: Sind Frauen tatsächlich ehrlicher als Männer, hängt das Deklarationsverhalten also vom Geschlecht ab? Hängt der Versuch der Steuerhinterziehung vom Geschlecht des Gegenübers ab? Falls ja, gibt es dann auch Unterschiede hinsichtlich der Kombination der Geschlechter, das heißt, ist zum Beispiel das Deklarationsverhalten von weiblichen Reisenden unterschiedlich, wenn sie ihre Angaben gegenüber einer Zöllnerin oder einem Zöllner machen müssen?

Forschungsstand und eigener Beitrag

Eine Reihe von Faktoren, die für Geschlechtsunterschiede bei der Steuerhinterziehung sorgen oder sie zumindest begünstigen, sind denkbar. Neben der bereits erwähnten unterschiedlichen Risikoneigung sind unterschiedliche Moralvorstellungen ein weiterer Erklärungsansatz. International vergleichbare Umfragedaten zeigen sehr häufig, dass Frauen im Vergleich zu Männern negativer gegenüber Delikten wie dem Steuerdelikt eingestellt sind. Aus diesen Befunden wird abgeleitet, dass Frauen eine höhere Steuermoral als Männer aufweisen [3]. Allerdings zeigen diese Studien auch, dass Falschaussagen je nach Kontext sehr unterschiedlich bewertet werden. Beispielsweise wird das Lügen im eigenen Freundeskreis durchschnittlich negativer bewertet als falsche Angaben bei der Steuererklärung.

Einerseits können Umfragen ein sehr detailliertes Meinungsbild der Teilnehmer zu verschiedenen Themen liefern, andererseits bringen Umfragedaten auch eine Reihe von Problemen mit sich. Eine Schwierigkeit bei der Analyse von Umfragedaten sind Verzerrungen beim Antwortverhalten; zum Beispiel ist es möglich, dass Umfrageteilnehmer sozial unerwünschten Positionen bewusst oder unbewusst nicht zustimmen, auch wenn diese ihrer persönlichen Meinung entsprechen.

Selbst wenn es möglich wäre, anhand einer Umfrage die Steuermoral von Frauen und Männern zu bestimmen, ist a priori unklar, wie stark unterschiedliche Moralvorstellungen das Verhalten beeinflussen. Laborexperimente haben den Vorteil, dass die Untersuchungsumgebung kontrolliert werden kann und sich das Verhalten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer direkt messen lässt.

Die bisherige ökonomische experimentelle Forschung hat potenzielle Geschlechtsunterschiede vor allem mittels „klassischer“ Laborexperimente untersucht. In diesen Experimenten nehmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Entscheidung am Computerbildschirm vor und können etwa davon profitieren, ihrem unbekannten und anonymen Partner eine falsche Nachricht zu übermitteln. Im Gegensatz dazu wird in der vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen gemeinsam mit der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin durchgeführten Studie eine echte Gesprächssituation nachgestellt. Die Versuchspersonen nehmen also ihre Deklarationsentscheidung nicht wie in den klassischen Laborexperimenten am Computerbildschirm vor, sondern müssen in einen separaten Raum gehen („Zoll“), um dort Angaben über den Wert ihrer Waren zu machen.

Untersuchungsrahmen

Um eine statistisch belastbare Analyse durchzuführen, müssen die Teilnehmer in der Rolle des beziehungsweise der Reisenden vier Mal hintereinander entscheiden, wie sie ihre mitgeführten Waren deklarieren. In jeder Runde wird ihnen zufällig entweder ein hoher oder niedriger Warenwert zugewiesen. Während der niedrige Warenwert steuerfrei ist, muss bei hohem Warenwert eine Steuer abgeführt werden. Für die spätere Auswertung sind nur die Runden relevant, in denen den Reisenden der hohe Warenwert zugewiesen wurde, da nur bei hohem Warenwert die Möglichkeit besteht, zu betrügen. Im Folgenden wird daher die Situation aus Sicht eines Reisenden mit hohem Warenwert näher erläutert.

Die Reisenden werden nacheinander aufgerufen und müssen in einem separaten Raum gegenüber dem Zoll einen Warenwert deklarieren. Sie wissen, dass der Zoll sie auf einer Skala von sehr verdächtig bis unverdächtig einstuft und dass die verdächtigere Hälfte der Reisenden überprüft wird. Die Überprüfungsrate beträgt im Aggregat also 50 Prozent; entscheidend ist für die Reisenden jedoch ihre Selbsteinschätzung: Halten die Reisenden sich zum Beispiel für „gute Lügner“, sind sie eher geneigt, einen hohen Warenwert nicht zu deklarieren. Im Falle einer Hinterziehung mit anschließender Überprüfung wird zusätzlich zu der regulären Steuer noch ein Strafzuschlag erhoben. In den insgesamt vier Runden deklariert jede Reisende und jeder Reisende genau zwei Mal gegenüber einer Zöllnerin und zwei Mal gegenüber einem Zöllner den Wert ihrer oder seiner Waren. Die Reihenfolge erfolgt zufällig bei vier unterschiedlichen Zöllnern beziehungsweise Zöllnerinnen. Damit wird verhindert, dass wiederkehrende Muster die Ergebnisse des Experiments verfälschen, weil zum Beispiel zuerst gegenüber Frauen und dann gegenüber Männern deklariert werden muss.

Um weiter zu untersuchen, ob sich Geschlechterunterschiede abhängig von der Höhe des Strafzuschlags ergeben, wurde ein Teil der Experimente mit einem erhöhten Strafzuschlag durchgeführt.

Ergebnisse

Alle Runden, bei denen die Reisenden einen hohen Warenwert und damit die Möglichkeit zur Steuerhinterziehung hatten, werden mit statistischen Methoden untersucht. Die Analyse erfolgt mittels eines verallgemeinerten linearen Regressionsmodells mit teilnehmer­spezifischen zufälligen Effekten (random effects logit model). Dieses Regressionsmodell modelliert die Wahrscheinlichkeit, dass eine Reisende oder ein Reisender mit hohem Warenwert gegenüber dem Zoll diesen Wert auch tatsächlich angibt und somit ehrlich ist. Die Analyse ergibt, dass eine durchschnittliche Reisende oder ein Reisender den hohen Warenwert mit einer Wahrscheinlichkeit von 36 Prozent wahrheitsgemäß deklariert, wenn die angedrohte Strafe niedrig ist. Im Falle einer hohen Strafe beträgt diese Wahrscheinlichkeit rund 88 Prozent. In einem ersten Schritt wird nun untersucht, ob das Geschlecht des Reisenden einen Einfluss auf die wahrheitsgemäße Deklaration hat. Dies ist nicht der Fall. Weiterhin wird untersucht, ob eine bestimmte Kombination aus dem Geschlecht von Reisenden und Zöllner es wahrscheinlicher macht, dass ein hoher Warenwert wahrheitsgemäß deklariert wird. Auch hierfür finden sich keine Anhaltspunkte.

Der Vergleich des Deklarationsverhaltens in Abhängigkeit von der Strafhöhe liefert noch ein weiteres Resultat. Wie bereits erwähnt, erhöht sich die Steuerehrlichkeit bei höherer Strafe. Aber auch in diesem Fall ist die höhere Steuermoral vom Geschlecht der Teilnehmer unabhängig. Die Experimente geben folglich auch keine Hinweise auf Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Risikoneigung der Teilnehmer.

Fazit

Die Experimente zeigen sehr deutlich den erwarteten Zusammenhang zwischen Strafhöhe und der wahrheitsgemäßen Deklaration des Warenwerts. Für die häufig anzutreffende Vermutung, Frauen seien ehrlicher als Männer, finden sich keine Belege. Weder hat das eigene Geschlecht einen messbaren Einfluss auf die wahrheitsgemäße Deklaration noch das Geschlecht des Gegenübers oder aber die Kombination der Geschlechter.

Literaturhinweise

Der Tagesspiegel, Heike Jahberg
„Es steht nicht gut um die Steuergerechtigkeit“. Dieter Engels, Chef des Bundesrechnungshofs, im Tagesspiegel-Interview.
Tagesspiegel, 29.4.2013
Croson, R; Gneezy, U.
Gender differences in preferences
Journal of Economic Literature 47, 1–27 (2009)
Torgler, B.
The importance of faith: Tax morale and religiosity
Journal of Economic Behavior and Organization 61, 81–109 (2006)
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