Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für Astronomie
Gigantisches Schwarzes Loch könnte Modelle der Galaxienentwicklung kippen
van den Bosch, Remco; Yildirim, Akin; van de Ven, Glenn; van der Wel, Arjen
Abteilung Galaxien und Kosmologie
Nach bestem Wissen der heutigen Astronomen sollte jede Galaxie in ihrer Zentralregion ein sogenanntes supermassereiches Schwarzes Loch aufweisen: ein Schwarzes Loch mit einer Masse zwischen einigen Hunderttausend und Milliarden von Sonnenmassen. Das am besten untersuchte Exemplar mit rund vier Millionen Sonnenmassen sitzt im Zentrum unserer Heimatgalaxie, dem Milchstraßensystem.
Untersuchungen der Massen von Galaxien und ihrer Schwarzen Löcher haben einen interessanten Zusammenhang aufgedeckt: eine direkte Verbindung zwischen der Masse des zentralen Schwarzen Lochs einer Galaxie und der Masse ihrer Sterne. Typischerweise kommt das Schwarze Loch dabei auf einen recht gut definierten, aber winzigen Bruchteil der Gesamtmasse der Galaxie.
Diese allgemein akzeptierte Beziehung zwischen der Masse einer Galaxie und der ihres zentralen Schwarzen Lochs ist nur unvollständig verstanden – mindestens drei komplett verschiedene Erklärungsmodelle sind in der Diskussion. Die Existenz dieser Beziehung legt eine enge gemeinsame Entwicklung des zentralen Schwarzen Lochs und seiner Heimatgalaxie nahe und macht sie zu einem Schlüsselelement für das Studium der Galaxienentwicklung. Einer der Gründe für die gegenwärtig offenen Fragen ist, dass es weniger als hundert Datenpunkte gibt: weniger als hundert Fälle, in denen sowohl die Masse der Galaxie als auch die ihres zentralen Schwarzen Lochs gemessen werden konnte.
Die Verknüpfung zwischen der Galaxie und ihrem Schwarzen Loch testen
Eine gute Möglichkeit, eine physikalische Relation auf die Probe zu stellen, besteht darin, Extremfälle zu betrachten. Im Falle der Korrelation der Schwarzloch- und Galaxienmassen war bislang sehr wenig über die größten Massenwerte bekannt. Aus diesem Grunde begann der niederländische Astronom Remco van den Bosch im Jahr 2010 am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) eine systematische Suche nach den massereichsten Schwarzen Löchern in Galaxien im Universum. Für solche Galaxien mit ihren massereichen Schwarzen Löchern sollte es möglich sein, die Bewegung ihrer Sterne zu vermessen um so die Masse des zentralen Schwarzen Lochs abzuschätzen – selbst wenn die Galaxien hunderte von Millionen Lichtjahre von uns entfernt sind.
Im ersten Teil der systematischen Suche kam das Hobby-Eberly-Teleskop (HET, Abb. 1) am McDonald-Observatorium in Texas zum Einsatz. Dieses Teleskop hat einen besonders großen Hauptspiegel mit einer Gesamtfläche von 11 mal 9,8 Metern, der aus 91 sechseckigen Teilspiegeln besteht. Dank seiner Größe und des enormen Lichtsammelvermögens ist dieses Teleskop für eine Suche wie die von van den Bosch und Kollegen besonders geeignet, da sich die Beobachtung jeder einzelnen Galaxie vergleichsweise schnell durchführen lässt. Van den Bosch nutzte das HET, um Spektren von fast 1.000 relativ nahen (Entfernung kleiner gleich 100 Mpc) massereichen Galaxien im Rahmen des „Hobby-Eberly Telescope Massive Galaxy Survey” (HETMGS) aufzunehmen. HETMGS ist eine spektrographische Langspalt-Durchmusterung mit kleiner Auflösung.
Das hier geschilderte Ergebnis ist eines der ersten der systematischen Suche; weitere Ergebnisse werden veröffentlicht, sobald genauere Folgebeobachtungen und die Modellierungen der Schwarzlochmassen für weitere Galaxien durchgeführt wurden.
Bereits aus den mit dem Hobby-Eberly-Teleskop gewonnenen Spektren konnten van den Bosch und Kollegen eine erste Schätzung der Schwarzlochmasse vornehmen, für die sie einen wohlbekannten Zusammenhang zwischen der Masse des Schwarzen Lochs und der Breite bestimmter Spektrallinien nutzten. Die Linienbreite dient dabei zum Messen der „Geschwindigkeitsdispersion”, also der Verteilung der Sterngeschwindigkeiten um einen Durchschnittswert. Um die Masse des zentralen Schwarzen Lochs zu messen, müssen Astronomen die Bewegungen der Sterne im Zentrum der Galaxie verfolgen – jene Sterne, deren Umlaufbahnen unmittelbar von der Schwerkraft des Schwarzen Lochs beeinflusst werden. Je größer die Masse des Schwarzen Lochs, umso größer ist sein Einfluss auf die Geschwindigkeiten der ihm nahen Sterne.
Solche Schlüsseleigenschaften der Sternbewegung können aus dem Spektrum des Lichts herausgelesen werden, das die Zentralregionen der Galaxie aussenden. Bewegungen erzeugen dort ganz spezifische systematische Veränderungen („Dopplerverschiebungen von Spektrallinien”), die im Spektrum nachgewiesen werden können und die es den Astronomen erlauben, Rückschlüsse auf die Sternbewegung zu ziehen.
Die Geschwindigkeiten werden von der Verteilung der Masse innerhalb der Galaxie beeinflusst. Je massereicher das Schwarze Loch, desto schneller die Bewegung der Sterne im Zentrum der Galaxie. Die Zentren entfernter Galaxien sind jedoch zu dicht und zu weit entfernt, als dass Astronomen dort einzelne Sterne unterscheiden könnten. Was sie anhand der Spektrallinien allerdings messen können, ist die Verteilung der Geschwindigkeiten.
Vielversprechende Kandidaten und ein Rekordhalter
Um die Masse des Schwarzen Lochs zu bestimmen, erstellten van den Bosch und seine Kollegen dynamische Modelle der betreffenden Galaxien, die alle möglichen Sternumlaufbahnen einschlossen. Systematische Vergleiche zwischen Modell und Beobachtungsdaten zeigen dann, welche Umlaufbahnen und Geschwindigkeiten in Kombination mit welchem Massenwert für das Schwarze Loch die Beobachtungen am besten erklären.
Ihre Analyse konzentriert sich derzeit auf 18 der HETMGS Galaxien, die faszinierende Eigenschaften zeigen: Sie sind sehr kompakt (Halblicht-Radien Re≤2 kpc), sie roptieren schnell (vmax=(150−300) km/s) und ihre Geschwindigkeitsdispersion (der Indikator für die typischen Geschwindigkeiten der Sterne in der Galaxie) ist sehr hoch, mit einer außergewöhnlichen zentralen Spitze (σ≥300 km/s), was auf Hochgeschwindigkeits-Sterne hindeutet, die sich vermutlich in der Umlaufbahn um ein kompaktes, massereiches zentrales Objekt befinden, nämlich ein sehr massereiches zentrales Schwarzes Loch.
Für eines dieser Objekte, NGC 1277 (Abb. 2), standen bereits jetzt hochauflösende Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble zur Verfügung, weshalb es in den Fokus der Untersuchungen geriet. Unter Verwendung der aus den Hubble-Daten (Abb. 3) gewonnenen Helligkeitsprofilen und der spektroskopischen Messwerte ermittelten die Astronomen eine Schwarzlochmasse von 17±3 Milliarden Sonnenmassen – und das in einer Galaxie, die insgesamt die Masse von „nur” 120 Milliarden Sonnenmassen hat.
Mit 17 Milliarden Sonnenmassen könnte das neu entdeckte Schwarze Loch im Zentrum der Scheibengalaxie NGC 1277 sogar das massereichste überhaupt bekannte Schwarze Loch sein. Die Masse des derzeitigen Rekordhalters wird auf Werte zwischen 6 und 37 Milliarden Sonnenmassen geschätzt [2]; liegt der wahre Wert am unteren Ende, bricht NGC 1277 diesen Rekord. Wenn nicht, wäre das Schwarze Loch in NGC 1277 immerhin noch das zweitgrößte bekannte Schwarze Loch.
Die große Überraschung besteht darin, dass die Masse des zentralen Schwarzen Lochs 14% der Gesamtmasse seiner Galaxie ausmacht – im Vergleich mit üblichen Werten von etwa 0,1% ein gigantischer Wert und mehr als um einen Faktor Zehn höher als beim bisherigen Rekord. Astronomen hätten ein Schwarzes Loch dieser Größe nur in einer mindestens zehn Mal so großen strukturlosen („elliptischen”) Galaxie erwartet – nicht in einer kleinen Scheibengalaxie wie NGC 1277.
Ist das überraschend massereiche Schwarze Loch eine seltene Laune der Natur – eine absolute Ausnahme? Vorläufige Analysen weiterer Daten weisen in eine andere Richtung: Bis dato lieferte die Suche von van den Bosch und seinen Kollegen noch 17 weitere Galaxien, die vergleichsweise klein sind, aber dennoch ungewöhnlich massereiche zentrale Schwarze Löcher beherbergen dürften. Eine definitive Aussage wird sich jedoch erst nach Analyse von detaillierten Bildern treffen lassen.
Bestätigen sich diese weiteren Fälle und gibt es in der Tat noch mehr Schwarze Löcher wie das in NGC 1277, dann müssen die Astronomen ihre Modelle der Galaxienentwicklung grundlegend überdenken. Insbesondere müssen sie dabei die Vorgänge im frühen Universum näher analysieren. Denn: Die Galaxie NGC 1277 hat sich anscheinend vor mehr als 8 Milliarden Jahren gebildet und seither nicht sehr verändert. Wie auch immer dieses gigantische Schwarze Loch entstanden ist – es muss vor langer Zeit passiert sein.
In Zusammenarbeit mit:
Walsh, Jonelle; Gebhardt, Karl (University of Texas at Austin); Husemann, Bernd (Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam)