Gammapulsare aus dem Heimcomputer

Mit Einstein@Home fischen Freiwillige aus den Daten des NASA-Satelliten Fermi vier kosmische Leuchttürme heraus

26. November 2013
Das Zusammenspiel von weltweit verteilter Rechenkraft und innovativer Analysemethoden erweist sich als Erfolgsmodell für die Suche nach neuen Pulsaren. Forscher der Max-Planck-Institute für Gravitationsphysik und Radioastronomie haben nun in internationaler Zusammenarbeit vier Gammapulsare in Daten des Weltraumteleskops Fermi aufgespürt – und zwar mit dem Projekt Einstein@Home, das mehr als 200.000 Computer von rund 40.000 Teilnehmern aus aller Welt zu einem globalen Superrechner verbindet. An der Entdeckung waren Freiwillige aus Australien, Deutschland, Frankreich, Japan, Kanada und den USA beteiligt.

Seit seinem Start im Jahr 2008 beobachtet der NASA-Satellit Fermi den gesamten Himmel im Bereich der Gammastrahlung. Dabei entdeckte er Tausende bisher unbekannte Quellen hochenergetischer Strahlung, unter denen sich vermutlich auch Hunderte neue Pulsare befinden, also die kompakten, schnell rotierenden Überreste explodierter Sterne. Doch diese neuen Gammapulsare eindeutig zu identifizieren ist sehr rechenaufwendig – weite Parameterbereiche müssen in sehr hoher Auflösung „abgetastet“ werden.

„Das Innovative an unserer Lösung für die Suche nach Gammapulsaren ist die Kombination besonders effizienter Verfahren mit der verteilten Rechenkraft von Einstein@Home“, sagt Holger Pletsch, Leiter einer unabhängigen Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut / AEI) und Erstautor der nun veröffentlichten Studie. „Die Freiwilligen aus aller Welt ermöglichen es uns, den riesigen Rechenberg der Fermi-Datenanalyse zu bewältigen.“ Auf diese Weise leisten sie der Astronomie einen unschätzbaren Dienst.

Einstein@Home ist ein Gemeinschaftsprojekt des Center for Gravitation and Cosmology an der University of Wisconsin - Milwaukee (USA), und des AEI in Hannover, das von der National Science Foundation und der Max-Planck-Gesellschaft gefördert wird. Es sucht seit Mitte 2011 in Daten des Satellitenobservatoriums Fermi nach den Signalen von Gammapulsaren. Ursprünglich wurde das Projekt im Jahr 2005 ins Leben gerufen, um in den Daten des US-amerikanischen LIGO-Observatoriums nach Gravitationswellen zu fahnden – weiterhin die Hauptaufgabe von Einstein@Home. Seit Anfang 2009 widmet sich Einstein@Home auch sehr erfolgreich der Suche nach neuen Radiopulsaren.

„Die erstmalige Entdeckung von Gammapulsaren durch Einstein@Home ist nicht nur für uns, sondern auch für unsere freiwilligen Projektteilnehmer ein wichtiger Meilenstein. Es zeigt, dass jeder PC-Besitzer einen Beitrag zur Spitzenforschung leisten und astronomische Entdeckungen machen kann“, freut sich Koautor Bruce Allen, Direktor am AEI und Chefwissenschaftler von Einstein@Home. „Ich hoffe, dass sich unsere Begeisterung nun auf noch mehr Menschen überträgt, die uns bei weiteren Entdeckungen unterstützen.“

Auch die an den Entdeckungen beteiligten Freiwilligen sind begeistert. Hans-Peter Tobler aus Rellingen in Deutschland nimmt seit 2005 an Einstein@Home teil und half nun beim Auffinden eines Gammapulsars. „Astronomie fasziniert mich. Bei Einstein@Home kann ich diese Wissenschaft unterstützen, obwohl ich selber kein Profi-Astronom bin“, sagt Tobler. Angesichts von Hunderttausenden gemeinschaftlich arbeitenden Computern hätte er nie erwartet, dass ausgerechnet sein Rechner etwas entdecken würde.

„Zuerst war ich ein bisschen sprachlos und dachte, jemand erlaubt sich einen Scherz mit mir. Aber nachdem ich ein bisschen nachgeforscht hatte, stellte sich alles als echt heraus. Dass jemand so unbedeutendes wie ich tatsächlich etwas bewegen kann, ist großartig“, sagt Thomas M. Jackson aus Kentucky (USA), der Einstein@Home auf seinem Quadcore-Rechner laufen lässt.

Die Beiträge aller Einstein@Home-Teilnehmer werden in der Veröffentlichung gewürdigt. Insbesondere danken die Wissenschaftler namentlich den acht Freiwilligen, deren Computer die Entdeckungen machten. Sie stammen aus Australien, Deutschland, Frankreich, Kanada, den USA und Japan. Als Anerkennung erhalten die Acht besondere Zertifikate.

Nicht nur sind die vier Gammapulsare die ersten, die Astronomen mit einem an Freiwillige verteilten Rechenprojekt gefunden haben. Die kosmischen Leuchttürme selbst weisen Besonderheiten auf. „Spannend ist, dass alle vier Pulsare entlang der Ebene der Milchstraße liegen“, sagt Koautor Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Denn Durchmusterungen im Radiobereich haben diesen Himmelsabschnitt bereits intensiv unter die Lupe genommen – die vier Pulsare waren dabei verborgen geblieben; entdeckt wurde lediglich ein vergleichbarer Neutronenstern.

Die Pulsare lassen sich offenbar nur im Gammabereich beobachten. Radio- und Gammastrahlung entstehen in verschiedenen Raumbereichen um den Pulsar. Eine Erklärung ist die Ausrichtung des Neutronensterns zur Erde. Dabei strahlt möglicherweise sein schmaler Radiokegel an ihr vorbei, während sich der breitere Kegel der Gammastrahlung von der Erde aus beobachten lässt. Gezielte Folgebeobachtungen der vier Neuentdeckungen mit der 100-Meter-Antenne bei Effelsberg und dem australischen Parkes-Radioteleskop bestätigten das Fehlen von Radiostrahlung.

„Mit den erfolgreichen Blindsuchen nach Gammapulsaren nutzen wir ein neues Fenster zur Entdeckung von Neutronensternen“, sagt Kramer. Die neuen Methoden wenden Verfahren aus der Gravitationswellen-Datenanalyse an. Mit ihnen hatten Astronomen um Holger Pletsch zuvor alle elf Gammapulsare aufgespürt, die in den vergangenen drei Jahren in Blindsuchen der Fermi-Daten gefunden wurden.

Bei zwei der Neuentdeckungen war während des Beobachtungszeitraums die ansonsten gleichmäßige Rotation von einer plötzlichen, ruckartigen Beschleunigung (glitch) gestört. Der Neutronenstern drehte sich dabei unvermittelt schneller, bremste dann langsam wieder ab und kehrte nach einigen Wochen zur alten Rotationsperiode zurück. „Die genaue Ursache dieser Glitches kennen wir nicht. Doch ihre Messung kann neue Einblicke in das bisher nur unvollständig verstandene Innere der Neutronensterne eröffnen“, sagt Lucas Guillemot. Der Forscher war zur Zeit der Entdeckungen am Max-Planck-Institut für Radioastronomie und arbeitet inzwischen am LPC2E in Orléans.

Glitches treten vor allem bei – nach astronomischen Maßstäben – erst kürzlich entstandenen Pulsaren auf. Das passt zu den vier neuen Pulsaren, die nach den Messungen der Forscher zwischen 30.000 und 60.000 Jahre alt und damit unter Neutronensternen gewissermaßen Jungspunde sind.

Besonders in Zukunft werden die effizienten Suchmethoden eine immer wichtigere Rolle spielen, denn Fermi wird voraussichtlich noch mindestens fünf Jahre lang neue Daten liefern. Je länger die erfasste Messzeit ist, umso schwächer sind die Pulsare, die sich aufspüren lassen. Und mit zunehmender Messzeit wächst zugleich der Rechenaufwand. Während konventionelle Methoden bereits jetzt in der Praxis zu viel Rechenzeit benötigen, ist bei den neuen Methoden noch Spielraum nach oben.

„Nur unsere Verfahren ermöglichen auch zukünftig effiziente Suchen in den Fermi-Daten. Und mit der verteilten Rechenkraft der Einstein@Home-Freiwilligen hoffen wir auch in Zukunft besonders weit entfernte oder lichtschwache Gammapulsare aufzuspüren“, sagt Pletsch.

KNI / HOR

Hintergrund

Pulsare

Neutronensterne sind Exoten. Sie bestehen aus Materie, die viel dichter gepackt ist als gewöhnlich, mit einer Dichte vergleichbar der eines Atomkerns. Ein Stern von etwa der Masse unserer Sonne hätte so einen Durchmesser von rund 30 Kilometer.

Außerdem besitzen Pulsare extrem starke Magnetfelder. Entlang der Magnetfeldlinien beschleunigte, geladene Teilchen senden elektromagnetische Strahlung in verschiedenen Wellenlängenbereichen aus. Diese Strahlung ist in Richtung der Magnetfeldachse kegelartig gebündelt. Dreht sich der Neutronenstern nun um seine Rotationsachse, die relativ zur Magnetfeldachse geneigt ist – und das ist der Regelfall –, so durchstreifen die Lichtkegel wie ein Leuchtturm das Universum. Der Neutronenstern ist als Pulsar sichtbar. Die Pulsare rotieren im Sekunden- bis Millisekundentakt so präzise, dass sie als die zuverlässigsten Uhren überhaupt gelten.

Erstmals wurden diese kosmischen Leuchtfeuer im Jahre 1967 von Jocelyn Bell Burnell als Radiopulsare entdeckt. Inzwischen kennen die Astronomen außerdem Röntgen- und Gammapulsare. Auch wenn sich nicht alle Pulsare in allen Frequenzbereichen beobachten lassen, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sie über das gesamte elektromagnetische Spektrum verteilt Energie abstrahlen.

Gamma- und Radiopulsare

Die Mechanismen, welche die Strahlung in den verschiedenen Frequenzbereichen erzeugen, sind noch nicht vollständig verstanden. Die Forscher vermuten, dass die energieärmeren Radiowellen an den Magnetfeldpolen zu einem engeren Lichtkegel gebündelt werden als das hoch energetische Gammalicht. Nun wird aber die meiste Strahlung entlang der Kegelhülle ausgesendet. Da die Kegel in diesem Modell je nach Art der Strahlung unterschiedlich stark aufgefächert sind, verlassen Radio- und Gammastrahlung den Pulsar in unterschiedliche Raumrichtungen. Aus diesem Grund könnte ein Pulsar für den Beobachter entweder als Gamma- oder als Radiopulsar erscheinen.

Datenanalyse

Bei der Analyse der Daten von Gravitationswellendetektoren, des Gammasatelliten Fermi oder von Radioteleskopen sind die Wissenschaftler auf besonders effektive Analysealgorithmen und ausgesprochen hohe Rechenkapazitäten angewiesen. Denn schwache Signale heben sich teils kaum vom Hintergrundrauschen ab.

Die Datenauswertung wird typischerweise in mehreren Schritten vorgenommen. Zunächst suchen die Physiker großflächig den Himmel nach Signalen ab. Zeigt sich in einer Richtung eine Auffälligkeit, so untersuchen sie diese Umgebung mit einem engmaschigeren und damit rechenzeitaufwendigerem Algorithmus. Bestätigt sich das Signal, analysieren die Wissenschaftler dessen zeitlichen Verlauf und überprüfen etwa, ob es sich einer bestimmten Pulsarperiode zuordnen lässt. Den Algorithmus zur Suche nach kontinuierlichen Quellen von Gravitationswellen hatten die Hannoveraner Forscher modifiziert und erfolgreich für die Suche nach Gammapulsaren in Fermi-Daten verwendet.

Einstein@Home

Das Projekt für verteiltes Rechnen verbindet PC-Nutzer aus der ganzen Welt, die freiwillig brachliegende Rechenzeit ihrer Heim- und Bürocomputer zur Verfügung stellen. Mit insgesamt bisher mehr als 350.000 Teilnehmern ist es eines der größten Projekte dieser Art. Wissenschaftlicher Träger sind das Center for Gravitation and Cosmology an der University of Wisconsin - Milwaukee und das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut / AEI) mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation und der Max-Planck-Gesellschaft.

Seit 2005 durchsucht Einstein@Home Daten der Gravitationswellendetektoren innerhalb der LIGO-Virgo-Science-Collaboration nach Gravitationswellen von unbekannten, schnell rotierenden Neutronensternen. Von März 2009 an widmete sich Einstein@Home auch der Suche nach Signalen von Radiopulsaren in Beobachtungen des Arecibo-Observatoriums in Puerto Rico und des Parkes-Observatorium in Australien. Seit der ersten Entdeckung eines Radiopulsars im August 2010 mit Einstein@Home hat das weltweite Computernetzwerk insgesamt fast 50 Radiopulsare aus den Daten gefischt.

Neu hinzugekommen ist im August 2011 das Projekt zur Suche nach Gammapulsaren in den Daten des Satelliten Fermi, was nun in der ersten Entdeckung von vier Gammapulsaren durch ein verteiltes Rechenprojekt mündete. Doch die Suche geht weiter – unter anderem nach dem ersten Pulsar mit Rotationsperiode im Millisekundenbereich, der sich nur im Gammabereich zeigt.

KNI / HOR

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