„Aus jeder Nicht-Partei wird irgendwann eine Partei“

Interview mit Emanuel Towfigh vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern zum Thema politische Parteien

6. September 2013

„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei.“ So beginnt Artikel 21 des Grundgesetzes, der die Rolle politischer Parteien in Deutschland beschreibt. Doch warum gibt es sie und brauchen wir sie überhaupt? Emanuel Towfigh vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn erforscht die Aufgaben und Funktionen von Parteien in Gesellschaften.

Herr Towfigh, warum gibt es eigentlich in allen Demokratien Parteien?

Es gibt dafür eine ganze Reihe von Erklärungen. Ein zentraler Grund ist sicherlich, dass Menschen ihre Standpunkte und Interessen mit Hilfe von Parteien leichter durchsetzen können. Wer sich mit Gleichgesinnten zusammentut, hat mehr Schlagkraft als der Einzelne. 

Außerdem erleichtern sie die Orientierung im Meinungsdschungel: Ich muss mich nicht mehr über jede einzelne Sachfrage informieren, sondern kann vertrauen, dass die Partei, mit der ich mich am stärksten verbunden fühle, in meinem Sinne entscheiden wird. Parteien senken also den Informationsaufwand für den Einzelnen. Dadurch erleichtern sie es den Bürgern, zur Wahl zu gehen und eine an ihren Interessen orientierte Entscheidung zu treffen.

Warum sieht die Parteienlandschaft in anderen Ländern zum Teil ganz anders aus?

Die Natur von Parteien ist überall gleich: Es geht immer um den Wettbewerb von politischen Ideen und ihre Durchsetzung. Sie sind gewissermaßen Abkürzungen auf dem Weg zu einer umfassenden Kenntnis politischer Sachfragen.

Alles andere hängt dann von den historischen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen ab. Ein Mehrheitswahlrecht wie in den USA oder Großbritannien beispielsweise fördert die Ausbildung von Zwei-Parteien-Systemen. Als Folge beobachten wir dort oft eine Polarisierung des politischen Klimas. Ähnlich wie in der Wirtschaft versuchen die Parteien dann außerdem stärker, die Politik zu monopolisieren. Unter diesen Umständen ist die Tendenz besonders hoch, eine dritte Kraft — und überhaupt andere Parteien — aus dem politischen Prozess herauszuhalten zu versuchen.

Wie wird sich die Politik in Deutschland verändern?

Wir werden vermutlich eine noch stärkere Amerikanisierung erleben, also eine zunehmende Orientierung an der Logik von Märkten, und vermutlich werden wir mehr Geld in der Politik sehen. Vor besonders extremen Auswüchsen schützt uns allerdings das deutsche Parteienrecht. Seine Vorgaben etwa an Aufbau und Finanzierung prägen die Form der politischen Parteien. Sie müssen sich anpassen. Das zeigt etwa auch die Geschichte der Grünen oder der „Schill-Partei“: Als Gegen-Entwürfe zu den etablierten Parteien angetretene Protestbewegungen sind nicht überlebensfähig. Entweder sie passen sich an und professionalisieren sich — oder sie gehen unter. Früher oder später wird deshalb auch aus einer Nicht-Partei eine Partei.  Wir werden sehen, welchen Weg etwa die Piraten gehen.

Was würden Sie sich für die Entwicklung der Parteien wünschen?

Die Parteien sollten sich weniger wie Firmen in einem Marktumfeld verhalten. Also weg vom Wettbewerbsgedanken, hin zu einer stärkeren Ausrichtung am Gemeinwohl. Wie sich das bewerkstelligen lässt, das versuche ich in den nächsten Jahren zu erforschen. 

Interview: Harald Rösch

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