„Die Politik ist der Lobbyarbeit der Verlage aufgesessen“

Das Leistungsschutzrecht, das im März vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde, ist am 1. August in Kraft getreten

1. August 2013

Viele deutsche Verlage wie der Springer-Verlag, die sich dafür stark gemacht haben, möchten vorerst von dem Gesetz keinen Gebrauch machen. Sie haben sich – unter Vorbehalt – für eine weitere Listung ihrer Inhalte unter Google-News entschieden. Wird dadurch das Gesetz von Anfang an obsolet? Der Jurist Kaya Köklü vom Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München über die Konsequenzen für die Medienlandschaft und die weiterhin bestehende Rechtsunsicherheit.

Das deutsche Leistungsschutzrecht erlaubt es Verlagen, Lizenzen für ihre Texte im Internet zu verlangen. Dies bedeutet, dass Google und alle Internetseiten, die Nachrichten über Links zugänglich machen, den Verlagen eine gewissen Summe zahlen müssen, um die Texte in ihre Übersicht aufnehmen zu dürfen. Was verändert sich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes?

Kaya Köklü: Erst einmal wenig, denn das Problem wird vorerst vertagt. Google hat alle deutschen Verlage bis zum heutigen Stichtag aufgefordert, ihr Einverständnis für kostenfreie Veröffentlichungen auf Google-News abzugeben. Die meisten der Verlage haben dieser „opt-in“-Lösung zugestimmt.

Einige haben ihr Einverständnis jedoch mit einer Zusatzerklärung versehen. Sie halten sich so die Option offen, künftig über eine gemeinschaftliche Rechtewahrnehmung – möglicherweise ähnlich einer Verwertungsgesellschaft wie der GEMA für die Musikindustrie und der VG Wort für Autoren - Geld für diese kleinen Textteile zu verlangen.

Nun ist das Leistungsschutzrecht kein Anti-Google-Gesetz, sondern findet vielmehr auf jeden Suchmaschinenbetreiber Anwendung. Welche Konsequenzen hat dies für kleinere, aber dennoch sehr beliebte News-Aggregatoren wie beispielsweise Rivva?

Kaya Köklü: Der bürokratische Aufwand, um alle Quellen einzeln um Erlaubnis zu fragen, ist für diese kleinen Anbieter einfach zu groß. Rivva wird, nach einer offiziellen Erklärung, rund 650 Lokalzeitungen, Magazine und ihre Blogs, aus dem Dienst aussperren. Die Rechtsunsicherheit ist einfach zu groß, später finanziell belangt zu werden. Das schadet nicht nur dem Unternehmen selbst sondern auch den Autoren, den Verlagen und allen Nutzern, die im Internet nach Informationen suchen. Die Vielfalt an Angeboten wird geringer und die Vormachtstellung einiger weniger Anbieter eher noch gestärkt.

Schützt das Leistungsschutzrecht das geistige Eigentum der Verlage?

Kaya Köklü: Suchmaschinen-Betreiber publizieren ja nicht die vollständigen Artikel. Es werden über kurze Textteile nur Verknüpfungen zu diesen Artikeln hergestellt. Diese so genannten ‚Snippets‘ sind urheberrechtlich nicht geschützt. Das Setzen von Links fällt ebenfalls nicht unter ein urheberrechtliches Verbotsrecht, da ist die Rechtslage eindeutig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt zudem die Annahme, dass ein Rechteinhaber, der Inhalte offen ins Internet stellt ohne technischen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, stillschweigend der Nutzung von Inhalten durch Suchmaschinen einwilligt.

Gibt es ökonomische Gründe für das Leistungsschutzgesetz?

Kaya Köklü: Eine ökonomische Rechtfertigung für das Leistungsschutzrecht gibt es nicht. Beide Beteiligten, die Verlage und die Suchmaschinenbetreiber, haben vom bisherigen Vorgehen profitiert. Doch nun wollen die Verlage zusätzlich an den Werbeeinnahmen der Suchmaschinen beteiligt werden – also ebenfalls ein Stück von diesem Kuchen haben. Hierfür sehen die News-Aggregatoren aber keine Veranlassung. Alle Verlage, die beispielsweise die Erklärung von Google nicht unterzeichnen, werden ab heute nicht mehr auf Google-News gelistet. Das bedeutet vermutlich deutlich weniger Zugriffe auf ihren Internetseiten – und damit auch weniger Werbeerlöse.

Ist das Leistungsschutzgesetz somit nur die Folge guter politischer Lobbyarbeit der Verlage in Berlin?

Kaya Köklü: Ja, das kann man so sehen. Die Politik ist der Lobbyarbeit der Verlage aufgesessen. Es ist schon sehr merkwürdig, mit welcher Geschwindigkeit das Gesetz trotz der im Vorfeld geäußerten massiven Kritik im Hauruckverfahren noch im Jahr der Bundestagwahl verabschiedet wurde. Meiner Meinung nach trägt dieses Verbotsrecht jedoch wenig zur Lösung des Konflikts bei. Es führt vielmehr zu einer großen Rechtsunsicherheit, vor der wir schon im Vorfeld gewarnt haben.

Das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, an dem sie arbeiten, hat sich schon sehr früh gegen das Leistungsschutzgesetz gewandt. Warum?

Kaya Köklü: Wir sehen in der Politik eine Tendenz, der Forderung bestimmter Interessengruppen nach immer neuen und stärkeren Schutzrechten nachzugeben. Diese dürfen jedoch auch aus ökonomischen Gründen nicht unbesehen eingeführt werden. Grundlage einer liberalen Marktordnung ist unserer Meinung nach die möglichst weitreichende Handlungsfreiheit aller Akteure. Mit unserer Arbeit haben wir auch die Allgemeininteressen im Blick und versuchen, zu einem Interessensausgleich beizutragen. Mit dem Leistungsschutzgesetz, das heute in Kraft tritt, wurde der Konflikt jedenfalls nicht ansatzweise gelöst.

Herzlichen Dank für das freundliche Gespräch!

Das Interview führte Barbara Abrell

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