Wir müssen ein weltweites Netz knüpfen

Niemand kann es sich heute noch leisten, auf eine Internationalisierungsstrategie zu verzichten.

18. Januar 2013

Schon heute sind qualifizierte MINT-Kräfte in Deutschland Mangelware. Bis zum Jahr 2030 wird sich diese Situation aufgrund des demografischen Wandels weiter verschärfen. Um als Standort attraktiv zu bleiben, muss Deutschland deshalb zu einer ersten Adresse für die besten Forscherinnen, Forscher und Studierenden aus aller Welt werden.

In seinem Buch „Die Welt ist flach“ beschreibt der Pulitzer-Preisträger und Kolumnist der New York Times, Thomas L. Friedman, wie Globalisierung und elektronische Netze unser Leben radikal verändern: Amerikanische Wirtschaftsprüfer und Steuerberater lassen Steuererklärungen anonymisiert in Indien ausführen, Radiologen von US-Krankenhäu­sern delegieren die Auswertung von CT-Scans an Ärzte – in Indien. Das Land ist inzwischen einer der größten IT-Dienstleister der Welt und wird – analog zu China, das gerne als „Werkbank der Welt“ bezeichnet wird – das „Back Office der Welt“ genannt. Computer, die schnelle Datenübertragung via Glasfaserkabel und Workflow-Software-Lösungen haben dazu geführt, dass wir immer besser im globalen Rahmen kooperieren und konkurrieren. Nicht nur wirtschaftliche, sondern auch wissenschaftliche Aktivitäten zeigen heute ein beschleunigtes, komplexeres und geografisch breiteres Muster von internationalem Austausch und Kooperation.

Wie sollen wir auf diese Dynamik reagieren? Die Entscheidung von Unternehmen für einen Standort hängt von der Verfügbarkeit lokaler Fähigkeiten, der Infrastruktur und dem Zugang zu neuem Wissen ab. Um als Standort attraktiv zu bleiben, muss Deutschland deshalb zu einer ersten Adresse für die besten Forscherinnen, Forscher und Studierenden aus aller Welt werden. Schon heute sind qualifizierte MINT-Kräfte in Deutschland Mangelware – derzeit fehlen laut Handelsblatt rund 150.000 Akademiker nur in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Bis zum Jahr 2030 wird sich diese Situation aufgrund des demografischen Wandels weiter verschärfen – nach einem Zwischenhoch wird die Absolventenkurve ab 2020 wieder abflachen. Gleichzeitig steigt die Mobilität international Studierender. So verlassen jährlich über eine halbe Millionen Inderinnen und Inder ihr Land für ein Studium im Ausland. Weil in Indien massenhaft Studienplätze fehlen, hat die Regierung erst vor kurzem ein Gesetz beschlossen, das den Zugang von Hochschulen aus dem Ausland auf den Subkontinent regeln und erleichtern soll. Auch andere Länder werben intensiv um ausländische Bildungsträger. Im Mittleren Osten investieren Scheichtümer Milliarden, um ausländische Universitäten anzulocken. So hat die Harvard Medical School 2006 in Dubai das Harvard Medical School Dubai Center aufgebaut, um die Zusammenarbeit in der medizinischen Forschung und Ausbildung voranzutreiben. Im vergangenen Jahr verkündete Harvard, dass es mit Mitteln der Qatar Foundation eine Graduiertenschule für Rechtswissenschaften in Doha aufbauen wird.

2010 hatte Yale als erste Ivy League Universität in Übersee einen Hochschulcampus zusammen mit der National University of Singapore (NUS) etabliert. Yale-NUS soll eine neue Ära in der internationalen Bildung einläuten. Die New York University ist seit 2010 in Abu Dhabi. 9000 Studenten haben sich in der ersten Ausschreibungsrunde auf die knapp 200 Plätze beworben. Nun will die NYU nach Shanghai expandieren. Man möchte, so ihr Präsident, als weltweit erste globale Universität einen entscheidenden Schritt tun, um mit Harvard, Yale und Princeton zu konkurrieren. Im Wettbewerb um die besten Köpfe verschaffen sich amerikanische Universitäten eine günstige Ausgangsposition. Deutsche Hochschulen sind erst spät in den Bildungsexport eingestiegen – und ihnen fehlt, trotz Exzellenzinitiative, der Glanz. Nach wie vor schafft es keine deutsche Universität unter die Top Ten im Shanghai-Ranking.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat diese Problematik erkannt und die Wissenschaftsorganisationen aufgefordert, „spezifische Angebote an den wissen­schaftlichen Nachwuchs aus dem Ausland zu richten, um in Hinblick auf das angestrebte Wachstum an Forschungsaktivitäten in hinreichendem Umfange talentierten und gut qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen.“ Die Max-Planck-Gesellschaft hat bereits im Jahr 2000 gemeinsam mit den deutschen Hochschulen mit dem Aufbau von Graduiertenschulen begonnen. An den mittlerweile 61 International Max Planck Research Schools lernen und forschen über 2000 junge Doktorandinnen und Doktoranden, von denen die Hälfte aus dem Ausland stammt – aus über 100 verschiedenen Herkunftsländern. Viele von ihnen würden nach ihrem Abschluss gerne für einige Jahre in Deutschland arbeiten. Gut ausgebildet, leistungsorientiert und in mehreren Kulturen zu Hause erschließt sich hier ein wertvolles Mitarbeiterpotenzial. Die Einführung der Blue Card war daher ein wichtiger Schritt, denn bisher geht ein Großteil der auslän­dischen Studierenden dem deutschen Arbeitsmarkt verloren.

Aber es geht um mehr als Nachwuchstalente – es geht um globale Wertschöpfungsketten. Mehr als 90 Prozent des weltweiten Wissens entsteht außerhalb Deutschlands. Um an den weltweiten Wissensflüssen teilzuhaben, muss Forschung international aufgestellt sein. Nehmen wir das Beispiel der RNA-Interferenz: 1998 entdeckten Forscher in den USA, dass Gene über kurze RNA-Schnipsel still gelegt werden können. Thomas Tuschl gelang es wenige Jahre später am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, diesen Mechanismus auch in Zellen von Säugetieren zur Anwendung zu bringen. Die entsprechenden Patente liegen in Händen der Max-Planck-Gesellschaft und des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die wirtschaftliche Weiterentwicklung dieser Methode hin zu ihrem therapeutischen Einsatz wird derzeit durch die US-amerikanische Firma Alnylam Pharmaceuticals betrieben. Oder: Axel Ullrich vom Max-Planck-Institut für Biochemie konnte zeigen, wie gezielt in den komplexen Mechanismus der Tumorentwicklung eingegriffen werden kann. In der von ihm gegründeten Firma Sugen wurden diese grundlegenden Erkenntnisse für eine medizinische Anwendung weiterentwickelt. Nach Übernahme durch Pharmacia und später Pfizer kam das entspre­chende Medikament schließlich 2006 auf den Markt.

Für die Max-Planck-Gesellschaft ist internationale Zusammenarbeit seit jeher ein wesentlicher Faktor zur Erfüllung ihrer eigenen Mission. Komplexe Probleme können nur unter Einbeziehung verschiedener Experten gelöst werden. So sind Max-Planck-Institute an über 5000 Projekten mit mehr als 6000 Forschungspartnern in 120 Ländern dieser Welt beteiligt. Jede zweite Publikation aus der Max-Planck-Gesellschaft entsteht in internationaler Zusammenarbeit. Keine andere europäische Forschungsorganisation ist derart international vernetzt. Um sich Zugang zur internationalen Spitzenforschung im Ausland zu verschaffen, hat die Max-Planck-Gesellschaft – vergleichbar amerikanischer Eliteuniversitäten – ihre Präsenz in wichtigen Zielländern in den vergangenen Jahren verstärkt mit dem Ziel, Innovationspotenziale im Ausland abzuschöpfen und Talente frühzeitig zu entdecken und zu binden.

Indien beispielsweise ist ein Schlüsselstandort für Computerwissenschaften. Deshalb haben wir 2010 mit Unterstützung des BMBF und des indisches Department of Science and Technology ein Max Planck Center in Neu-Delhi gegründet als Kooperationsplattform des Max-Planck-Instituts für Informatik in Saarbrücken mit dem Indian Institute of Technology. Aktuell entsteht ein Max Planck Center auf dem Gebiet der Neurowissenschaften in Kooperation mit der Hebrew Universität in Jerusalem. Des Weiteren gibt es Max Planck Center auf dem Gebiet der Materialforschung in Kooperation mit der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, mit dem Riken Institut in Japan oder der renommierten Princeton University in den USA – um nur vier der derzeit 14 Max Planck Center in Europa, Nordamerika und Asien zu nennen. Darüber hinaus zählt die Gesellschaft inzwischen fünf Auslandsinstitute in Italien, Luxemburg, den Nieder­landen sowie in den USA. Hier hat der Bundesstaat Florida zuletzt den Aufbau des Max Planck Florida Institutes mit 186 Millionen US-Dollar gefördert. Die Max-Planck-Gesellschaft hat auf diese Weise Zugang zu dem nach wie vor weltweit führenden US-amerikanischen Wissenschaftsmarkt erhalten.

Niemand kann es sich heute noch leisten, auf eine Internationalisierungsstrategie zu verzichten. Richard Edelstein, Experte für internationale Bildung an der University of California in Berkeley, geht davon aus, dass diese in den kommenden fünf, zehn oder 50 Jahren signifikante Auswirkungen haben wird. Die Max-Planck-Gesellschaft ist international gut aufgestellt – und wirbt als Markenbotschafter zugleich für den Standort Deutschland im Ausland.

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