Ein bisschen Gleichtakt

Ein Experiment mit 30 Metronomen deckt Mischzustände aus Synchronizität und Durcheinander auf, die Forscher seit zehn Jahren vergeblich suchen

13. Juni 2013

Ganz gleich ob beim Konzert, im Musikvideo oder beim Synchronschwimmen – wenn einige der Akteure aus dem perfekten Gleichtakt ausscheren, ist das ausgesprochen ärgerlich; das Gesamtkunstwerk ist verdorben. Aus Sicht des Physikers ist das anders: Seit zehn Jahren sind Forscher auf der Suche nach Systemen aus mehreren gleichartigen Komponenten, von denen sich gleichzeitig einige synchron, andere völlig ungeordnet verhalten. Japanische Wissenschaftler hatten diese in theoretischen Berechnungen vorhergesagt. Erst jetzt ist einem internationalen Forscherteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen ein einfacher experimenteller Nachweis dieser Mischung aus Ordnung und Unordnung gelungen. Die Wissenschaftler entwickelten dafür einen Versuchsaufbau mit 30 schaukelnden Metronomen – und zeigten, wie sie ticken.

Wenn in warmen Sommernächten ganze Schwärme von Glühwürmchen mit ihren Leuchtsignalen um Partner werben, stellt sich bei manchen Arten ein erstaunlicher Gleichtakt ein: Alle Tiere senden ihre Lichtblitze zur selben Zeit aus. Auch Vorgänge in zahlreichen anderen Systemen, die wie der Glühwürmchenschwarm aus vielen gleichartigen Komponenten bestehen, können sich von selbst synchronisieren – etwa bestimmte Stoffwechselprozesse in Kolonien von Hefezellen oder elektrische Ströme in supraleitenden Kontakten. Neben Synchronizität und heillosem Durcheinander ist in solchen Systemen auch ein dritter Zustand möglich: eine Art Mischzustand, bei dem ein Teil der Komponenten synchron agiert, ein anderer nicht.

Forscher bezeichnen einen solchen Zustand als Chimäre in Anlehnung an das gleichnamige Wesen aus der griechischen Mythologie, welches äußere Merkmale vereinte, die eigentlich nicht zusammengehören: den Kopf eines Löwen und einer Ziege sowie den Schwanz einer Schlange. Den theoretischen Beweis für die Existenz der Mischzustände erbrachten vor zehn Jahren japanische Forscher. Doch einen einfachen experimentellen Nachweis gab es dafür bislang noch nicht: Die rätselhafte Mischung aus Ordnung und Unordnung ließ sich in keinem realen System finden. Lediglich Experimente, bei denen ein Computer die Wechselwirkung der einzelnen Systemkomponenten von außen steuert, machte der Wissenschaftsgemeinde Hoffnung weiterzusuchen.

Ein historischer Versuchsaufbau inspirierte die neue Studie

In dieser Suche ist Forschern des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation, der Technischen Universität von Dänemark und der Princeton University nun ein Durchbruch gelungen – mit einem erstaunlich einfachen Versuchsaufbau. „Vor mehr als 300 Jahren beobachtete der niederländische Physiker Christiaan Huygens zwei Pendeluhren auf einem aufgehängten Balken“, beschreibt Erik A. Martens vom Göttinger Max-Planck-Institut den historischen Versuchsaufbau, der die neue Studie inspirierte. Unabhängig vom Ausgangszustand der beiden Uhren schwingen sie nach einiger Zeit im exakten Gegentakt. „Dieses klassische Experiment hat uns inspiriert. Allerdings haben wir ein ganzes Stück weitergedacht und ein System aus Schaukeln, Federn und Metronomen entwickelt“, so Martens. Dafür platzierten die Forscher 30 handelsübliche Metronome auf zwei Schaukeln, die mit einer elastischen Feder verbunden waren.

„Die Rechnungen der japanischen Kollegen legten nahe, dass die Art und Weise, wie die einzelnen Komponenten miteinander wechselwirken, entscheidend ist“, erklärt Shashi Thutupalli, der am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und an der Universität Princeton forscht. Schlagen die Metronome mit derselben Frequenz und wechselwirkt jedes gleich stark mit jedem anderen, treten nur völlige Synchronizität oder Durcheinander auf. Teilsynchrone Zustände sind unter diesen Bedingungen nicht möglich. Das Gleiche trifft zu, wenn jede Komponente nur mit ihrem nächsten Nachbarn interagiert. „Unser Ziel war es, ein System zu konzipieren, in dem die Wechselwirkung der Komponenten schwächer wird, je weiter sie voneinander entfernt sind“, sagt Thutupalli.

„In unserem Experiment setzen wir dies durch zwei verschiedene Arten der Wechselwirkung um“, fährt der Physiker fort. Metronome auf der gleichen Schaukel stehen über die Schwingungen, die sie auf die Schaukel übertragen, mit einander in einer starken Beziehung. Metronome hingegen, die sich auf verschiedenen Schaukeln befinden und somit recht weit voneinander entfernt sind, sind nur indirekt über die Feder zwischen den Schaukeln mit einander verbunden. Dies ist eine eher schwache Kopplung.

Der Versuchsaufbau darf nicht asymmetrisch sein

Damit die gesuchten Mischzustände wirklich auftreten, mussten die Forscher die richtige Kopplungsstärke zwischen den Schaukeln finden. „Die Feder zwischen den Schaukeln darf weder zu starr, noch zu weich sein“, erklärt Erik Martens. Während die Metronome auf einer Schaukel dann im perfekten Gleichtakt ticken, durchbrechen die anderen diesen Rhythmus und schwingen wild durcheinander. Auch Computersimulationen, in denen die Forscher ihr System aus Schaukeln und Metronomen in Gleichungen modellierten, bestätigen den Fund: Die Symmetrie zwischen der rechten und der linken Schaukel ist gebrochen.

„Wir haben sorgfältig überprüft, dass dieser Symmetriebruch nicht einem ungenauen, asymmetrischen Versuchsaufbau geschuldet ist“, betont Thutupalli. „So mussten wir  beispielsweise sicherstellen, dass die Reibungsverluste beider Schaukeln exakt gleich sind“, ergänzt er. Trotz dieser experimentellen Schwierigkeiten sei der Versuch im Prinzip erstaunlich einfach. „Forscher in aller Welt haben zehn Jahre lang nach einem solchen System gesucht. Da ist es schon eine kleine Sensation, dass es sich aus solch banalen Bestandteilen wie Schaukeln, Federn und Metronomen aufbauen lässt“, so Martens. Für Nachahmungswillige empfehlen die Forscher jedoch unbedingt Ohrenstöpsel. „Mit der Zeit wird das ewige Geticke nämlich etwas lästig“, erinnert sich der Max-Planck-Forscher Antoine Fourrière schmunzelnd an die langen Stunden im Labor.

„Auf den ersten Blick wirkt das Experiment vielleicht etwas konstruiert“, sagt Oskar Hallatschek, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Es sei aber ein völlig natürliches System, in dem typische Phänomene wie Trägheit und Reibung auftreten. „Es ist deshalb anzunehmen, dass die Mischzustände auch in anderen Systemen etwa aus Bereichen wie Elektronik, Chemie oder Optomechanik auftreten.“

BK/PH

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