Die Evolution der Galaxien

Blicken wir in einer dunklen, klaren Sommernacht (wie sie in Deutschland eher selten vorkommt) zum Himmel, dann sehen wir, wie sich über den gesamten Horizont das schimmernde Band der Milchstraße erstreckt. Das ist unsere Heimat im Universum – eine Galaxie aus ungefähr einhundert Milliarden Sternen.

Zeitreisen in die Vergangenheit

Anders als die Physik kann die Astronomie zeitliche Entwicklungen nicht durch aktive Experimente oder Einzelerfahrungen rekonstruieren; hierin gleicht sie der Evolutionsbiologie. Die Astronomie stützt sich bei der Bestimmung von Entwicklungen auf die Verteilungsfunktionen von Populationen und auf archäologische, heute noch vorhandene Nachweise vergangener Ereignisse, wie beispielsweise die Eigenschaften sehr alter Sterne oder die großräumige Struktur des Universums. Glücklicherweise können Astronomen dank der endlichen Lichtgeschwindigkeit und der enormen Größe unseres Universums außerdem Zeitreisen in die Vergangenheit unternehmen, indem sie die schwachen Signale sehr weit entfernter Galaxien nutzen, um mit großen Teleskopen Galaxien von der Masse der Milchstraße zu einer Zeit zu beobachten, als diese noch jung und in der Entstehung begriffen waren. Dieser Beitrag gibt Auskunft darüber, was wir bei diesen Zeitreisen gelernt haben.

Kosmologische, in die Vergangenheit blickende Studien über die Eigenschaften von Galaxienpopulationen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten das empirische Wissen über die Entstehung von Galaxien revolutioniert. Umfangreiche Untersuchungen wurden mit Breitbandphotometrie über das gesamte elektromagnetische Spektrum durchgeführt – von Röntgenstrahlen über ultraviolette und optische, nah- und ferninfrarote Strahlung bis hin zu Radiofrequenzbändern. Dabei bedienten sich die Astronomen der größten weltraumgestützten und erdgebundenen Teleskope, die uns zur Verfügung stehen. Die Max-Planck-Gruppen am MPIA (Hans-Walter Rix), am MPA (die Gruppen von Guinevere Kauffmann und Simon White) sowie am MPE (meine Gruppe und die Gruppen von Ralf Bender, Günther Hasinger und Kirpal Nandra) haben an diesen umfangreichen Untersuchungen aktiv mitgewirkt, zum Beispiel mit dem Sloan Digital Sky Survey (SDSS), dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte, dem Hubble Weltraumteleskop (Hubble Space Telescope, HST) und in jüngster Zeit mit dem Weltraumteleskop Herschel der Europäischen Weltraumorganisation (European Space Agency, ESA). Jetzt wissen wir, dass sich die frühesten kleinen Protogalaxien schon 500 bis 800 Millionen Jahre nach dem Urknall bildeten, also als das Universum weniger als 5 Prozent seines heutigen Alters aufwies. Wie man aufgrund früherer theoretischer Studien erwartet hatte, tauchen massive Galaxien, insbesondere kugelförmige Systeme, erst später in größeren Mengen auf – einige Milliarden Jahre (Gigajahre) nach dem Urknall bzw. vor zehn Milliarden Jahren, als die Aktivität der galaktischen Sternenbildung ein ausgedehntes Maximum erreichte.

Während der gesamten kosmischen Evolution weisen die meisten sternenbildenden Galaxienpopulationen (mehr als 95 Prozent) eine ziemlich gut nachgewiesene, nahezu lineare Beziehung zwischen ihren Sternenmassen und ihrer Sternbildungsrate auf. Wenn wir weiter in die Vergangenheit blicken, bleibt die funktionale Form dieser Beziehung in etwa konstant; allerdings nimmt das Verhältnis der Sternbildungsrate zur Sternenmasse bei einer vorgegebenen Sternenmasse rasch zu. In der modernen Milchstraße entstehen pro Jahr zwei bis drei Sterne, doch vor zehn Milliarden Jahren bildeten sich in einer Galaxie von der Masse der Milchstraße die Sterne zwanzigmal schneller. Genaue, von der Extinktion durch interstellaren Staub unbeeinflusste Sternbildungsraten lieferte unlängst das vom MPE entwickelte, an Bord des Herschel-Teleskops befindliche Photometer PACS (Principal Investigator: Albrecht Poglitsch), das unter der Leitung von Dieter Lutz und seinen Kollegen die ersten tiefen, frühen Beobachtungen von staubigen, im hellen Ferninfrarot leuchtenden Galaxien ermöglichte. Diese Erkenntnisse weisen zusammen mit statistischen Studien über Haufenbildung und Häufigkeiten im Weltraum darauf hin, dass die Masse einer sternenbildenden Galaxie über einen Zeitraum von mehreren Milliarden Jahren in erster Linie aufgrund lokaler, kontinuierlicher Entstehung von Sternen zunimmt, nicht so sehr durch Verschmelzungen und/oder „Starburst“-Ereignisse.

Vergleicht man in Galaxienpopulationen die Sternenmassen mit den Massen dunkler Halos, was seit einigen Jahren durch eine Kombination der Durchmusterungen zu verschiedenen kosmischen Zeiten mit den Computersimulationen möglich ist, so zeigt sich, das die Galaxienbildung während dieser gesamten kosmischen Zeit ein ineffizienter Prozess war: Weniger als 20 Prozent der verfügbaren kosmischen Baryonen wurden in galaktische Sterne umgewandelt.

Vom Gas zum Stern und wieder zurück

Die Daten legen ebenso wie theoretische Modellierungen nahe, dass das Galaxienwachstum auf dem Höhepunkt der Entstehungszeit in einem Gleichgewicht stattfand – einem Gleichgewicht zwischen baryonischem Gas, das in die Galaxien strömte und die Sternbildung in dichten molekularen Gaswolken förderte, Gasverbrauch durch die Sternenbildung und Gasverlust in Form von Gasströmen, die durch massereiche Sterne, durch Winde und Supernova-Explosionen aus den Galaxien getrieben wurden. Diese Vorstellung wurde vor kurzem durch direkte Untersuchungen des molekularen Gasreservoirs in den jungen Galaxien getestet und bestätigt.

In der ersten großangelegten Untersuchung von kaltem Gas in weit entfernten sternenbildenden Galaxien beobachteten Linda Tacconi und ihre Mitarbeiter am MPE mit dem Millimeter-Interferometer des CNRS/MPG/IGN-Instituts IRAM auf dem Plateau de Bure im Millimeter-Wellenlängenbereich Emissionslinien des Kohlenmonoxyd-Moleküls (CO) – stellvertretend für molekularen Wasserstoff, den Hauptbestandteil von dichtem, Sterne bildendem molekularem Gas. Sie fanden heraus, dass deren Gehalt an molekularem Gas etwa vier- bis fünfmal größer war als in vergleichbaren Galaxien des benachbarten Universums, die von Guinevere Kauffmann, Amelie Saintonge und ihren Kollegen in der Studie COLDGASS CO am IRAM untersucht worden waren.

Ansonsten scheinen sich die physischen Prozesse der Sternenbildung im frühen Universum nicht von denen im lokalen Universum zu unterscheiden, genau wie im „Gasregulierungsmodell“ erwartet. Während junge Galaxien anfänglich im dichten, frühen Universum mit großen Mengen von frischem Gas versorgt wurden, gingen Gasversorgung und Gasgehalt zurück, als das Universum expandierte und ausdünnte. Darüber hinaus zeigen UV- und optische Beobachtungen, die durch verschiedene Gruppen (einschließlich unserer) durchgeführt wurden, dass in den meisten sternbildenden Galaxien vor zehn Milliarden Jahren starke galaktische Winde herrschten, die das mit schweren, während der stellaren Nukleosynthese gebildeten Atomen angereicherte Gas zurück in den Halo der Galaxie und darüber hinaus wehten. Diese Winde sind wahrscheinlich mitentscheidend dafür, dass die Effizienz der Galaxienbildung, vor allem bei niedrigen Galaxienmassen, so niedrig ist wie beobachtet.

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