Jugend forscht: heute und damals

29. Mai 2013

Die Max-Planck-Gesellschaft stiftet nicht nur den mit 1500 Euro dotierten Preis des Jugend-forscht-Bundessiegers in Physik, sondern auch alle Preise in der Physiksparte - von der Regionalebene über die Landeswettbewerbe bis hin zum Finale in Leverkusen. Bundesjurymitglied und Physiker Gernot Münster erklärt, welche Maßstäbe er für ein gelungenes Projekt anlegt und lässt die letzten 40 Jahre Jugend forscht Revue passieren.

Wie wurden Sie Physik-Juror bei Jugend forscht?

Ich bin vor etwas mehr als sechs Jahren von der Wettbewerbsleitung gefragt worden, ob ich bereit wäre und Zeit hätte, an der Jury mitzuwirken und habe zugesagt.

Was nehmen Sie vom Wettbewerb mit in ihre tägliche Arbeit als Professor für theoretische Physik?

In erster Linie macht mir die Arbeit Freude, weil ich engagierten und sehr interessierten Schülern und Studienanfängern begegne. Es ist einfach toll zu sehen, wie sie ihre Arbeit präsentieren und Freude an der Forschung haben. Für mein Arbeitsgebiet innerhalb der theoretischen Physik kann ich im Normalfall keine Anregungen mitnehmen. Es gibt aber Ausnahmen.

Vor ein paar Jahren wurde ich um Rat gefragt, als es mal einen Teilnehmer der Chemie gab, der ein Thema der Quantentheorie bearbeitet hatte. Ich habe mir die Arbeit angesehen, mit dem Teilnehmer gesprochen und auch wirklich was gelernt. Das war sehr anregend. Auch dieses Jahr haben sich Teilnehmer mit erkenntnisorientierten Arbeiten beschäftigt, zum Beispiel mit Dunkler Materie. Das steht mir nicht so fern, weil ich in Vorlesungen schon über Dunkle Materie referiert habe. Gerade bei diesem Projekt habe ich in den Quellenangaben sogar noch Literatur gefunden, die mir bisher nicht bekannt war, habe die mir besorgt und gelesen.

Wie müssen die Teilnehmer ein Physikprojekt konzipieren und umsetzen, damit es eine Chance hat, im Bundeswettbewerb zu gewinnen?

Gewinnen heißt nicht 1. Platz, denn zweite, dritte und die weiteren Plätze sind ja nicht Welten davon entfernt. Die Arbeit von Timm Piper im Jahr 2012 hat uns sehr beeindruckt, weil er durch Probieren und Forschen eine neue Möglichkeit gefunden hat, noch mehr aus einem Mikroskop zu holen. Das war eine tolle Sache. Aber auch der 2. Preis war eine ganz interessante, ideenreiche Arbeit, denn dort wurde der berühmte Holzspecht untersucht, der an der Stange runter rutscht.

Ziel ist es also erstens, das richtige Thema zu finden, eine eigene Idee, eine Frage, deren Antwort eben nicht in Büchern, Zeitungen oder im Internet steht. Darum sage ich immer: Sucht eine Fragestellung, die Euch interessiert, wo Ihr sagt: Dieser Sache möchte ich jetzt mal auf den Grund gehen. Zweitens muss man Durchhaltevermögen haben. Und schaut, ob das schon jemand vorher gemacht hat. Was gibt es schon darüber, was ist allgemein bekannt? Natürlich erwarten wir von den Schülern nicht, dass sie die Fachliteratur kennen, aber wir erwarten, dass sie allgemein zugängliche Quellen recherchieren. Der letzte Punkt ist dann noch, die Erkenntnisse angemessen zu erklären und zu vermitteln; die schriftliche und mündliche Präsentation muss ansprechend sein.

Welche Projekte faszinieren Sie am meisten?

Mir gefallen zwar viele Arbeiten, die einen direkten Anwendungsbezug haben, mir kann aber auch eine Arbeit gefallen, die rein erkenntnisorientiert ist. Auch die Nähe zu aktuellen Problemen, wie Energieeffizienz oder Umweltschutz, ist großartig, aber eine Arbeit, die keine Relevanz für gesellschaftliche Fragen hat, kann genauso ganz oben landen. Wichtiger ist mir, wie jemand an eine Frage heran- und damit umgegangen ist. Hat er aus Eigeninitiative gearbeitet, war er selbständig, hat er neue Ideen umgesetzt? Das steht für mich bei der Bewertung im Vordergrund.

An vielen Schulen gibt es bereits Jugend-forscht-AGs. Wie kann eine Schule darüber hinaus die Projekte ihrer Schüler optimal betreuen?

Arbeitsgemeinschaften und lokale Schülerforschungszentren sind tolle Einrichtungen, weil da Anregungen gegeben werden. Jeder sollte umsetzen können, was er gerne machen möchte, mithilfe von Beratung, Geräten oder Kontakten zu Experten. Ich finde es aber nicht erstrebenswert, den Schülern zu viel abzunehmen. Wenn vieles bereitgestellt wird, fertige Geräte geliehen und aufgebaut werden, die Daten gemessen, vielleicht sogar extern ausgewertet und visualisiert werden, dann ist das in meinen Augen eher ein Minuspunkt.

Wie können Forschungseinrichtungen oder Universitäten die Teilnehmer unterstützen?

Sie sollten Kontakte zu Personen zu vermitteln, die dann dem Teilnehmer gute Tipps geben können. Oft kann ein Schüler gar nicht wissen, dass es bestimmte Methoden und Messgeräte gibt, um auf einem Gebiet weiterzukommen. Es ist toll, wenn dann ein Wissenschaftler sagt „Da gibt’s was und da kann man was machen!“. Im Einzelfall kann es auch eine wichtige Hilfe sein, Geräte bereitzustellen, die sich der Schüler aus Kostengründen gar nicht beschaffen kann. Die Größe und der Preis des Gerätes sind aber nicht die primären Faktoren, wenn es um die Bewertung der Arbeit geht. Daten, Bilder und Messergebnisse müssen selbständig aufgearbeitet und interpretiert werden. Es ist wichtig, dass der Eigenanteil immer deutlich erkennbar ist.

Wie geht es erfahrungsgemäß nach dem Wettbewerb weiter?

Das ist sehr unterschiedlich. Einige Teilnehmer sind jung genug, um nochmal mitmachen zu können; in den vergangenen Jahren sahen wir einige, die ihr Thema erweitert und ergänzt haben. Genau das gleiche Thema kann es natürlich nicht sein, es muss eine Weiterentwicklung mit neuen Erkenntnissen sein. Andere Teilnehmer treten sogar mit einer ganz anderen Arbeit an. Sie sind also inspiriert und angeregt vom Wettbewerb, dass sie - sogar erfolgreich - wieder dabei sind. Ältere Teilnehmer fangen durchaus an, ein Fach zu studieren, das der Arbeit nahe steht.

Wie wichtig ist Jugend forscht überhaupt für die Gewinnung von Nachwuchswissenschaftlern?

Es ist ein wichtiger Impulsgeber für diejenigen, die sich gerne wissenschaftlichen Fragen widmen und ihrer Neugier nachgehen. Aber es motiviert die Jugendlichen auch, mit Schülern zusammenzukommen, die ähnlich empfinden und an der Forschung ihren Spaß haben. Bestätigung erfahren viele, wenn sie eigene Ideen entwickeln und dann auf den verschiedenen Ebenen des Wettbewerbs eine gute Platzierung erreichen.

Unter Teilnehmenden in der Physiksparte gibt es 7 Mädchen und 21 Jungs. Woran liegt das und wie könnte man noch mehr Mädchen für die Physik begeistern?

Auch an den Universitäten haben wir ungefähr 25 Prozent Frauenanteil in der Physik, das verändert sich nur langsam. In anderen Ländern, wie Italien, ist der Anteil höher. Mir sagen die italienischen Kollegen, dass die Weichenstellung vor allem in der Schule erfolgt. In Form von Schülerlabors kann die Hochschule mithelfen, aber vor allem in den Schulen sollte die Begabung für Naturwissenschaften gefördert werden. Mädchen brauchen Erfolgserlebnisse, und dann sehen sie: Wir können das mindestens so gut wie die Jungs.

1972 waren Sie selbst Bundessieger. Worum ging es in ihrem Projekt, was war daran besonders und an welche Ereignisse des Wettbewerbs erinnern Sie sich gerne?

Das war damals ein anwendungsfernes Thema aus der mathematischen Physik, der Quantentheorie. Ich hatte Bücher über Quantenphysik gelesen und da waren mir Fragen gekommen, die auch andere Bücher nicht beantworten konnten. Und zwar, wie man den Übergang von der klassischen Physik, der Vor-Quantenphysik, zur Quantenphysik mathematisch beschreibt. Ich habe mir die Frage gestellt, ob man den gleichen mathematischen Vorgang, der von der klassischen Physik zur Quantenphysik führt, nicht wiederholen kann und die Quantenphysik nochmal auf einen neuen Level stellen könnte.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass man das zwar formal machen kann, aber es hilft uns in der Naturbeschreibung nicht weiter. Das ist letztendlich also eine mathematische Spielerei geblieben. Allerdings habe ich vor ein paar Jahren eine Arbeit eines amerikanischen Kollegen gelesen, der im Zusammenhang mit der Kosmologie eine sehr ähnliche Idee vorgeschlagen hat. Das fand ich ganz lustig.

Mit meiner Arbeit habe ich 1972 auch den Sonderpreis des Bundeskanzlers gewonnen. Das war damals Willy Brandt. Bei unserem Treffen in Bonn war ich erstaunt, wie viel Zeit er sich für mich genommen hat und wie interessiert er war. Außerdem unternahmen alle Bundessieger eine Reise nach Israel. Wir hatten dort viele interessante Begegnungen, in Kibbuzim und mit Historikern und Archäologen, die uns viel über die Geschichte von Nahost oder über die Wasseraufbereitung in der Wüste erzählten. Israel war für uns sehr interessant, weil in dieser Gegend der Welt so viel gemacht wurde, auch geforscht wurde. Das Land war im Aufbruch, daran erinnere ich mich sehr genau.

Inwiefern hat ihre Teilnahme an Jugend forscht sie damals motiviert oder bestärkt, eine Karriere in der Physik anzustreben?

Es hat mich auf jeden Fall bestärkt. Ich hatte 1971 schon mal teilgenommen, da war ich noch Schüler. Danach machte ich mein Abitur und 1972 war ich dann schon bei der Bundeswehr. Zu dem Zeitpunkt stand mein Entschluss, Physik zu studieren, bereits fest. Die Teilnahme bei Jugend forscht hat mir aber bestätigt, dass mir vor allem die Theoretische Physik Freude macht.

Wie hat sich Jugend forscht seitdem verändert?

Im Gegensatz zu damals steht Jugend forscht heute auf einer breiteren Basis. Die Teilnehmerzahl auf der regionalen Ebene ist größer und es wird auch von Seiten der Schulen mehr getan, um die Teilnahme zu fördern, um zu motivieren, zu unterstützen. Das war damals bei Weitem nicht so ausgeprägt. Und ein Punkt fällt mir immer wieder auf: In vielen Fällen werden die Facharbeiten, die ja jeder Schüler schreiben muss, weiter ausgebaut zu Jugend-forscht-Arbeiten. Dieses Jahr habe ich wieder den Eindruck, dass einige eingereichte Arbeiten aus Facharbeiten hervorgegangen sind, als erweiterte Versionen sozusagen.

Wie sollte es ihrer Meinung nach weitergehen?

Jugend forscht ist wirklich eine großartige Sache und gibt den vielen Schülerinnen und Schülern mit Grundinteresse an wissenschaftlichen Themen die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Von der Grundstruktur läuft es sehr gut, besonders die verschiedenen Wettbewerbsebenen haben sich bewährt. Deswegen sehe ich keinen Verbesserungsbedarf.

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