Eine Galaxie ist nicht genug

Astronomen entdecken, dass sich hinter den produktivsten Sternsystemen mehrere verbergen

17. April 2013
Mithilfe des Teleskopverbunds ALMA ist es Astronomen gelungen, die Positionen von mehr als 100 der produktivsten Galaxien mit unerreichter Genauigkeit zu bestimmen. Die genauen Positionen konnten dazu beitragen, das Rätsel der vermeintlich extrem hohen Sternbildungsraten zu lösen: Demnach stammt die freigesetzte Strahlungsmenge nicht von einer einzigen, sondern von mehreren Galaxien – jede für sich mit moderaterer Sternentstehungsrate und im Einklang mit theoretischen Modellen.

Galaxien, die vor allem im Submillimeterbereich des Spektrums strahlen, kennen die Forscher seit den späten 1990er-Jahren. In diesen Systemen entstehen derart viele neue Sterne, dass sie beträchtlich zur Energiefreisetzung aller Galaxien in der Geschichte des Universums beitragen. Ein Nebeneffekt der Entstehung vieler – darunter auch vieler massereicher – Sterne ist die Produktion erheblicher Mengen an Staub.

Tatsächlich sind Galaxien im Extremfall hinter Staubwolken verborgen und bleiben bei Beobachtungen im optischen Spektralbereich komplett unsichtbar. Erst bei Submillimeterstrahlung mit Wellenlängen zwischen einigen Zehntel Millimetern und einem Millimeter lassen sich diese Objekte und ihre Sternentstehungsaktivität vollständig erfassen. Weitere hilfreiche Daten liefern Infrarot- und Radiobeobachtungen.

Bisherige Submillimeter-Durchmusterungen dieser fernen Galaxien hatten mit mangelnder Detailschärfe zu kämpfen. Jetzt allerdings hat eine Gruppe unter der Leitung von Ian Smail (Universität Durham) einen detaillierten Katalog von mehr als 100 Submillimetergalaxien veröffentlicht. Die Daten dafür wurden mit dem Teleskopverbund ALMA (Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array) in Chile gewonnen – mit einem Auflösungsvermögen, das jenes früherer Durchmusterungen um einen Faktor von mehr als zehn übersteigt.

Für die Beobachtungen in einer Himmelsregion, Extended Chandra Deep Field South genannt, wurden 15 der ALMA-Antennen so zusammengeschaltet, dass sie als ein einziges, sehr großes Teleskop agieren. So entsprach das Auflösungsvermögen der von den Forschern genutzten vorläufigen Konfiguration mit weniger als einem Viertel aller 66 ALMA-Schüsseln einer Einzelantenne mit 125 Metern Durchmesser. Und dank der hohen Empfindlichkeit benötigte ALMA nicht mehr als zwei Minuten für jede der angepeilten Submillimetergalaxien.

Das hohe Auflösungsvermögen der Durchmusterung hat bereits ein Rätsel gelöst: „Vorher sah es so aus, als würden sich in den hellsten dieser Galaxien mehr als tausend Mal schneller neue Sterne bilden als in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Bei solchen Sternentstehungsraten wären die betreffenden Galaxien Gefahr gelaufen, sich regelrecht auseinander zu sprengen“, sagt Alexander Karim vom Argelander-Institut für Astronomie in Bonn und der Universität Durham.

Denn Modellrechnungen zeigen, dass die früher angenommenen heftigen Sternentstehungsraten der Größenordnung 1000 Sonnenmassen an Materie, die pro Jahr in Sterne umgesetzt werden, gefährlich nahe an der Grenze liegen, jenseits derer keine weitere Sternentstehung möglich wäre. Wie kann die Galaxie eine solche physikalisch eigentlich unmögliche Sternentstehungsrate überhaupt erreichen? Diese Frage hat jetzt eine einfache Antwort gefunden: „Die ALMA-Bilder haben dort, wo wir einzelne hyperaktive Galaxien vermutet hatten, jeweils mehrere kleinere Galaxien gezeigt – jeweils mit merklich moderaterer Sternentstehungsaktivität“, so Karim.

Die nun veröffentlichte Durchmusterung liefert eine solide Basis, auf der weitere Untersuchungen von Submillimetergalaxien aufbauen können. Jacqueline Hodge vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie, Erstautorin der Veröffentlichung, erklärt: „Wir Astronomen nutzen verschiedene Arten von Strahlung, um Himmelsobjekte zu untersuchen. Aber das funktioniert nur, wenn man Objekte präzise lokalisieren kann.“ Nur dann könne man entscheiden, ob etwa Strukturen auf einem Infrarotbild identisch mit jenen in den Submillimeterdaten sind.

„Unsere Durchmusterung zeigt, dass bisherige Versuche, Submillimetergalaxien auch in Infrarot- und Radiobildern zu identifizieren, mit größeren Problemen zu kämpfen hatten. In etwa einem Drittel der Fälle kam dabei eine falsche Zuordnung heraus. Mit unseren genauen Submillimeter-Messungen konnten wir solche Fehler vermeiden“, sagt Hodge.

Die Arbeit hat den Weg frei gemacht für die nächste Art von Untersuchungen: Beobachtungen bei noch höherer Auflösung, bei denen dann sämtliche 66 Antennen des inzwischen fertiggestellten ALMA-Antennenfelds zum Einsatz kommen sollen.

Solche Beobachtungen versprechen Antworten auf die Frage, wie Submillimetergalaxien eigentlich entstehen: In dem aus heutiger Sicht plausibelsten Szenario sind sie das Ergebnis der Kollision großer Galaxien. Die gegenseitige Gravitationsanziehung während eines solchen Crash führt dabei zu einer Phase intensiver Sternentstehung. Hochauflösende Aufnahmen könnten Aufschluss über die Form der Galaxien geben und damit Spuren solcher kosmischen Zusammenstöße sichtbar machen.

HOR / MP

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