Was steckt hinter Einsteins Turbulenzen?

Numerische Berechnungen von Wissenschaftlern des AEI geben erstmals Einblicke in die relativistischen Eigenschaften dieser mysteriösen Prozesse

Der amerikanische Physiknobelpreisträger Richard Feynman bezeichnete einmal die Turbulenzen als „eines der wichtigsten ungelösten Probleme der klassischen Physik“, weil keine grundlegende Theorie für ihre Beschreibung existiert. Bis heute gilt das als eines der sechs wichtigsten Probleme der Mathematik. David Radice und Luciano Rezzolla vom Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut / AEI) haben jetzt einen entscheidenden Beitrag zur Lösung des Problems geleistet: Mit einem neuen Computercode gelangen ihnen erstmals relativistische Berechnungen, die es erlauben, turbulente Prozesse im Umfeld astrophysikalischer Phänomene zu verstehen.

Turbulenzen sind weit verbreitet und spielen eine große Rolle in der Dynamik von Prozessen: Man begegnet ihnen im Alltag, wenn man zum Beispiel Milch in den Kaffee schüttet. Aber auch im Benzin-Luft-Gemisch von Verbrennungsmotoren oder im verdünnten heißen Plasma des intergalaktischen Mediums kommen sie vor.

Schon im 15. Jahrhundert untersuchte Leonardo da Vinci Turbulenzen in Wasserstrudeln. Im 19. Jahrhundert formulierten Claude Navier und George Stokes unabhängig voneinander Gleichungen, die Strömungen in Flüssigkeiten und Gasen beschreiben. Diese Navier-Stokes-Gleichungen bilden auch Turbulenzen ab. Darauf aufbauend, entwickelte der russische Mathematiker Andrey Kolmogorov während des Zweiten Weltkriegs die bis heute gültige statistische Theorie für Turbulenzen.

Eine fundamentale mathematische Theorie dafür fehlt jedoch bis heute. Die „Analyse von Existenz und Regularität von Lösungen der dreidimensionalen inkompressiblen Navier-Stokes-Gleichungen“ steht daher auf der Liste ungelöster mathematischer Probleme, für deren Lösung das Clay Mathematics Institute in Cambridge/Massachusetts im Jahr 2000 ein Preisgeld von einer Million US-Dollar ausgelobt hat.

„Mit unseren Berechnungen haben wir das Problem zwar nicht gelöst, aber wir zeigen, dass und wie die bisher gültige Theorie modifiziert werden muss. Damit kommen wir einer grundlegenden Theorie zur Beschreibung von Turbulenzen einen wichtigen Schritt näher“, sagt Luciano Rezzolla, der am AEI die Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie leitet, über seine Arbeit.

Rezzolla und sein Kollege David Radice untersuchten Turbulenzen in sehr starken Gravitationsfeldern, etwa in der Umgebung eines schwarzen Lochs oder bei extrem hohen Energien; in beiden Fällen bewegen sich Teilchen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit. Die Forscher verwendeten ein virtuelles Labor, in dem sie diese Situationen unter Berücksichtigung relativistischer Effekte simulierten. Die entsprechenden nicht-linearen Differentialgleichungen der relativistischen Hydrodynamik wurden auf den Großrechnern des AEI und des Rechenzentrums in Garching gelöst.

„Unsere Untersuchungen zeigen, dass Kolmogorovs Gesetz für relativistische Phänomene modifiziert werden muss, denn wir beobachten Abweichungen und neue Effekte“, sagt Rezzolla. „Interessanterweise scheint jedoch die wichtigste Aussage des Gesetzes Gültigkeit zu behalten.“ Dieses sogenannte -5/3 Kolmogorov-Gesetz beschreibt, wie die Energie eines Systems von großen auf kleine Wirbel übertragen wird.

Mit ihrer Arbeit wollen die Wissenschaftler auch dabei helfen, ein übergreifendes Modell zu formulieren. „Den ersten Schritt haben wir nun getan“, so Luciano Rezzolla, „wir werden die Computercodes verbessern, um weitere Erkenntnisse zu einer grundlegenden Theorie der Turbulenzen zu gewinnen.“

EM / HOR

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