Endgültige Geburtenraten werden steigen

Die Zeit sinkender Kinderzahlen pro Frau in entwickelten Ländern geht zu Ende - auch in Deutschland

21. März 2013

Die endgültige Geburtenrate - von Demografen auch als Kohortenfertilität bezeichnet - wird in Deutschland in den kommenden Jahren wieder steigen. Sie gibt die endgültige Zahl der Kinder an, die Frauen eines bestimmten Geburtsjahrgangs (Kohorte) im Laufe ihres Lebens durchschnittlich bekommen haben. Für die heute 34-Jährigen Frauen in Deutschland wird diese Kohortenfertilität bei fast 1,6 Kindern pro Frau liegen, bei steigendem Trend. Dies ergeben neue Vorausberechnungen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock für 37 entwickelte Länder, unter denen viele bisher als Nationen mit besonders niedriger Fertilität galten.

In 26 von ihnen steigen die endgültigen Kinderzahlen pro Frau demnach wieder an, oder sie folgen dem bisherigen Abwärtstrend nicht länger und halten ihr Niveau. Das haben die MPIDR-Forscher Mikko Myrskylä, Joshua Goldstein und Yen-hsin Alice Cheng  (jetzt Academia Sinica in Taiwan) mit einer neuen Methode berechnet, die erstmals nicht nur aktuelle Projektionen der endgültigen Geburtenrate erlaubt, sondern auch angibt, wie wahrscheinlich diese sind. Die Forscher haben ihre Ergebnisse jetzt im Wissenschaftsmagazin „Population and Development Review“ veröffentlicht.

Die projizierten endgültigen Geburtenraten liegen für viele der Länder über den in der Öffentlichkeit als „Geburtenrate“ bekannten Werten. Denn diese Geburtenrate, in Deutschland „zusammengefasste Geburtenziffer“ genannt, gibt nicht die endgültige Zahl der Kinder an, die Frauen im Laufe ihres Lebens bekommen, sondern nur die so genannte „Periodenfertilität“. Die Periodenfertilität misst die aktuell sichtbare Kinderzahl pro Frau in einem bestimmten Kalenderjahr, indem die altersspezifischen Geburtenraten aller Frauen  von 15 bis 49 Jahren in diesem Kalenderjahr addiert werden. Diese Frauen bilden gemeinsam aber keinen echten Geburtenjahrgang (Kohorte) von Müttern, sondern eine künstliche Kohorte, die aus Frauen mit 35 verschiedenen Geburtsjahren besteht, die sich alle ein wenig anders verhalten, wenn es ums Kinderkriegen geht.

Insbesondere berücksichtigt die Perioden-Geburtenrate nicht, dass momentan jede Kohorte etwas später ihre Kinder bekommt als die vorherigen. Wenn dies der Fall ist, wie in den meisten Ländern mit niedriger Fertilität, unterschätzt die Periodenrate aufgrund ihrer mathematischen Beschaffenheit die endgültige Geburtenrate (Kohortenfertilität). So gab das Statistische Bundesamt für 2011 eine Periodenrate von 1,36 Kindern pro Frau an, die Kohortenfertilität für Frauen, die im selben Kalenderjahr 35 waren (Geburtsjahrgang 1976), projizierten die MPIDR-Forscher aber mit 1,54 für Ost- und 1,57 für Westdeutschland.

Die Kohortenfertilität wird pro Jahrgang der Mütter berechnet und lässt sich erst bestimmen, wenn die Frauen keine Babys mehr bekommen, wovon man bei einem Alter von 50 Jahren ausgeht. Die aktuellsten Werte weist das Statistische Bundesamt daher für den Mütterjahrgang 1962 aus. Für jüngere Frauen gibt es noch keine amtlichen Zahlen, weil ihre Familienbildung noch nicht abgeschlossen ist. Die MPIDR-Forscher prognostizierten jetzt jedoch mit ihrer neuen Methode die endgültigen Geburtenraten auch für jüngere Frauen bis zum Jahrgang 1979.

Die 70er-Jahrgänge bekommen wieder mehr Kinder

Das Ergebnis: Die endgültigen Geburtenraten in Deutschland sinken zunächst, bleiben aber immer deutlich über dem langjährigen Niveau der zusammengefassten Geburtenziffer von etwa 1,4. „Mit den Frauen, die in den 1970ern geboren wurden, kommt die Trendwende“, sagt Joshua Goldstein. Im Osten mar­kiert der Jahrgang 1971 das Ende des Rückgangs: Dessen Frauen werden endgültig 1,51 Kinder gebo­ren haben. Danach steigen die Werte, und die 1979 gebo­renen Frauen werden bereits 1,58 Kinder zur Welt gebracht haben. Im Westen erreicht die Talsohle schon der 1968er-Jahrgang mit end­gültig 1,46 Kindern. Die nur elf Jahre jün­ge­ren Frauen des Jahr­gangs 1979 werden hingegen auf 1,57 gekommen sein, wenn sie 50 Jahre alt sind.

Auch international ist die Kohortenfertilität wesentlich höher als die Perioden-Geburtenraten glauben machen (siehe Daten­blatt zu dieser Pressemittei­lung). „Die voraus­berechnete endgültige Fer­tilität ist oft gar nicht weit von zwei Kindern pro Frau entfernt“, sagt MPIDR-Demograf Mikko Myrskylä. Im Durchschnitt aller 37 untersuchten Länder liegt die endgültige Geburtenrate für den Jahrgang 1975 bei 1,77 Kindern pro Frau. Außerordentliche Zuwächse gibt es zum Beispiel in Großbritannien und auch den USA, wo sinkende Periodenraten aktuell öffentliche Diskussionen ausgelöst haben. Entgegen dem allgemeinen Trend sinkt die Kohortenfertilität in wenigen Staaten wie Portugal oder Taiwan weiter. „Es bleibt abzuwarten, wann der Rückgang in diesen Ländern endet“, sagt Myrskylä.

Trotz Unsicherheit der Projektionen: Trendumkehr steht nicht in Frage

Die Zuwächse der endgültigen Geburtenraten seien in vielen Ländern zwar noch klein, sagt Joshua Goldstein. “Entscheidend ist aber, dass wir eine Trendumkehr sehen: Lange Zeit sanken die Werte, jetzt steigen sie zum Großteil wieder." Dass dieser Richtungswechsel etwa für Deutschland statistisch signifikant ist, zeigt die Genauigkeitsanalyse der neuen Projektions­methode (siehe schraffierte Flächen in der Grafik): Mit mindestens 95-prozentiger Wahrschein­lichkeit steigen die Geburtenraten ab den 1970er-Jahrgängen wieder an. Für jüngere Kohorten wird die Prognose zwar ungenauer, die Trendumkehr steht aber nicht in Frage.

„Die öffentlich debattierten Periodenraten sind zu einem großen Teil deswegen so niedrig, weil die Eltern später Kinder bekommen, nicht aber weniger“, sagt Demograf Joshua Goldstein. Was die Perioden-Geburtenraten so weit drücke, sei vor allem ein rein mathematischer Effekt, den die Formel für die „zusammengefasste Geburtenziffer“ produziere, wenn die Eltern mit der Familiengründung jedes Jahr ein wenig später beginnen. Die niedrigen Periodenraten bedeuteten hingegen nicht, dass die Eltern weniger Kinder bekämen.

Niedrige Fertilitätsannahmen überdenken

Langfristig dürften dort, wo die endgültigen Geburtenraten steigen, auch die zusammengefassten Geburten­ziffern wachsen. Dies sei relevant für Bevölkerungsprognosen, da in sie die Periodenwerte eingehen, sagt Goldstein. „Langfristig niedrige Annahmen der Perioden­fertilität, wie etwa 1,4 für die mittlere Variante der deutschen Vorausberechnungen erscheinen wenig realistisch.“

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