Die „Verpacker“ der DNA können auch anders

Protein-Methyltransferasen sind offenbar auch außerhalb des Zellkerns an wichtigen Funktionen beteiligt

7. März 2013

Um den langen DNA-Strang im Zellkern unterbringen zu können, binden basische Proteine – die Histone – an die Erbsubstanz. Der DNA-Strang wickelt sich dabei um die Histone und wird so auf engstem Raum geordnet im Zellkern „verpackt“. Die Verpackungsdichte entscheidet mit darüber, wie oft ein DNA-Abschnitt abgelesen und schließlich in Proteine übersetzt wird. Gesteuert wird dieser wichtige Regulationsmechanismus für die Genaktivität unter anderem von Protein-Methyltransferasen und –Demethylasen. Diese Enzyme hängen kurze Kohlenwasserstoffe (Methylgruppen) an die Histone oder entfernen sie wieder, regulieren so die Bindungsstärke zwischen DNA und Histonen und damit letztlich die Ablesbarkeit des DNA-Strangs. Lange gingen Wissenschaftler davon aus, dass dies die einzige größere Aufgabe der Enzyme in der Zelle ist. Doch Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik in Berlin haben nun Hinweise darauf gefunden, dass die „Verpacker“ der DNA auch außerhalb des Zellkerns arbeiten können und hier möglicherweise an wichtigen Funktionen beteiligt sind. Mit einer neuen Methode konnten sie feststellen, dass über die Hälfte der Proteine, mit denen typische Methyltransferasen interagieren können, ausschließlich oder zumindest zeitweise außerhalb des Zellkerns – und damit weitab vom DNA-Strang – lokalisiert sind.

Die Histon-Methylierung ist einer der wichtigsten epigenetischen Regulationsmechanismen der Genaktivität. Die dafür verantwortlichen Enzyme – Histon-Methyltransferasen und –Demethylasen – galten lange als absolute Spezialisten, die abseits der epigenetischen Modifikation keine größere Rolle im hochkomplexen Orchester der Zelle spielen.  Doch die Max-Planck-Forschungsgruppe um Ulrich Stelzl vom MPI für molekulare Genetik in Berlin hat nun starke Hinweise darauf gefunden, dass die Enzyme in menschlichen Zellen echte Multitalente sind. Denn die von ihnen untersuchten Methyltransferasen können auch mit einer Reihe von Proteinen interagieren, die ganz oder zumindest zeitweise außerhalb des Zellkerns liegen und zum Beispiel am Aufbau des Cytoskeletts oder an der Entsorgung nicht mehr benötigter Proteine beteiligt sind.

Um herauszufinden, mit welchen Proteinen die „Verpacker“ der DNA sonst noch interagieren können, bestimmten die Wissenschaftler um Ulrich Stelzl das Interaktom ausgesuchter, in menschlichen Zellen aktiver Protein-Methyltransferasen und -Demethylasen. „Genom, Proteom und Interaktom. Diese Begriffe beschreiben die verschiedenen molekularen Verarbeitungsebenen der Zelle“, sagt Ulrich Stelzl. „Das Genom ist die Gesamtheit der auf dem DNA-Strang gespeicherten Gene. Diese liefern die Blaupause für die Proteine, mit denen die Zelle ihre Funktionen steuert. Alle Proteine zusammen bilden das Proteom. Das Interaktom schließlich ist das Gesamtnetzwerk möglicher Interaktionen zwischen diesen Proteinen.“ Ulrich Stelzl vergleicht das mit einem U-Bahn-Plan. Das Proteom liefert dabei Informationen über die einzelnen Stationen, das Interaktom dagegen Informationen über die verschiedenen Verbindungen zwischen den Stationen. „Ohne die Stadt wirklich zu kennen, kann man schon allein durch das Interaktom zum Beispiel feststellen, wo in etwa das Stadtzentrum liegt, und analog dazu,  welche Aufgabenbereiche ein entsprechendes Enzym hat.“

Zur Bestimmung des Interaktoms griffen die Forscher auf eine bewährte Methode zurück: die Hefe-Zwei-Hybrid-Analyse (engl.: Yeast Two-Hybrid, Y2H). „Dabei werden die Gene, welche die Blaupause für die zu testenden Proteine enthalten, in Hefezellen eingeschleust. Ein ‚weiblicher’ Hefestamm produziert dann zum Beispiel eine Methyltransferase und ein ‚männlicher’ das mögliche Partnerprotein“, erläutert Ulrich Stelzl. „Dann verschmelzen die Hefezellen in einem Prozess, den wir als Mating bezeichnen. Wenn die beiden Proteine miteinander interagieren, wird eine essentielle Aminosäure produziert und die Hefezellen können wachsen. Findet keine Interaktion statt, fehlt der Nährstoff und die Zellen wachsen nicht.“

Um nun das Interaktom eines Enzyms festzustellen, mussten im herkömmlichen automatisierten Verfahren bislang alle möglichen Proteinpaarungen einzeln und zur sicheren Feststellung einer Interaktion auch jeweils mehrere Male zusammengebracht werden. „Bei den etwa 13.000 Proteinen, mit denen wir unsere Auswahl von mehr als 80 Methyltransferasen und Dehydrogenasen testen mussten, sind dabei eine Million Kombinationen möglich“, sagt Ulrich Stelzl. „Um den ganzen Vorgang zu beschleunigen und die Sensitivität zu erhöhen, haben wir die Methode modifiziert.“ Die Forscher gaben dazu alle zu testenden 13.000 Proteinhefestämme in einen gemeinsamen Pool und ließen sie mit den jeweiligen Methyltransferasestämmen verschmelzen. Dann ordneten sie die verschmolzenen Zellen in vielen kleinen Spots an und ließen sie wachsen. Schließlich ernteten sie die gewachsenen Kolonien ab, filterten so die Zellen mit den positiven Proteininteraktionen heraus und sequenzierten die DNA der Proteine, die die Hefe wachsen ließen – die DNA der Wechselwirkungspartner.

„Durch die abschließende sogenannte Second-Generation-Sequenzierung verringerte sich im Vergleich zur herkömmlichen Y2H-Analyse die Gesamtbearbeitungszeit erheblich. Vor allem aber wurden die interagierenden Proteinpaare so nicht nur einige wenige Male sondern tausendfach getestet. Statistisch ausgewertet, liefern die Daten deshalb hoch sensitiv Informationen, wie gut die Interaktion zwischen den Proteinpaaren ist“, erläutert der Wissenschaftler.

Das überraschende Ergebnis der Auswertung: Mehr als die Hälfte der Proteine, mit denen die ausgewählten Methyltransferasen gut interagieren können, sind gar nicht im Zellkern lokalisiert – wo die „Verpacker“ der DNA gewöhnlich ihren Dienst verrichten – sondern im Zytoplasma. Und damit nicht genug: Viele der identifizierten Partnerproteine sind zudem an völlig anderen Funktionen beteiligt, als der Histon-Modifikation. „Wir haben Interaktionen mit Proteinen gefunden, die zum Beispiel an Filamenten aktiv oder an der Entsorgung von in der Zelle nicht mehr benötigtem ‚Proteinabfall’ beteiligt sind“, sagt Ulrich Stelzl. Damit verdichten sich die Hinweise, dass die „Verpacker“ der DNA keine reinen Spezialisten sondern echte Multitasker sind. „Das wirft ein völlig neues Licht auf diese Enzyme. Wenn wir das komplexe Zusammenspiel des zellularen Orchesters wirklich verstehen wollen, muss die Forschungsarbeit in diesem Bereich deutlich intensiviert werden“, sagt Stelzl.

NE/HR

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