Holz am Meeresboden - eine Oase für Tiefseetiere

Über in die Tiefsee abgesunkene Holzreste können Tiere und Mikroorganismen die gewaltigen Distanzen zwischen nährstoffreichen Quellen überwinden

21. Januar 2013

In der Tiefsee wachsen keine Bäume, und doch kann aus einem abgesunkenen Baumstamm am Meeresgrund eine Arche Noah des Tiefseelebens werden – vorübergehend bis das Holz vollständig zersetzt ist. Ein Team von Bremer Max-Planck-Forschern konnte zum ersten Mal zeigen, wie sich abgesunkenes Holz zu einem attraktiven Lebensraum für eine Vielfalt von Bakterien und wirbellosen Tieren entwickelt. Ihre Vermutung, dass Bakterien bei der Holzzersetzung Schwefelwasserstoff freisetzen und so sogar Tiere von heißen und kalten Quellen im Meer anziehen, konnten sie mit Hilfe von Roboter-Messungen im tiefen Mittelmeer bestätigen.

Manche Tiefseelebewesen wie Muscheln und Röhrenwürmer sind auf besondere Formen der Energieversorgung angewiesen, einem Cocktail von energiereichen chemischen Verbindungen wie Methan und Schwefelwasserstoff, der an heißen und kalten Quellen aus dem Meeresboden austritt. Sie tragen in ihrem Inneren bakterielle Symbionten, die für sie die Energie aus diesen Verbindungen in Nahrung umwandeln. Doch diese Oasen in der Wüste der Tiefsee liegen zum Teil Hunderte von Kilometern auseinander, und zwischen ihnen gibt es keine Verbindung.

Die Frage, wie sich deren Bewohner von einer Quelle zur nächsten ausbreiten konnten, war bislang ein ungelöstes Rätsel. Eine Hypothese war, dass abgesunkene Kadaver von toten Walen, abgerissener Tang, aber auch entwurzelte Baumstämme als Zwischenstopp und Nahrungsquelle dienen könnten, wenn denn Tiefseebakterien daraus Methan und Schwefelverbindungen erzeugen könnten.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, versenkte das Team um Bienhold im östlichen Mittelmeer in einer Tiefe von 1700 Metern Baumstämme und kehrte nach einem Jahr zurück, um die Fauna, Bakterien und die chemischen Mikrogradienten zu untersuchen. „Wir waren überrascht, wie viele Tiere das Holz bereits nach einem Jahr bevölkert hatten. Am stärksten besiedelt war das Holz von einer besonderen Bohrmuschelart – auch Schiffsbohrwürmer genannt. Diese Muscheln vom Typ Xylophaga bilden sozusagen die Vorhut und bereiten das Habitat für die Nachfolger vor“, sagt Christina Bienhold. „Auch sie brauchen bakterielle Hilfe, um sich die schwerverdauliche Zellulose aus dem Holz zu Nutze zu machen.“ Die Forscher beobachteten, wie die Bohrmuscheln die Holzstämme in Späne zerlegt hatten, die dann von vielen anderen Organismen weiter abgebaut wurden. Diese Aktivität verbraucht Sauerstoff und ermöglicht die Produktion von Schwefelwasserstoff durch sulfatreduzierende Mikroorganismen. Und tatsächlich fanden die Forscher auch eine von Schwefel als Energiequelle abhängige Muschelart, die sonst nur an kalten Quellen vorkommt.

„So können Tiefseebakterien aus einem Fremdstoff wie Holz einen neuen Lebensraum schaffen, wie gemacht für Muscheln von kalten Quellen auf Durchreise“, sagt Antje Boetius, Fahrtleiterin der Expedition. Auch unbekannte Arten von Tiefseewürmern entdeckten die Forscher, welche von taxonomischen Experten in Deutschland und den USA beschrieben werden. Die zufälligen Holzeinträge begünstigen also nicht nur die Verbreitung seltener Tiefseetiere, sondern bilden auch wahre „Hotspots“ des Lebens am Meeresgrund.

MS/HR

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