Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

Neue Synthesestrategien für intelligente radioaktive Diagnostika

Autoren
Neumaier, Bernd;  Zlatopolskiy, Boris D.
Abteilungen
Zyklotron/Radiochemie
Zusammenfassung
Neue Radiomarkierungsstrategien in Verbindung mit neuen Zielstrukturen treiben die Entwicklung von intelligenten radioaktiven Diagnostika voran. Diese Markierungen ermöglichen, gezielt pathophysiologische Prozesse im Körper auf molekularer Ebene mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zu erfassen. Cycloadditionsreaktionen sind erfolgreich für die Radiofluorierung eingesetzt worden. In einer Weiterentwicklung dieses Konzepts wurden Markierungsansätze erarbeitet, die dazu beitragen, das zugängliche Spektrum an maßgeschneiderten Sonden zu erweitern.

Hintergrund

Krankheitsprozesse wie Krebs, Schlaganfall oder Entzündungen lassen sich sehr empfindlich mit radioaktiv markierten Molekülen durch die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) diagnostizieren. Der Vorteil dieser Methode gegenüber klassischen Methoden wie Röntgen, Computer-Tomographie und Magnet-Resonanz-Tomographie besteht darin, dass fehlregulierte Enzyme oder hochregulierte Rezeptoren direkt beobachtet werden können. Grundvoraussetzung für die gezielte Adressierung und Beobachtung von pathophysiologischen Prozessen sind intelligente radioaktive Sonden. Ihre Entwicklung erfordert neue, effiziente Radiomarkierungsmethoden, die sich für schnelle und unkomplizierte Synthesen neuer Adressierungsmoleküle oder Tracer eignen. Zudem müssen diese Markierungstechniken aufgrund des Umgangs mit kurzlebigen Positronen-Strahlern vielfältige Anforderungen erfüllen. Dazu gehören: schnelle Reaktionskinetik, milde Reaktionsbedingungen, wenige Syntheseschritte und möglichst fernbedienbare und automatisierte Syntheseführung.

Am MPI für neurologische Forschung haben Bernd Neumaier und Boris Zlatopolskiy daher in ihren Ansätzen neue 18F-Markierungsbausteine entwickelt, die sich leicht in kleine Moleküle, Peptide und Proteine einführen lassen. Im Fokus der Entwicklungsprozesse stand die (3+2)-Cycloaddition (CA). Eine CA ist eine Reaktion zwischen einem 1,3-Dipol mit zwitterionischer Struktur und einer ungesättigten Verbindung (Dipolarophil), die zu einem fünfgliedrigen Heterocyclus führt. Das bekannteste Beispiel für diesen Reaktionstyp ist die die Cu(I)-katalysierte Azid-Alkin-Cycloaddition [1, 2]. Unter Cu(I)–Katalyse reagiert hierbei ein Azid (1,3-Dipol) mit einem terminalen Alkin (Dipolarophil) zu einem 1,4-Triazol (Heterocyclus) (Abb. 1A). Diese Reaktion wurde 2006 erstmals von Marik und Sutcliffe in die Radiochemie übertragen [3]. In den Arbeiten wurden neue 18F-markierte 1,3-Dipole synthetisiert, die sich durch einfache Herstellung und hohe Reaktivität gegenüber Dipolarophilen auszeichnen. Vorteil der neu entwickelten Synthesebausteine ist, dass diese ohne Katalyse mit zelltoxischen Cu(I)-Verbindungen mit unterschiedlichen Dipolarophilen reagieren. So konnte das Spektrum an verfügbaren 18F-markierten Sonden durch den Einsatz dieser Dipole erheblich erweitert werden. Außerdem wurden weitere Methoden auf Basis der Cycloaddition entwickelt, die sich für die Radiosynthese innovativer neuer Radiodiagnostika, sog. Tracer, eignen.

Sind Nitron-Alken-Cycloadditionen eine Alternative zu Click-Radiomarkierungen?

In der Literatur sind bisher über 30 1,3-Dipole beschrieben worden, die sich an Mehrfachbindungen addieren lassen. Zur Untersuchung und Aufklärung des Mechanismus dieses Reaktionstyps hat der deutsche Chemiker Rolf Huisgen so maßgeblich beigetragen, dass die (3+2)-Cycloadditionsreaktion auch nach ihm benannt wurde. In einer Variante der Huisgen-Reaktion werden Nitrone als reaktive 1,3-Dipole verwendet. Dieses [18F]Fluorphenlyphenylnitron wurde als Markierungsbaustein mit unterschiedlichen Maleimiden als Modell-Alkene ohne Kupferkatalyse zu Isoxazolidinen fast quantitativ umgesetzt (Abb. 1C) [4].

Nitriloxid-Cycloadditionen: ein neuer Weg zu 18F-markierten Heterocyclen, Peptiden und Biomolekülen

Einen weiteren Zugang zu neuen pharmakologisch relevanten 18F-markierten Molekülen liefert die Cycloaddition mit Nitriloxiden als reaktive, aber gleichzeitig ausreichend stabile 1,3-Dipole. Um radiofluoriertes Nitriloxid herzustellen, wurde [18F]Fluorbenzaldehyd mit Hydroxylamin zu 4-[18F]Fluorbenzaldoxim umgesetzt. Dieses wurde dann mit einer hypervalenten Iodverbindung zu [18F]Nitriloxid ([18F]FBNO) oxidiert und reagierte direkt mit verschiedenen Dipolarophilen (Abb. 2A). Dabei zeichneten sich die [18F]FBNO-Cycloadditionen mit unterschiedlichen Alkenen und Alkinen durch schnelle Reaktionskinetiken aus und lieferten markierte Produkte regioselektiv und in hohen Ausbeuten [5].

Dieses Markierungsverfahren wurde dann auch für ein vom Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union gefördertes EFRE-ZIEL2-Projekt genutzt, für das in Kooperation mit der RWTH Aachen Sonden für die Detektion von Entzündungsprozessen entwickelt werden sollen (Inflammations-Bildgebung). Dazu wurden neue COX-2-selektive Inhibitoren mit 18F markiert, die einen sensitiven Nachweis der Entzündungen ermöglichen. Mit dem neuartigen Markierungsverfahren wurden verschiedene von Indomethacin abgeleitete Derivate synthetisiert. Ein nach diesem Prinzip hergestellter Tracer (Abb. 2B) zeigte in Zellkultur-Experimenten ein sehr günstiges Bindungsprofil und soll in Kürze in präklinischen Tiermodellen getestet werden. Darüber hinaus sollte sich diese Methode auch zur Radiomarkierung von Peptiden und Biomolekülen eignen.

Nucleophile Addition von [18F]FBNO an Amine und Thiole für die direkte Markierung von Peptiden und Proteinen

[18F]FBNO wurde auch zur Markierung von Proteinen eingesetzt. Dabei wurde Rinderserumalbumin (BSA) als Modellprotein mit Bicyclononin-Gruppen (ein Bicyclus mit sehr stark gespannter und damit sehr reaktiver Dreifachbindung) funktionalisiert, um eine schnelle Reaktion mit Nitriloxid zu ermöglichen. Zur Kontrolle wurde unmodifiziertes BSA eingesetzt, um eine Bindung von [18F]FBNO an andere funktionelle Gruppen des Proteins auszuschließen. Überraschenderweise wurde auch für BSA, das über keine aktivierte Funktion verfügt, eine hohe Markierungsausbeute beobachtet. Das bedeutet, dass freie Amino- bzw. Thiolreste des Biomakromoleküls mit Nitriloxid direkt via nucleophiler Addition reagieren (Abb. 2C).

Die Bildung eines Additionsprodukts (Amidoxim) durch die Reaktion von [18F]FBNO konnte mit einem kurzen Modellpeptid mit terminaler Amino-Funktion nachgewiesen werden. In diesem Fall wurde [18F]FBNO in situ aus dem entsprechenden Chlorimidoylchlorid, einer stabileren Vorstufe, generiert. Ein Modellthiol reagierte ebenfalls schnell nach diesem Reaktionstyp zu Thiohydroxymat.

Diese Markierungsmethode wurde genutzt, um DUPA, einen Prostata-spezifischen Membran-Antigen (PSMA)-Liganden, mit 18F zu markieren. DUPA bindet hochspezifisch an das Protein, das in Prostatatumoren und ihren Tochtergeschwülsten häufig angetroffen wird, aber im übrigen menschlichen Körper sehr selten ist. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler zeigen, dass das 18F-markierte DUPA-Konjugat (Abb. 2D) eine nanomolare Affinität zu PSMA exprimierenden Zellen hat. Auch in einem Prostatatumor-Mausmodell konnte eine hohe Anreicherung des 18F-markierten DUPA-Konjugats gefunden werden, sodass sich dieses Konjugat auch zur Detektion von Prostatatumoren bei Patienten eignen könnte. Damit stellt auch diese direkte Markierungsmethode eine Möglichkeit dar, neue Radiodiagnostika schnell und effizient herzustellen.

Herstellung von radiomarkierten β-Lactamen über die Kinugasa-Reaktion

Die Kinugasa-Reaktion, die 1972 entdeckt wurde, ist ein wichtiges Instrument zur Darstellung von β-Lactamen über die Umsetzung von Nitronen mit terminalen Alkinen. β-Lactame gehören zu den Enzyminhibitoren und hemmen irreversibel Trans- und Carboxypeptidasen sowie Serinproteasen. Daher könnten 18F-markierte β-Lactame potenziell in der Lage sein, bakterielle Infektionen, Prostatatumoren, Thrombosen und Emphyseme mittels PET darzustellen. Die Übertragung der Kinugasa-Reaktion mit dem oben beschriebenen [18F]Fluorphenylphenylnitron in die Radiochemie eröffnet die Möglichkeit, radiomarkierte β-Lactame für die PET-Bildgebung zu erhalten.

Dazu wurde [18F]Fluorphenylphenylnitron mit unterschiedlichen Alkinen umgesetzt (Abb. 3A). Es zeigte sich, dass unter wässrigen Click-Bedingungen mit Hilfsliganden die höchsten radiochemischen Ausbeuten erzielt wurden und sich die Menge an Reaktanden deutlich reduzieren ließ, was besonders für die Markierung von Peptiden von großer Wichtigkeit ist. Ist die Menge an nicht radioaktiv markiertem Peptid zu hoch, so wird der Zielrezeptor, dessen Konzentration im subnanomolaren Bereich liegt, mit dem nicht radioaktiv markierten Peptid gesättigt – die radioaktive Substanz kann dann nicht mehr binden und der Rezeptor ist damit nicht nachweisbar. Daher ist eine möglichst geringe Peptidkonzentration für die Radiomarkierung eine essenzielle Voraussetzung für die PET mit Radiopeptiden.

Es wurde gezeigt, dass die Anwendung der Kinugasa-Reaktion als Radiofluorierungsmethode einen einfachen und sehr effizienten Zugang zu 18F-markierten β-Lactamen ermöglicht. Durch die schnelle Reaktionskinetik und die milden Reaktionsbedingungen ist sie potenziell auch für die Radiomarkierung von Peptiden und Biopolymeren geeignet.

Arin-Cycloadditionen – ein neues Tor in die Welt von radiofluorierten aromatischen und heteroaromatischen Verbindungen

In einem weiteren Projekt wurden Arine als reaktive Intermediate untersucht, um mit radiomarkierten 1,3-Dipolen neue pharmakologisch relevante homo- und heterocyclische Systeme zu synthetisieren. Cycloadditionen von Arinen an 1,3-Dipole  eignen sich aufgrund ihrer extrem schnellen Reaktionskinetik sehr gut für die radiochemische Synthese. Um dieses für die Radiochemie innovative Konzept zu untersuchen, wurde Benz-in in situ thermisch oder Fluorid-vermittelt generiert und mit verschiedenen 18F-markierten 1,3-Dipolen (oder deren Vorläufern) umgesetzt, was zu Isoxazolen, Benzophenonen, Indazolen und Triazolen in hohen radiochemischen Ausbeuten führte (Abb. 3B). So wurde nachgewiesen, dass die 1,3-dipolare Cycloaddition mit Arinen eine leistungsfähige Methode darstellt, um radiofluorierte aromatische- oder heteroaromatische Verbindungen zu synthetisieren, die mit herkömmlichen Markierungsverfahren nicht oder nur sehr schwierig zu realisieren sind. 

Literaturhinweise

Kolb, H. C.; Finn, M. G.; Sharpless, K. B.
Click chemistry: diverse chemical function from a few good reactions
Angewandte Chemie International Edition 40, 2004–2021 (2001)
Rostovtsev, V. V.; Green, L. G; Fokin, V. V.; Sharpless, K. B.
A stepwise Huisgen cycloaddition process: copper(I)-catalyzed regioselective "ligation" of azides and terminal alkynes
Angewandte Chemie International Edition 41, 2596–2599 (2002)
Marik, J; Sutcliffe, J. L.
Click for PET: rapid preparation of [18F]fluoropeptides using CuI catalyzed 1,3-dipolar cycloaddition
Tetrahedron Letters 47, 6681–6684 (2006)
Zlatopolskiy , B. D.; Kandler, R.; Mottaghy F. M.; Neumaier, B.
C-(4-[18F]fluorophenyl)-N-phenyl nitrone: A novel 18F-labeled building block for metal free [3+2]cycloaddition
Applied Radiation and Isotopes 70, 184–192 (2012)
Zlatopolskiy , B. D.; Kandler, R.; Kobus, D.; Mottaghy F. M.; Neumaier, B.
Beyond azide–alkyne click reaction: easy access to 18F-labelled compounds via nitrile oxide cycloadditions
Chemical Communications 48, 7134–7136 (2012)
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