Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Wandel der Familie in Ost- und Westdeutschland: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Autoren
Kreyenfeld, Michaela; Trappe, Heike
Abteilungen
Arbeitsbereich Ökonomische und Soziale Demografie, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock und Universität Rostock
Zusammenfassung
Mehr als zwanzig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung würde man erwarten, dass sich die Ost-West-Unterschiede in Einstellungen, Lebensbedingungen und Verhaltensweisen weitgehend angeglichen haben. Dies trifft zwar auf viele Lebensbereiche zu, gilt für den Bereich der Familie jedoch nur eingeschränkt. Vor allem die Familienstrukturen und die Erwerbsmuster von Frauen unterscheiden sich in den beiden Landesteilen weiterhin deutlich voneinander. Die Panelstudie DemoDiff, die vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung durchgeführt wird, geht diesen Unterschieden auf den Grund.

Mit der deutschen Wiedervereinigung war die Erwartung verknüpft, dass sich Einstellungen und Verhaltensweisen in Ost- und Westdeutschland zügig angleichen würden. Während mittlerweile in vielen Lebensbereichen Anpassungsprozesse stattgefunden haben, gilt dies für den Bereich der Familie nur sehr eingeschränkt. Obgleich die ost- und westdeutschen Geburtenziffern inzwischen auf einem ähnlichen Niveau liegen [1], existieren weiterhin frappierende Unterschiede in den Familienstrukturen, in der Heiratsdynamik und im Erwerbsverhalten von Frauen. Die Panelstudie DemoDiff (Demographic Differences in Life Course Dynamics in Eastern and Western Germany), die vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock durchgeführt wird, geht diesen Unterschieden nach. In dieser Studie werden junge Erwachsene der Geburtsjahrgänge 1971 bis 1973 und 1981 bis 1983 zu ihren biografischen Erfahrungen, Einstellungen, Lebensplänen und Verhaltensweisen befragt.

Unterschiede im Erwerbsverhalten von Frauen mit Kindern

Ost-West-Unterschiede zeigen sich vor allem im Erwerbsverhalten von Frauen mit Kindern. Angesichts der ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen und Erwerbsoptionen, die nach der Wende Frauen in Ostdeutschland zunächst stärker betrafen als Männer, erschien es plausibel anzunehmen, dass sich deren Erwerbsneigung schnell dem westdeutschen Muster annähern würde. Dies war naheliegend, da mit der Wiedervereinigung das Steuer- und Transfersystem der Bundesrepublik, welches das Einverdienermodell unterstützte, auch in Ostdeutschland galt. Generell erwies sich diese Prognose jedoch als falsch [2]. Selbst junge ostdeutsche Frauen unterscheiden sich nach wie vor in ihrer Erwerbsneigung und ihrem Erwerbsverhalten von westdeutschen Frauen. Abbildung 1, welche die Erwerbskonstellation von Paaren darstellt, zeigt, dass es zwar nur geringe Ost-West-Unterschiede für kinderlose Frauen gibt, diese jedoch erheblich sind, sofern Mütter betrachtet werden [3]. Während in Ostdeutschland etwa 40 Prozent einem „doppelten Vollzeitmodell“, das heißt, beide Partner sind vollzeiterwerbstätig, folgen, trifft dies auf gerade 11 Prozent der westdeutschen Frauen in Paarhaushalten mit Kindern zu. In Westdeutschland dominiert mit etwa 40 Prozent das „teilmodernisierte Ernährermodell“ (der Mann ist vollzeit-, die Frau teilzeiterwerbstätig).

Unterschiede in den Familienstrukturen und im Heiratsverhalten

Besonders große Ost-West-Unterschiede gibt es im Heiratsverhalten und in den Familienstrukturen. Die Familienstrukturen in Westdeutschland sind, im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, eher traditionell, was sich unter anderem daran zeigt, dass die überwiegende Zahl der Paare heiratet, bevor das erste Kind geboren wird. Die enge Koppelung von Eheschließung und Familiengründung, die für Westdeutschland charakteristisch ist, verlor in Ostdeutschland schon zu DDR-Zeiten mit dem sprunghaften Anstieg nichtehelich geborener Kinder seit Mitte der 1970er-Jahre ihre Bedeutung. Ein Impuls hierfür waren wahrscheinlich sozialpolitische Maßnahmen wie das sogenannte Babyjahr, zu dem unverheiratete Mütter zunächst bevorzugt Zugang hatten. Mit der Wiedervereinigung und der Übertragung der bundesdeutschen sozialpolitischen Regelungen auf Ostdeutschland war die Erwartung verknüpft, dass sich der ungewöhnlich hohe Anteil an nichtehelich geborenen Kindern in Ostdeutschland zügig auf das westdeutsche Niveau reduzieren würde. Tatsächlich stieg die ostdeutsche Nichtehelichenquote weiter. Auch bei den Jahrgängen, die erst nach der Wende Familien gegründet haben, gibt es große Unterschiede in der Bedeutung nichtehelicher Elternschaft.

In Abbildung 2 sind die Lebensformen von Frauen der Geburtsjahrgänge 1971 bis 1973 zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes sowie neun Monate zuvor dargestellt. Sie macht deutlich, wie unterschiedlich Eheschließung und Familiengründung in den beiden Landesteilen miteinander verbunden sind [3]. In Westdeutschland sinkt der Anteil der unverheirateten Frauen in der Zeit zwischen Schwangerschaftsbeginn und Geburt des ersten Kindes von 54 auf nur 34 Prozent ab, was auf einen hohen Anteil an shotgun marriages (Heiraten, die durch eine Schwangerschaft motiviert waren) schließen lässt. In Ostdeutschland ist mit 63 Prozent die Mehrzahl der Frauen unverheiratet, wenn das erste Kind geboren wird. Generell handelt es sich bei den nichtehelichen Geburten in beiden Landesteilen mehrheitlich um Geburten von Frauen, die in nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben. Ein geringerer Teil der Frau hat zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes keinen Partner (Kategorie: „partnerlos“) oder hat zwar einen Partner, aber lebt mit diesem nicht in einem gemeinsamen Haushalt (Kategorie: „Living apart together“).

Heiratsdynamik nach der Familiengründung

Der hohe Anteil nichtehelich geborener Kinder deutet auf eine größere Pluralität der Familienstrukturen in Ostdeutschland hin. Während die eheliche Familie in Westdeutschland für Frauen mit Kindern dominiert, scheinen Lebensformen jenseits der ehelichen Familien in Ostdeutschland eine gewisse Verbreitung zu finden. Unklar ist jedoch, ob nichteheliche Lebensgemeinschaften eine dauerhafte Familienform darstellen, welche die eheliche Lebensgemeinschaft sukzessive verdrängen, oder ob diese Lebensform nur von kurzer Dauer ist, da Eheschließungen auch nach der Familiengründung noch häufig stattfinden.

Abbildung 3 gibt vor diesem Hintergrund Aufschluss über die Dynamik der Familienstrukturen nach der Familiengründung [4]. Die Abbildung schließt alle Frauen der Geburtsjahrgänge 1971 bis 1973 ein, die zum Zeitpunkt der Geburt ihres ersten Kindes in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten und gibt Aufschluss darüber, wie viel Prozent dieser Frauen danach geheiratet oder sich von dem Vater des Kindes getrennt haben. Für Westdeutschland zeigt sich dabei, dass fast 60 Prozent dieser Frauen verheiratet waren, als das erste Kind acht Jahre alt war. Etwas mehr als 20 Prozent hat sich bis zu diesem Zeitpunkt getrennt (Kategorie: „Trennung“) oder ist auseinander gezogen (Kategorie: „Living apart together“). Weniger als 20 Prozent der Paare, die zum Zeitpunkt der Geburt in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten, befanden sich auch in dieser Familienform als das erste Kind acht Jahre alt war. In Ostdeutschland scheint die nichteheliche Lebensgemeinschaft hingegen eine relativ stabile Lebensform darzustellen. Dort leben etwa 30 Prozent aller Frauen dieser Geburtsjahrgänge dauerhaft in dieser Familienform, das heißt zumindest bis zum achten Lebensjahr des ersten Kindes.

Insgesamt zeigt die Gegenüberstellung, dass auch gegenwärtig deutliche Ost-West-Unterschiede in den Familienstrukturen und im Erwerbsverhalten existieren. Besonders bemerkenswert ist, dass sich diese Unterschiede auch für die jungen Geburtsjahrgänge der zwischen 1971 und 1973 geborenen Personen zeigen, die erst im wiedervereinigten Deutschland Erwerbs-, Heirats- und Geburtenentscheidungen getroffen haben. Die nachfolgenden Jahrgänge haben zum Teil noch keine Kinder bekommen, sodass sich deren familiale Verhaltensweisen noch nicht abschließend beurteilen lassen. Erste Analysen des DemoDiff-Projekts deuten darauf hin, dass Ost-West-Unterschiede in den Heiratsmustern und im Erwerbsverhalten auch für jene jungen Jahrgänge fortbestehen werden, die zu Beginn der 1980er-Jahre geboren wurden. Der Ost-West-Vergleich zeigt exemplarisch, dass familiale Verhaltensweisen nicht nur durch ökonomische und politische Rahmenbedingungen geprägt werden, sondern dass über Generationen vermittelte soziale Normen und Werte ebenfalls einflussreich sind, woraus eine eigene Dynamik der Familienentwicklung resultiert.

Literaturhinweise

Goldstein, J.; Kreyenfeld, M.
Has East Germany overtaken West Germany? Recent trends in order-specific fertility
Population and Development Review 37, 453–472 (2011)
Trappe, H.; Sørensen, A.
Economic relations between women and their partners: an East-West-German comparison after reunification
Feminist Economics 12, 643–665 (2006)
Huinink, J.; Kreyenfeld, M.; Trappe, H. (Hrsg.)
Familie und Partnerschaft in Ost-und Westdeutschland: Ähnlich und doch immer noch anders
Verlag Babara Budrich, Opladen/Farmington Hills (2012)
Bastin, S.; Kreyenfeld. M.; Schnor, S.
Diversität der Familienformen in Ost- und Westdeutschland
In: Familie(n) heute – Entwicklungen, Kontroversen, Prognosen, 126–145 (Hrsg. Krüger D.; Herma, H.; Schierbaum, A.). Juventa, Wiesbaden (2013)

 

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