Tanz der Mikrotubuli

Während der Zellteilung fangen Mikrotubuli die Chromosomen durch Drehbewegung ein

18. Dezember 2012

Im Laufe der Zellteilung teilt sich jedes Chromosom in zwei identische Hälften, von denen je eine in beide Tochterzelle gelangt. Für diese Aufteilung der Chromosomen sind fadenförmige Proteine verantwortlich, die sogenannten Mikrotubuli. Wie die Mikrotubuli den Kontakt mit den Zentren der Chromosomen ausbilden, haben Forscher um Iva Tolic-Nørrelykke vom Max-Planck-Institut für Zellbiologie und Genetik in Dresden jetzt unter dem Mikroskop beobachtet. Ihre Ergebnisse widersprechen dem bisherigen Bild dieses Prozesses: So wachsen die Mikrotubuli keineswegs direkt auf ihr Ziel zu, sondern sie schlängeln sich in einer rein temperaturabhängigen Drehbewegung um die Chromosomenzentren herum, bis sie diese zu fassen bekommen. Ein detailliertes Verständnis der Zellteilung ist unter anderem deswegen wichtig, weil die Wirkung vieler Krebsmedikamente darauf basiert, dass sie diesen Prozess hemmen.

Wenn sich eine tierische oder pflanzliche Zelle teilt, ordnet sie ihre X-förmigen Chromosomen in Reih und Glied in der Mitte der Zelle an.  Ausgehend von den beiden Zellpolen verbinden sich die Mikrotubuli mit einem speziellen Proteinkomplex auf den Chromosomen, dem Kinetochor. Nachdem die Chromosomen kopiert und damit verdoppelt wurden, können die Kopien entlang der Mikrotubuli in die beiden Tochterzellen wandern.  Wie es die Mikrotubuli allerdings schaffen, die Kinetochore der Chromosomen zu finden, ist im Detail noch nicht bekannt.

Ein internationales Forscherteam, an dem auch Wissenschaftler der Dresdner Max-Planck Institute für Zellbiologie und Genetik sowie der Physik komplexer Systeme beteiligt waren, hat diesen Prozess jetzt am Beispiel der Spalthefe untersucht und dabei sprichwörtlich Bewegendes beobachtet: Die freien Enden der Proteinfäden, so die Erkenntnis der Forscher, schlängeln sich so lange im Kreis um die Chromosomen herum, bis sie die Kinetochore gefunden haben, mit denen sie sich dann verbinden.

Um dies zu untersuchen, kühlten die Wissenschaftler die Zellen der Spalthefe während der entscheidenden Phase der Zellteilung, in der die Mikrotubuli die Chromosomen zu greifen bekommen, auf zwei Grad ab. Bei dieser Temperatur zerfallen die Mikrotubuli in ihre Einzelbausteine. Anschließend erhitzten die Forscher die Zellen wieder auf Raumtemperatur, so dass sich die Proteinfäden erneut ausbildeten und langsam wieder Kontakt zu den Zentren der Chromosomen aufnahmen. Diesen Prozess dokumentierten die Biologen, indem sie die Position der grün markierten Mikrotubuli gegenüber der ebenfalls farbmarkierten Kinetochore alle zwei Sekunden fotografierten. Auf diesen Aufnahmen konnten die Wissenschaftler erkennen, dass sich die Mikrotubuli um die Kinetochore herum drehten.

Diese Erkenntnis widerspricht einem langjährigen Dogma innerhalb der Zellbiologie: So waren die Wissenschaftler bisher davon ausgegangen, dass die Mikrotubuli direkt auf die Kinetochore zuwachsen, um den Kontakt auszubilden. Dass dieses Bild so lange niemand in Frage gestellt hat, erklärt sich Iva Tolic-Nørrelykke, die Leiterin der aktuellen Studie, so: „Auf die Bewegung der Mikrotubuli hat bisher wohl noch keiner so richtig geachtet. Aus diesem Grund ist einfach jeder davon ausgegangen, dass die alte Vorstellung der Realität entspricht. Außerdem handelt es sich dabei nur um sehr geringe Bewegungen, deren Nachweis zeitlich wie räumlich hoch auflösende Mikroskopieverfahren erfordert.“

Tolic-Nørrelykke und ihre Kollegen wiesen darüber hinaus nach, dass diese Bewegung nicht von Motorproteinen gesteuert wird. Sie vermuteten, dass stattdessen die Brown’sche Molekularbewegung hierfür verantwortlich ist und erstellten dazu ein mathematisches Modell. Die Vorhersagen des theoretischen Modells stimmten mit der beobachteten Bewegung der Mikrotubuli überein: So fingen sie die Kinetochore umso schneller ein, je höher die Umgebungstemperatur war.

Die neuen Erkenntnisse könnten für die Entwicklung neuer Therapien gegen Krebserkrankungen bedeutsam sein. „Viele Krebsmedikamente hemmen die Zellteilung und verhindern, dass sich die Mikrotubuli ausbilden. Das Wissen, wie die Mikrotubuli den Kontakt zu den Chromosomen herstellen, kann dann für die Entwicklung neuer Medikamente genutzt werden“, erklärt Iva Tolic-Nørrelykke.

ME/HR

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