Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Katalytisches Vermahlen: Ein neuer Zugang für Lignocellulose-Bioraffinerien

Autoren
Meine, Niklas; Hilgert, Jakob; Kaldstrom, Mats; Rinaldi, Roberto; Schüth, Ferdi
Abteilungen
Heterogene Katalyse
Zusammenfassung
Lignocellulose ist ein attraktiver Rohstoff für die Herstellung von Kraftstoffen und Chemikalien. Allerdings ist der Abbau des komplexen Biopolymers sehr schwierig. Eine Kombination aus Säureimprägnierung und mechanischer Behandlung führt zu vollständig wasserlöslichen Produkten. Aus der Lösung kann das Lignin einfach abgetrennt werden. Die in Lösung verbleibenden Substanzen können durch katalytische Verfahren sehr selektiv zu monomeren Zuckern oder zu Zuckeralkoholen umgesetzt werden, zudem ist eine Vergärung zu Ethanol möglich. Hierdurch wird ein neuer Ansatz zur Biomassenutzung eröffnet.

Biomasse als Rohstoff

Biomasse wird zunehmend als Quelle von Kraftstoffen und Chemikalien genutzt, obwohl die CO2-Einsparung durch Biomassenutzung kontrovers diskutiert wird. Allerdings setzt man derzeit vornehmlich Früchte als Rohstoff ein, so etwa Gerste und Mais für die Produktion von Bioethanol, und Raps-, Soja-, oder Palmöl für die Herstellung von Biodiesel. Lediglich in Biogasanlagen werden teilweise auch die Strukturbestandteile der Pflanzen mitverarbeitet.

Grundsätzlich wäre es besser, einen größeren Teil der Pflanzenmasse zu nutzen, insbesondere auch die Bestandteile, die nicht auch als Nahrungs- und Futtermittel verwendet werden könnten. Diese Strukturbestandteile, etwa das Holz in Bäumen, Halme und Stängel in Gräsern und Getreide, bestehen aus Lignocellulose, einem komplexen, sehr heterogenen Biopolymer, mit von Art zu Art leicht wechselnder Zusammensetzung. Im Gegensatz zu Stärke in den Körnern von Getreiden und den Ölen in Ölfrüchten sind diese Biopolymere, Cellulose, Hemicellulose und Lignin, allerdings schwierig aufzuschließen. Der Aufschluss von Lignocellulose ist daher eine der Schlüsselaufgaben in Lignocellulose-Bioraffinerien [1].

Die Struktur von Lignocellulose

Die Ursache der Widerstandsfähigkeit von Lignocellulose liegt in ihrer Struktur. Die drei wesentlichen Bestandteile, Cellulose, Hemicellulose und Lignin, bilden ein hierarchisch strukturiertes Kompositmaterial (Schema Abb. 1).

Cellulose und Hemicellulose sind aus Zuckermolekülen aufgebaut, die miteinander zu Ketten verknüpft sind. Dabei ist die Cellulose ein relativ homogenes Material, das linear aus Zuckereinheiten mit sechs Kohlenstoffatomen (Glucose, auch als Traubenzucker bekannt) aufgebaut ist. Die Hemicellulose ist nicht so einheitlich und besteht im Wesentlichen aus Zuckern mit fünf Kohlenstoffatomen, die außerdem chemisch modifiziert und verbrückt sind. Die Struktur des Lignins unterscheidet sich von der von Cellulose und Hemicellulose sehr deutlich: Hier sind aromatische Alkohole über Ether- oder Kohlenstoffbrücken dreidimensional stark vernetzt. Es ist noch schwieriger aufzuschließen als Cellulose und Lignocellulose, die Gruppe von Roberto Rinaldi arbeitet aber bereits erfolgreich an solchen Prozessen [2]. Die hohe Widerstandsfähigkeit von Lignocellulose resultiert zum einen daraus, dass die drei Polymere ein integrales Komposit bilden, in dem einzelne Bindungen für die Spaltung nur schwierig zugänglich sind. Außerdem ist die Cellulose in Fibrillen dreidimensional zu einer Schichtstruktur über Wasserstoffbrückenbindungen gefaltet, durch die die am einfachsten angreifbare Bindung, die glykosidische Bindung zwischen zwei Zuckermolekülen, sehr gut gegen eine hydrolytische Spaltung geschützt ist. Grundsätzlich ist nämlich diese Bindung relativ leicht durch die Einwirkung von Säure zu spalten. Dies erkennt man an der einfachen Verwendbarkeit von Stärke als Energiespeichermolekül in Organismen. Auch in der Stärke sind Glucosemoleküle miteinander verknüpft, allerdings auf eine Weise, in der die Bindung zwischen einzelnen Zuckermolekülen leicht zugänglich ist. Stärke kann daher im Körper leicht aufgeschlossen werden und kann so einfach die für die Unterhaltung der Lebensprozesse notwendigen Zuckermoleküle liefern.

Durch eine sehr harsche Behandlung kann allerdings auch Lignocellulose in ihre Bausteine abgebaut werden. Dazu nutzt man z. B. Schwefelsäure bei hohen Temperaturen und Drucken. Problematisch ist allerdings, dass die Zuckermoleküle in wässriger Lösung weiterreagieren und zahlreiche Nebenprodukte bilden. Insbesondere die Humine, selbst wieder aus den Zuckern entstehende Polymere, sind sehr unerwünscht, da sie aufgrund ihrer Heterogenität nicht wieder in definierte Verbindungen aufgespalten werden können. Will man also die in der Lignocellulose enthaltenen Zucker als Rohstoffe nutzen, so sind dringend neue selektive Verfahren zur gezielten Depolymerisation erforderlich.

Die mechanokatalytische Depolymerisation von Cellulose und Lignocellulose

An dieser Stelle setzt die Entwicklung an, die im Folgenden näher beschrieben wird. Es wurde von uns entdeckt, dass eine sehr selektive Depolymerisation von Cellulose und sogar nativer Biomasse möglich ist, mit der kurze Oligomere zugänglich werden, in denen nur bis zu etwa zehn Glucosemoleküle miteinander verknüpft sind. Bei dieser Reaktion entstehen so gut wie keine Nebenprodukte [3] (Abb. 2). Dieses Verfahren ist dem früher von uns entwickelten Prozess, bei dem die Cellulose in ionischen Flüssigkeiten gelöst wurde [4-6], deutlich überlegen.

Zur Depolymerisation wird die Cellulose zunächst mit einer starken Säure imprägniert. Dazu kann etwa Schwefelsäure, gelöst in einem Lösungsmittel, eingesetzt werden, wobei das Lösungsmittel anschließend entfernt wird, so dass die Biomasse danach weitgehend trocken ist und nur einen Restwassergehalt von wenigen Prozent enthält. Dieses Wasser wird benötigt, da es Reaktionspartner bei der Hydrolyse der Cellulose ist. Alternativ kann die Cellulose auch in der Gasphase mit Chlorwasserstoffgas behandelt werden, wodurch die Entfernung des Lösungsmittels überflüssig wird. Anschließend wird die Cellulose in einer Kugelmühle für zwei Stunden vermahlen. Nach dieser Behandlung ist die polymere Struktur der Cellulose chemisch aufgebrochen, und nach Zugabe von Wasser entstehen klare Lösungen, in denen nur noch sehr kurze Zuckerketten vorliegen, die einfach weiter verarbeitet werden können (Abb. 3 links).

Durch eine Reihe analytischer Techniken wurden diese Oligomere näher charakterisiert. Das Maximum der Kettenlänge liegt bei etwa fünf Glucoseeinheiten, die Art der Verknüpfung der Zuckermoleküle ist vielfältiger als es in der Cellulose der Fall ist. Dies zeigt, dass die Oligomere nicht direkt erhalten werden, sondern dass eine Reihe von Abbau- und Aufbaureaktionen gleichzeitig abläuft. Dieser Schluss wird durch den Befund unterstützt, dass auch das mechanokatalytischer Vermahlen von Einfachzuckern ähnliche Oligomerenmischungen ergibt, was für die Synthese von kostengünstigen Tensiden interessant sein könnte.

Das Verfahren kann nicht nur für die Depolymerisation von reiner Cellulose eingesetzt werden, sondern sogar native Biomasse lässt sich damit aufschließen. Somit wird auch die Struktur des Lignins so weit verändert, dass es löslich wird. Aufgrund der Komplexität dieses Biopolymers ist die Struktur des Reaktionsproduktes allerdings noch nicht aufgeklärt. In jedem Fall entstehen durch Säurebehandlung und anschließendes Vermahlen auch aus Buchenholz und Zuckerrohrbagasse (das Lignocellulose-haltige Abfallprodukt der Zuckerherstellung aus Zuckerrohr) vollständig wasserlösliche Produkte. Die Lösung ist allerdings braun gefärbt und schäumt, vermutlich aufgrund der aus dem Lignin entstehenden Produkte (Abb. 3 rechts).

Weiterverarbeitung der wässrigen Oligomerenlösungen

Die Lösung der Glucoseoligomere (wenn native Biomasse depolymerisiert wird, liegt eine Mischung aus Glucose und Pentoseoligomeren vor) kann auf verschiedene Weise weiterverarbeitet werden, wodurch interessante Produkte zugänglich werden. Da durch das Vermahlen die im Rohmaterial vorhandene Säure nicht zerstört wird, ist sie auch in der wässrigen Lösung noch enthalten. Damit kann sie als Katalysator für weitere Reaktionen verwendet werden, im einfachsten Fall für die weitere Spaltung der Zuckeroligomeren in die Glucoseeinheiten. Hierzu wird die wässrige Lösung lediglich kurz auf Temperaturen von etwa 120-130 °C aufgeheizt, wodurch die Einfachzucker entstehen [3]. Nebenprodukte wie 5-Hydroxymethylfurfural oder Furfural werden in Mengen von unter 5 % gebildet, ein großer Fortschritt im Vergleich zu alternativen Verfahren. Nach Neutralisation der Lösung können Hefen eingesetzt werden, um aus den Zuckerlösungen Ethanol zu erzeugen. Bioethanol wird damit über einen Weg zugänglich, der nicht auf die Früchte von Pflanzen angewiesen ist, sondern von Strukturbestandteilen ausgeht.

Unter hydrierenden Bedingungen bei erhöhten Wasserstoffdrucken lassen sich in Anwesenheit von Rutheniumkatalysatoren aus den Zuckeroligomeren mit fast vollständiger Ausbeute die entsprechenden Zuckeralkohole herstellen [7]. Diese sind interessante Zwischenprodukte, die etwa in der Lebensmittelindustrie vielfältig eingesetzt werden. Die Herstellung weiterer Produkte wird derzeit in einer Reihe von Projekten untersucht, für die selektive Synthese von 5-Hydroxymethylfurfural liegen bereits vielversprechende Ergebnisse vor.

Weiteres Entwicklungspotenzial

Neben der eben erwähnten Synthese weiterer Produkte aus den Oligomerenlösungen gibt es zwei wesentlichen Richtungen, in die dieses Projekt weiter vorangetrieben wird. Zum einen ist es erforderlich, die Aufskalierung auf andere Mühlentypen zu untersuchen. Im Labor werden die Experimente in sogenannten Planetenkugelmühlen durchgeführt. Dieser Mühlentyp eignet sich allerdings nicht für die Vermahlung auf industriellem Maßstab, so dass der Prozess auf großtechnisch nutzbare Mühlen übertragen werden muss. Dies ist aufgrund der anderen Energiezufuhr nicht einfach. Sollte die Skalierung auf die großtechnische Ebene gelingen, hat dieses Verfahren einen weiteren positiven Nebeneffekt: Derartige Mühlen werden immer elektrisch betrieben. In einem Energiesystem, in dem zunehmende Mengen elektrischer Energie intermittierend aus Wind und Sonne eingespeist werden, könnten Mühlen als Großverbraucher einen erheblichen glättenden Effekt haben, denn man würde diese nur betreiben, wenn genügend günstige elektrische Energie verfügbar wäre.

Weitere zukünftige Aktivitäten richten sich auf das bessere Verständnis des Prozesses: Es ist derzeit unklar, warum die mechanokatalytische Reaktion soviel bessere Ergebnisse liefert als die sauer katalytische Umsetzung oder das reine Vermahlung jeweils allein. Hier sind tiefere Einblicke auf molekularer Ebene erforderlich, die möglicherweise Bedeutung weit über den untersuchten Prozess hinaus haben könnten.

Literaturhinweise

Rinaldi, R.; Schüth, F.
Hydrolysis of cellulose as the entry point into biorefinery schemes
ChemSusChem 2, 1096-1107 (2009)
Wang, X.; Rinaldi, R.
Solvent effects on the hydrogenolysis of diphenyl ether with Raney nickel and their implications for the conversion of lignin
ChemSusChem 5, 1455-1466 (2012)
Meine, N.; Rinaldi, R.; Schüth, F.
Solvent-free catalytic depolymerization of cellulose to water-soluble oligosaccharides
ChemSusChem 5, 1449-1454 (2012)
Rinaldi, R.; Palkovits, R.; Schüth, F.
Depolymerization of cellulose by solid catalysts in ionic liquids
Angewandte Chemie International Edition 47, 8047-8050 (2008)
Rinaldi, R.; Meine, N.; vom Stein, J.; Palkovits, R.; Schüth, F.
Which controls the depolymerization of cellulose in ionic liquids: the solid acid catalyst or cellulose?
ChemSusChem 3, 266-276 (2010)
Rinaldi, R.; Engel, P.; Büchs, J.; Spiess, A. C.; Schüth, F.
An integrated catalytic approach to the complete hydrolysis of cellulose to fermentable sugars
ChemSusChem 3, 1151-1153 (2010)
Hilgert, J.; Meine, N.; Rinaldi, R.; Schüth, F.
Mechanocatalytic depolymerization of cellulose combined with hydrogenolysis as a highly efficient pathway to sugar alcohols
Energy & Environmental Science 6, 92-96 (2013)
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