Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Kernphysik
Warum leuchtet Eisen nicht wie es soll?
Experimentelle Mehrteilchen-Quantendynamik
Theoretische Quantendynamik und Quantenelektrodynamik
In der Astronomie trieb die Entdeckung von Röntgenstrahlung aus der Sonne Wissenschaftler an, das All wortwörtlich in einem neuen Licht zu betrachten. Zuerst wurden Ballone und Raketen eingesetzt, später dann moderne Röntgenteleskope, die die Erde umkreisen. Zuerst wurde im Jahr 1990 ROSAT (Röntgen-Satellit) in eine Erdumlaufbahn gesetzt und seit mehr als zehn Jahren sind nun die europäische X-Ray-Multi-Mirror-Mission (XMM-Newton) und das NASA-Observatorium Chandra die schärfsten Röntgenaugen der Astrophysiker [1].
Röntgenstrahlung aus galaktischen Kernen
Im Universum existiert eine unvorstellbare Anzahl von Röntgenquellen. Die stärksten darunter sind die zum Teil noch unverstandenen aktiven galaktischen Kerne, kleine Objekte, die jedoch so viel Energie in Form von Röntgenstrahlung aussenden wie alle Sterne einer ganzen Galaxie zusammen. In der Regel besteht ihr kompakter Kern aus einem enorm massereichen Neutronenstern oder Schwarzen Loch. Dieses Objekt saugt Materie aus der Umgebung an, meist von einem größeren, weniger dichten Begleiter. Mit vielen tausend Kilometern pro Sekunde strömt nun die Materie zum kompakten Objekt und bildet dabei eine sogenannte Akkretionsscheibe. Der Fall der Gasmassen im Gravitationspotential setzt ständig Energie frei: Es stellen sich Temperaturen von Millionen Grad ein und die Gase leuchten im Röntgenbereich. Die Strahlung durchdringt die umgebende Materie und wird noch in Entfernungen von Milliarden Lichtjahren mit Röntgenteleskopen detektiert. Neuere Ergebnisse zeigen, dass diese Röntgenstrahlung die allgemeine Entwicklung von Galaxien entscheidend prägt. Ob der galaktische Kern mehr oder weniger aktiv ist, bestimmt unter anderem wie viele neue Sterne in dieser Galaxie gebildet werden.
Warum ist die Sonne für Röntgenstrahlung nicht durchsichtig?
Tief im Inneren der Sonne, wo Kernfusion stattfindet, herrschen Temperaturen von mehr als zehn Millionen Grad, und alles glüht im Röntgenlicht. Trotz ihrer Größe wäre die Sonne für die Röntgenstrahlung im Wesentlichen durchsichtig, denn die leichten Elemente, aus denen sie besteht, sind vollständig ionisiert. Wäre die Sonne aber im Röntgenbereich tatsächlich durchsichtig, würde die im Stern freigesetzte Energie ungehindert ins All abgestrahlt und der Fusionsprozess würde nicht aufrechterhalten. So verbrauchten Sterne ihren gesamten Brennstoff in kürzester Zeit – etwa zehn Millionen Jahre – und vergingen letztendlich in einer Supernova-Explosion. Warum aber ist der Sonne und vielen anderen Sternen ein tausendmal längeres Leben beschieden?
Durch die in ihrem Inneren ablaufenden Fusionsprozesse erzeugen Sterne schwere Elemente aus leichteren. Wird ein Stern zur Supernova, dann gelangen diese ins interstellare Medium und werden zum Bestandteil neuer Sterne, die ihrerseits leichte Elemente zu schweren fusionieren. Das schwerste so erzeugbare Element ist Eisen, das, bedingt durch die Eigenschaften seines Kerns, im Vergleich mit den anderen schweren Elementen in großen Mengen angereichert wird. Wie alle schweren Elemente absorbiert Eisen Röntgenstrahlung mit sehr hoher Effizienz. Eine kleine Beimischung Eisen macht das Innere der Sonne fast gänzlich undurchsichtig für Röntgenstrahlung. Über mehrere Millionen Jahre hinweg wird die Strahlung immer wieder absorbiert und emittiert. Dies bremst die Photonen, die ansonsten in zwei Sekunden unser Zentralgestirn verlassen hätten, und die Wärme bleibt im Kern, wo die Fusion aufrechterhalten wird. Nur ein Bruchteil der im heißen Sonnenkern gespeicherten Energie kommt bis zur Sonnenoberfläche. Dies ist nichtsdestotrotz für das Leben auf der Erde ausreichend. Und das verlängerte Brennen der Sonne erlaubte es, dass sich das Sonnensystem bilden und ordnen konnte, und dass sich die Planeten in chemischer, geologischer und, wie im Fall der Erde, letztendlich biologischer Hinsicht entwickeln konnten.
Eisen ist also ein überaus wichtiges Element. Und wie bei sichtbarem Licht, so findet man auch in der Röntgenstrahlung Spektrallinien für jedes Element und Ion. Nur wenn ein Ion keine Elektronen mehr hat, dann gibt es auch keine spektralen Linien. Eisen behält aber sogar in den heißesten Umgebungen immer einige Elektronen. Die 26-fach positive Kernladung verleiht ihm diese Beständigkeit, welche die leichteren und weitaus häufigeren Elemente nicht aufweisen. Und die spektralen Linien spielen eine entscheidende Rolle. Ein einzelnes Ion kann über sie sehr viel Photonenenergie absorbieren und emittieren. Grund dafür ist, dass die Prozesse mit Röntgenphotonen tausendfach schneller ablaufen als die mit sichtbarem Licht und gleichzeitig jedes Photon eine weitaus höhere Energie mit sich führt.
Überall ist Eisen
Einige wenige Eisenionen steuern also den Energiefluss im Inneren der Sterne. Durch ihre Spektrallinien tun sie auch kund, welche Temperaturen und Dichten in kosmischen Plasmen herrschen. Leider kann die Theorie bisher die bestimmenden Größen der Linien nur ungenau vorhersagen. Wellenlängen werden selten besser als auf 1% genau gerechnet und bei den Absorptions- und Emissionswahrscheinlichkeiten sind die Fehler noch viel größer. In einem heißen Plasma finden zu viele Prozesse gleichzeitig statt. Atome, Ionen und Elektronen stoßen aneinander, Strahlung wird absorbiert und emittiert. Die einzelnen Vorgänge sind von außen experimentell nur schwer zu trennen, und eine Überprüfung der Theorie, die jeweils nur einen Aspekt vorhersagen kann, wird dadurch erschwert. Dass hochgeladene Ionen weltweit nur in sehr wenigen Laboratorien stationär erzeugt und beobachtet werden können, führte dazu, dass astrophysikalische Computer-Modelle bisher nur sehr eingeschränkt überprüft wurden. Ihre Vorhersagen widersprachen beharrlich den Beobachtungen sowohl aus dem All als auch aus irdischen Plasmen, wie zum Beispiel experimentellen Fusionsreaktoren.
Ein vierzig Jahre altes Rätsel
Nicht einmal sehr starke Linien des sechzehnfach ionisierten Eisenions Fe16+ wurden korrekt vorhergesagt. Die Deutung dieser Diskrepanz hat Physiker fast vierzig Jahre lang beschäftigt. Experimentatoren und beobachtende Astrophysiker beharrten auf den Ergebnissen ihrer Messungen und Theoretiker waren sich uneins über die Ursachen. Für die einen waren falsche Berechnungen von Stoßprozessen an allem schuld. Andere meinten, die elektronische Struktur der Ionen sei unzureichend genau berechnet. Es war daher notwendig, ein gezieltes Experiment zur Klärung der offenen Fragen durchzuführen.
Ab dem Jahr 2001 wurde in der Abteilung „Experimentelle Mehrteilchen-Quantendynamik“ am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg intensiv darüber nachgedacht, wie man die damals noch in Entwicklung befindlichen Freie-Elektronen-Laser (FELs) in der Atomphysik einsetzen könnte. Auf der Basis einer sogenannten Elektronenstrahlionenfalle (electron beam ion trap, EBIT, Abb. 1) ersann und entwickelte man eine Anordnung, in der hochgeladene Ionen von einem Röntgenlaser beschossen werden können. Als Ergebnis entstand die FLASH-EBIT, so genannt da sie erstmals am Free-electron LASer in Hamburg (FLASH) eingesetzt werden sollte. Im Jahr 2006 gelang es zum ersten Mal, Laserspektroskopie im weichen Röntgenbereich mit einer Photonenenergie von 50 Elektronenvolt durchzuführen [2, 3]. Später gelang es, mittels Synchrotronstrahlung und FLASH-EBIT höhere Ionisationszustände aus niedrigeren zu erzeugen [4], und damit zum ersten Mal die Opazität, also die „Undurchlässigkeit“ für Röntgenstrahlung, detailliert zu messen.
Experiment in Kalifornien
Mit der Inbetriebnahme der Linac Coherent Light Source (LCLS) am Beschleunigerlabor SLAC (Stanford Linear Accelerator Center) in Kalifornien [5] im Jahr 2010 boten sich neue Möglichkeiten. Der kilometerlange Röntgenlaser erreicht Photonenenergien und Intensitäten, die sich für die Untersuchung von Fe16+ eignen. Bei einer Energie von 800 Elektronenvolt können die Laserblitze die Elektronen des Ions so anregen, wie es in der Umgebung eines Schwarzen Lochs oder in einer heißen Sonneneruption der Fall ist. Im Jahr 2012 wurde also in Heidelberg die Apparatur verpackt und in Begleitung von zehn Physikern nach Amerika geflogen; Abbildung 2 zeigt den Aufbau bei LCLS. Tatkräftige Hilfe kam von amerikanischen Kollegen aus der Arbeitsgruppe am Lawrence Livermore National Laboratory, in der die EBIT erfunden worden war. Weitere Kollegen der Universitäten Erlangen und Gießen, von der NASA und von SLAC waren ebenfalls an dem Vorhaben beteiligt. Nach wochenlangen Vorbereitungen gelang es rasch, die gewünschten Ionen zu präparieren und der Anregung durch den Röntgenlaser auszusetzen. Das gemessene Signal konnte einzig und allein auf eine Anregung durch Photonen zurückgeführt werden.
Nach dem erfolgreichen Experiment und der anschließenden Datenanalyse stand fest, dass keine der gängigen Theorien das Ergebnis erklären konnte [6]. Aber es war zu erkennen, woran das lag. Die berechneten Übergangswahrscheinlichkeiten waren es alleine, die die Abweichung zwischen Theorie und Experiment verursachten, und nicht die Berechnung der Stoßprozesse. Da nur Photonen an der Anregung beteiligt waren, hatte das Experiment erstmals genau diesen Teil der Physik sauber herauspräpariert. Gleichzeitig versuchten Heidelberger Theoretiker die Quelle der Abweichungen in den Berechnungen der Linienintensitäten zu klären. Es zeigte sich, dass unabhängig vom betriebenen Rechenaufwand die Ergebnisse nicht denen des Experiments entsprachen. Bis zur Klärung der Ursachen müssen die Unsicherheiten in der Theorie immer im Blick behalten werden, wenn es darum geht, aus spektroskopischen Beobachtungen Informationen über astrophysikalische Plasmen zu gewinnen. Währenddessen helfen die Messungen mit der FLASH-EBIT, die Plasmen besser zu verstehen und auf mögliche Schwachstellen der Theorie hinzuweisen. In Zukunft können andere Ionensorten mit Photonen noch höherer Energie untersucht werden und zur Aufklärung fundamentaler Aspekte der Quantenelektrodynamik stark gebundener Elektronen beitragen.