Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen

Einblicke in die mRNA-abbauende Maschinerie der Zelle

Autoren
Sprangers, Remco
Abteilungen
Max-Planck-Forschergruppe NMR-Spektroskopie großer Komplexe
Zusammenfassung
Jede Zelle enthält Tausende unterschiedlicher Proteine, von denen jedes eine bestimmte Aufgabe erfüllt. Um sicherzustellen, dass zu jedem Zeitpunkt die richtige Menge eines jeden Proteins produziert wird, reguliert eine Zelle die Expression ihrer Gene sehr genau. Die genetische Information wird dabei über Boten-RNA (mRNA) an den Ort der Proteinherstellung übermittelt. Die Arbeitsgruppe untersucht diejenige Maschinerie, die die mRNA-Moleküle wieder abbaut - denn sie bietet der Zelle Ansatzpunkte, um die Produktion von Proteinen, die sie nicht länger benötigt, zu beenden.

Der Lebenszyklus einer mRNA

Die DNA im Zellkern enthält die genetische Information für alle Proteine, die ein Organismus herstellen kann. Um ein bestimmtes Protein zu produzieren, muss der entsprechende DNA-Abschnitt zunächst in Boten-RNA (mRNA) umgeschrieben werden. Dieses mRNA Molekül wird anschließend durch das Anhängen einer speziellen Schutzkappe (Cap-Struktur) und eines langen Adenin-Fortsatzes vor dem Abbau geschützt. Die so modifizierte mRNA wird vom Zellkern in das Zytoplasma transportiert. Dort liest ein Ribosom die in der mRNA gespeicherte Information ab und stellt das entsprechende Protein her. Die mRNA kann so lange zur Herstellung von Proteinen benutzt werden, wie sie sich im Zytoplasma befindet. Sobald die Zelle aber das betreffende Protein in ausreichender Menge hergestellt hat, muss die dazugehörige mRNA wieder abgebaut werden. Hierzu besitzt die Zelle eine komplexe mRNA-abbauende Maschinerie [1, 2].

Molekulare Maschinen

Zelluläre Funktionen wie der Abbau von mRNA werden von Enzymen erledigt - speziellen Proteinen also, die chemische Bindungen in sehr spezifischer Weise knüpfen oder auflösen können. Die Aktivität dieser Enzyme muss äußerst genau geregelt werden. Denn in der Tat wäre es von Nachteil, wenn etwa eine mRNA schon zu einem Zeitpunkt abgebaut würde, zu dem sie noch benötigt wird. Um die katalytische Aktivität der Enzyme zu regulieren, gibt es sogenannte Adaptorproteine, die sich an sie anheften. Manche dieser Proteine verstärken die katalytische Aktivität, andere verringern oder blockieren sie ganz. Die mRNA-abbauende Maschinerie umfasst Enzyme, die die schützende Cap-Struktur entfernen, und andere, die Nukleotide von der eigentlichen mRNA abspalten. Außerdem sind bereits etliche Proteine identifiziert worden, die die Aktivität dieser Enzyme verändern, sowie weitere Proteine, die die Enzyme zum mRNA-Substrat hin dirigieren. Enzyme und Adaptor-Proteine zusammen bilden die mRNA-abbauende Maschinerie.

Wenn man wissen möchte, wie eine Maschine – beispielsweise ein Auto – funktioniert, muss man zunächst wissen, aus welchen Teilen sie besteht. Bei einem Auto sind dies neben vielen anderen Teilen die Räder, die Bremse und der Motor. In einem zweiten Schritt muss man dann herausfinden, wie diese Teile aussehen; die Räder etwa sind rund. Außerdem ist es wichtig zu erfahren, wie die Teile interagieren; in unserem Beispiel sind die Räder mit dem Motor verbunden. Zuletzt muss man wissen, wie die einzelnen Teile der Maschine sich bewegen; erst dies erlaubt den Schluss, dass die Bewegung des Motors auf die Räder übertragen wird.

Bei molekularen Maschinen benötigt man prinzipiell dieselben Informationen: Wir müssen herausfinden, welche Proteine an einem Vorgang beteiligt sind, wie diese Proteine gefaltet sind, wie sie interagieren und wie sie während des katalytischen Prozesses ihre Form verändern. Im Falle der mRNA-abbauenden Maschinerie kennt man zwar die beteiligten Proteine, ihre dreidimensionale Struktur ist jedoch nicht in allen Fällen bekannt. Noch weniger weiß man darüber, wie die Protein-Komplexe miteinander interagieren, und bedauerlicherweise gibt es fast gar keine Information darüber, wie die am Abbau von mRNAs beteiligten Proteine während der Katalyse ihre Form verändern. Um diese letzten drei Aspekte zu erforschen, hat die Arbeitsgruppe viele unterschiedliche Methoden angewandt, unter anderem die Röntgenkristallographie, Interaktionsstudien, biochemische Methoden und – am intensivsten – die Technik der sogenannten NMR-Spektroskopie.

NMR-Spektroskopie

Die NMR-Spektroskopie ist eine biophysikalische Methode, mit der in Lösung befindliche Proteine unter nahezu natürlichen Bedingungen, wie sie in lebenden Zellen herrschen, untersucht werden können. In Tübingen stehen den Forschern zwei erst kürzlich installierte NMR-Spektrometer zur Verfügung (Abb. 1). Kurz gesagt werden bei der NMR-Spektroskopie Proteinproben, die im Labor speziell vorbereitet wurden, in ein sehr starkes magnetisches Feld gebracht. Dadurch kann bestimmt werden, wie sich individuelle Atome in dem Proteinkomplex verhalten. Aus diesen Daten lässt sich ableiten, welche Struktur die Proteine haben, wie sie interagieren und wie sie sich bewegen – also genau die Informationen, die man benötigt, um molekulare Maschinen zu untersuchen.

NMR-Untersuchungen sind jedoch umso komplizierter, je größer die Proteinkomplexe werden. Da die meisten molekularen Maschinen aus vielen verschiedenen Proteinen mit tausenden von Atomen bestehen, können sie nur mithilfe spezieller Techniken im NMR-Spektrometer untersucht werden. Diese Methoden, die als methyl-TROSY-Spektroskopie [3] bezeichnet werden, sind in den letzten Jahren entwickelt worden und werden in Tübingen regelmäßig eingesetzt. Sie ermöglichen es, nicht nur kleine Teile von Enzymen, sondern auch sehr große molekulare Maschinen zu untersuchen (Abb. 2) [4].

Proteinbewegungen

Die NMR-Spektroskopie ist die einzige Methode, mit deren Hilfe die Formveränderungen von Proteinen in Lösung mit atomarer Auflösung untersucht werden können. Bis heute ist daher erst an sehr wenigen Beispielen erforscht worden, welche Rolle die Bewegung von Proteinen für deren Funktion spielt [5]. Um im obigen Bild zu bleiben: Die meisten von uns haben eine genaue Vorstellung davon, wie ein Auto aussieht – aber wir haben keine Vorstellung, wie es das Auto schafft, zu fahren. Bezogen auf die Situation bei den Proteinkomplexen ist unser Wissensstand sogar noch geringer: Wir wissen noch nicht einmal, dass das Auto eine Maschine ist, die fahren kann, also analog: Bei vielen Proteinkomplexen wissen wir nicht, welche Teile überhaupt beweglich sind. Ein Hauptinteresse der Arbeitsgruppe „NMR-Spektroskopie großer Komplexe“ in Tübingen ist es daher, herauszufinden, ob Proteine beweglich sind und wenn ja, welche Teile der Proteine ihre Form mit der Zeit verändern [6]. In vielen Fällen ist der Ausgangspunkt für solche Studien die Ermittlung der hochauflösenden Struktur des statischen Proteins. Diese wird üblicherweise mithilfe der Röntgenkristallographie bestimmt, einer Technik, die zwar sehr genau beschreiben kann, wie ein Proteinkomplex aussieht, jedoch keine direkten Aussagen über Proteinbewegungen erlaubt. In einigen Fällen konnten neue NMR-Methoden tatsächlich zeigen, dass dieses statische Bild nicht die ganze Wahrheit über die Proteinkomplexe widerspiegelt. Allmählich tritt zutage, wie sehr die Arbeit von Proteinen von ihrer Beweglichkeit abhängt.

Das Puzzle zusammensetzen

Nachdem nun einiges über die Struktur und die Bewegung vieler Einzelteile der mRNA-abbauenden Maschinerie bekannt ist, ist es an der Zeit, die Teile dieses Puzzles zusammenzusetzen. Hierfür haben die Forscher zunächst zwei Proteine zusammengefügt. Das gibt Aufschluss darüber, wie ein Protein die Struktur und die Bewegungen des anderen beeinflusst und wie sich Proteinkomplexe in der Zelle zusammenlagern (Abb. 3) [7]. Diese Untersuchungen sind besonders dann interessant, wenn eines der beiden Proteine ein Enzym ist, das seine Konformation in dem Moment ändert, wenn eine chemische Bindung in der mRNA gelöst wird. Falls die Bewegungen direkt mit der Funktion gekoppelt sind, lässt sich untersuchen, ob und wie Veränderungen der Beweglichkeit die Aktivität eines Enzyms beeinflussen [8]. In unserem Auto-Vergleich würden derartige Experimente zeigen, dass Bremsen die Bewegung der Autoräder verlangsamen und dadurch das Auto stoppen können. Derartige Beziehungen zwischen Proteinbewegungen und der Aktivität der mRNA-abbauenden Maschinerie konnten tatsächlich nachgewiesen werden [8].

Neueste Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass Enzymkomplexe, die aufgrund röntgenkristallographischer Untersuchungen für mehr oder weniger statisch gehalten wurden, in Lösung durchaus mobil sind (Abb. 4). Diese Daten zeigen, dass viele Facetten der Proteinbewegung noch immer ihrer Entdeckung harren. Künftige Untersuchungen werden unserem Bild von der mRNA-abbauenden Maschinerie immer neue Details hinzufügen. Letztlich wird man verstehen, wie die Zusammenarbeit verschiedener Proteine es der Zelle ermöglicht, die Menge ihrer mRNA genau zu regulieren und so die richtige Proteinmenge zur richtigen Zeit herzustellen.

Anwendungsmöglichkeiten der Forschung

Für alle Zellen in allen Organismen ist es entscheidend, den Abbau von mRNAs genau regulieren zu können. Eine dysfunktionale mRNA-abbauende Maschinerie ist für jeden Organismus letal. Zusätzlich zum normalen mRNA-Abbau besitzen eukaryotische Zellen einen speziellen Mechanismus, der dysfunktionale mRNA-Moleküle erkennt, denn solche mRNA-Moleküle können gefährlich sein, da sie fehlerhafte Proteine kodieren. Es ist daher entscheidend, derartige mRNAs schnell und effizient zu beseitigen. Bei manchen genetischen Erkrankungen kann es jedoch wiederum besser sein, leicht verkürzte mRNAs zu stabilisieren, auch wenn diese zu weniger aktiven Proteinen führen, denn beim kompletten Abbau dieser mRNAs gäbe es überhaupt kein Protein. In solchen Fällen könnte die pharmakologische Manipulation der mRNA-abbauenden Maschinerie möglicherweise eine therapeutische Anwendung finden. Um ein solches Ziel aber erreichen zu können, ist ein detailliertes Verständnis der mRNA-abbauenden Maschinerie unerlässlich.

Literaturhinweise

Schoenberg, D. R.; Maquat, L. E.
Regulation of cytoplasmic mRNA decay
Nature Review Genetics 13, 246-259 (2012)
Parker, R.; Song, H.
The enzymes and control of eukaryotic mRNA turnover
Nature Structural and Molecular Biology 11, 121-127 (2004)
Tugarinov, V.; Hwang, P. M.; Ollerenshaw, J. E.; Kay, L. E.
1H-13C NMR spectroscopy of methyl groups in very high molecular weight proteins and protein complexes
Journal of the American Chemical Society 125, 10420-10428 (2003)
Sprangers, R.; Kay, L. E.
Quantitative dynamics and binding studies of the 20S proteasome by NMR
Nature 445, 618-622 (2007)
Sprangers, R.; Gribun, A.; Hwang, P. M.; Houry, W. A.; Kay, L. E.
Quantitative NMR spectroscopy of supramolecular complexes: dynamic side pores in ClpP are important for product release
Proceedings of the National Academy of Sciences USA 102, 16678-16683 (2005)
Sprangers, R.; Velyvis, A.; Kay, L. E.
Solution NMR of supramolecular complexes: providing new insights into function
Nature Methods 4, 697-703 (2007)
Mund, M.; Neu, A.; Ullmann, J.; Neu, U.; Sprangers, R.
Structure of the LSm657 complex: an assembly intermediate of the LSm1-7 and LSm2-8 rings
Journal of Molcular Biology 414, 165-176 (2011)
Fromm, S. A.; Truffault, V.; Kamenz, J.; Braun, J. E.; Hoffmann, N. A.; Izaurralde, E.; Sprangers, R.
The structural basis of Edc3- and Scd6-mediated activation of the Dcp1:Dcp2 mRNA decapping complex
EMBO Journal 31, 279-90 (2011)
Lorentzen, E.; Walter, P.; Fribourg, S.; Evguenieva-Hackenberg, E.; Klug, G.; Conti, E.
The archaeal exosome core is a hexameric ring structure with three catalytic subunits
Nature Structural and Molecular Biology 12, 575-815 (2005)

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