Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Radioastronomie

Die Wiege der Sonne

Autoren
Pfalzner, Susanne
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn
Zusammenfassung
Die Sonne entstand vor 4,6 Milliarden Jahren und befindet sich heute in einem Gebiet niedriger Sternendichte. Susanne Pfalzner und das Team ihrer Minerva-Gruppe untersuchen, ob die Sonne in einer solch dünn besiedelten Region entstand oder ihr Geburtsort ganz anders aussah. Sie finden eine Vielzahl von Hinweisen, dass gleichzeitig mit unserer Sonne viele andere Sterne in ihrer Nähe entstanden sind und dies entscheidend unser Planetensystem geprägt hat. Die Verbindung von Theorie und Beobachtung erlaubt es erstaunlich genau den Geburtsort der Sonne zu charakterisieren.

Einleitung

Unsere Sonne entstand vor etwa 4,6 Milliarden Jahren und befindet sich heute in einem Gebiet niedriger Sternendichte. Susanne Pfalzner und ihre Mitarbeiter untersuchen am Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn, ob die Sonne auch in einem ähnlichen dünn besiedelten Gebiet entstand, oder ob der Geburtsort der Sonne vielleicht ganz anders aussah [1,2]. Wie alle Sterne, so bildete sich auch unsere Sonne aus einer kollabierenden Wolke aus Gas und Staub (Abb. 1). Unter Wirkung ihrer eigenen Schwerkraft verdichteten sich Bereiche dieser Wolke immer mehr und es entstand die Sonne, die zu diesem Zeitpunkt noch von einer aus Gas- und Staubteilchen bestehenden Scheibe umgeben war. Aus dieser Scheibe entwickelte sich dann unser Planetensystem.

Indizien aus der Frühzeit der Sonne

Hinweise auf die Umgebung der Sonne vor 4,6 Milliarden Jahren muss man aus ganz unterschiedlichen Forschungsgebieten zusammentragen. Zunächst liefert die Massenverteilung unseres Sonnensystems ein Indiz zu ihrer Frühgeschichte. Von Jupiter, Saturn, Uranus hin zu Neptun wird die Masse immer geringer, wie man es auch erwartet für Planeten, die aus einer Scheibe entstanden sind, deren Dichte nach außen stetig abnimmt. Unerwartet ist jedoch der drastischen Abfall in der Massenverteilung außerhalb Neptuns. Beobachtete Scheiben um junge Sterne weisen keinen „Rand“ auf und sind in der Regel größer. Der wahrscheinlichste Prozess für dieses „Abschneiden“ der Scheibe ist der nahe Vorbeiflug eines anderen Sterns. Dabei wird die Scheibe stark gestört (Abb. 2) und das Resultat ist eine deutlich kleinere Scheibe mit einem ausgeprägten äußeren Rand [3,4].

Ein weiterer Hinweis gab 2003 die Entdeckung des Kleinplaneten Sedna, der sich auf einer stark elliptischen Bahn bewegt. Auch für diese starke Abweichung von der Kreisbahn ist der Vorbeiflug eines anderen Sterns die wahrscheinlichste Ursache. Rechnungen ergeben, dass der Vorbeiflug 200 bis 2000 mal näher gewesen sein muss als der Abstand zu Proxima Centauri, dem heutigen nächsten Nachbarn der Sonne. Dieser Vorbeiflug ereignete sich, als unsere Sonne jünger als 30 Millionen Jahre war [5,6].

Aus der Meteoritenforschung erhält man ein weiteres Indiz zum Ursprung der Sonne: Spezielle Meteoriten, die Chondriten, sind gleichzeitig mit der Sonne entstanden und deren Zusammensetzung ist repräsentativ für die des frühen Sonnensystems. In ihnen findet man die Zerfallsprodukte der radioaktiven Kerne 26Aluminium und 60Eisen. Beide Isotope können in den nachgewiesenen Mengen nur durch die Supernovaexplosion eines Sterns entstanden sein, der etwa 25 mal die Masse der Sonne hatte. Die junge Sonne hielt sich zum Zeitpunkt der Explosion nur etwa ein Lichtjahr von der Supernova entfernt auf.

Eigenschaften des Geburtsclusters der Sonne

Wie kann es sein, dass die Sonne sich so nahe an einer Supernova befand als diese explodierte? Sterne entstehen in der Regel nicht alleine, sondern in Gruppen von Sternen, sogenannten Sternhaufen oder Clustern, die nur einige Dutzend, aber auch viele Tausend Sterne enthalten können [7]. Dort entstehen bevorzugt Sterne, die wie unsere Sonne eine geringe Masse haben, und nur relativ wenige schwere Sterne. Ein Cluster muss mindestens zweitausend Sterne enthalten, um mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Stern mit einer Masse von 25 Sonnenmassen zu enthalten. Da die Sonne in ihrer Frühzeit in der unmittelbaren Nähe eines solchen Sterns war, muss sie in einem Sternhaufen entstanden sein, der aus mindestens einigen Tausend Sternen bestand.

Es gibt aber auch eine Obergrenze für die Anzahl der Sterne im Geburtscluster der Sonne. Wenn ein Sternhaufen mehr als 100.000 Sterne enthält, dann ist das Strahlungsfeld so stark, dass sämtliche Sterne ihre protoplanetaren Scheiben verlieren. Das Geburtscluster der Sonne muss also zwischen 1.000 und 100.000 Sterne besessen haben, solche Cluster haben Massen, die 2.000–50.000 mal der Masse unserer Sonne entsprechen [8].

Da die Sterne im Zentrum eines Clusters wesentlich geringere Abstände zueinander haben als in den Außenbezirken, sind im Zentrum enge Vorbeiflüge am häufigsten. Hier halten sich auch bevorzugt die massereichen Sterne auf. Da die Supernova aus einem solchen massereichen Stern entstand und die Sonne sich nahe dieser Supernova aufhielt, muss auch die Sonne in ihren Frühphasen in der Nähe des Clusterzentrums gewesen sein. Aus der Entfernung beim Vorbeiflug kann man berechnen, dass zum Zeitpunkt der Entstehung der Sonne es 10.000–100.000 mal so viele Sterne in ihrer Nähe gab wie heute [5,6]. Diese Dichte bezieht sich auf das Sternhaufenzentrum. Die mittlere Gesamtdichte des Clusters war niedriger, der typische Wert war 10–1.000 Sterne pro Kubikparsec (1 Parsec = 3,26 Lichtjahre).

Junge Sternencluster – heute und damals

Auch heute noch gibt es Sternhaufen, in denen gerade Sterne entstehen. Susanne Pfalzner fand heraus, dass es nur zwei Typen massereicher Sternhaufen gibt [9]. Beide haben anfänglich etwa die gleiche Masse, nur sind in einem die Sterne viel dichter gepackt, da er einen etwa 10 mal kleineren Durchmesser hat. Diese kompakten Sternhaufen bezeichnet man als Starburst-Cluster, da hier viele Sterne in kurzer Zeit auf relativ kleinem Raum entstanden. Sternhaufen der anderen Gruppe werden OB-Assoziation oder auch „Leaky Cluster“ genannt, weil sie mit zunehmendem Alter Sterne verlieren. Die Entdeckung, dass es massereiche Cluster wie das Geburtscluster der Sonne offenbar nur in zwei Varianten gibt, bedeutet, dass sich auch unsere Sonne mit ihrem Planetensystem in einem von diesen beiden Clustertypen entwickelt haben muss. Die Frage ist nur: In welchem?

Cluster beider Typen dehnen sich mit zunehmendem Alter aus und ihre Dichte wird damit immer geringer. Vergleicht man die Entwicklung der Sternendichte in den Starburst-Clustern mit der des Geburtsclusters der Sonne (Abb. 3), so sieht man, dass es nur einen Überlapp gibt, als die Sonne älter als etwa 5 Myr war. Davor ist die Sternendichte in Starburst-Clustern so hoch, dass es nicht nur sehr viele Stöße, sondern auch extreme nahe Vorbeiflüge gibt. Als Folge sind nach 5 Myr in Starburst-Clustern die Scheiben fast aller sonnenähnlicher Sterne kleiner als unser Planetensystem. Das heißt, die Scheiben sind zu klein, als dass sich daraus ein Planetensystem wie das unseres Sonnensystems entwickeln könnte. Obwohl man es nicht vollständig ausschließen kann, ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sich unsere Sonne in einem Starburst-Cluster entwickelt hat.

Die Untersuchungen ergeben, dass nur ein Leaky Cluster als Geburtsort der Sonne in Frage kommt. Dort werden die geforderten Bedingungen für das Geburtscluster der Sonne in den Frühphasen der Entwicklung des Clusters erfüllt (Abb. 3). Später nimmt die Dichte soweit ab, dass Wechselwirkungen mit anderen Sternen des Clusters sehr selten werden. Dies passt aber wunderbar zu der Tatsache, dass die Planeten nahezu kreisförmige Bahnen haben. In den Anfangsphasen treten Wechselwirkungen mit anderen Sternen des Clusters häufig genug auf, um Sedna und die scharfe Karte in der Dichteverteilung zu erklären. Später sind Wechselwirkungen so selten, dass das entwickelte Planetensystem ungestört bleibt. Unser Sonnensystem hat sich also höchst wahrscheinlich in einem Leaky Cluster entwickelt in dem zu Anfang die Sternendichte sehr hoch war und später rapide abnahm. Erstmals haben wir damit eine konkrete Vorstellung, wie sich die Sonnenumgebung in den ersten 20 Millionen Jahren entwickelte.

Dynamik im Geburtscluster der Sonne

Mithilfe umfangreicher Computersimulationen wurde ermittelt, wie häufig solche Vorbeiflüge zu sonnenähnlichen Planetensystemen führen. Die Untersuchungen erlauben es auch die Art des Vorbeiflugs zu bestimmen, d. h. die Masse des vorbeifliegenden Sterns, die Art seiner Bahn und der engste Abstand zwischen beiden Sternen. Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass während der ersten Million Jahre unsere Sonne eine 30%ige Chance hatte, dass ein entsprechender Vorbeiflug stattfand. Mit zunehmendem Alter der Sonne wurde die Chance deutlich geringer und nach 5 Millionen Jahren tritt ein solches Ereignis nur äußerst selten auf.

Die Computersimulationen ergeben, dass zu einem sehr frühen Zeitpunkt bevorzugt Sterne niedriger Masse sehr nahe an der Sonne vorbeifliegen. Nach mehr als 3 Millionen Jahren gibt es auch zunehmend Vorbeiflüge massereicher Sterne. Ja es könnte sogar der Stern gewesen sein, der später als Supernova explodierte und die Meteoriten mit radioaktivem Eisen und Aluminium anreicherte.

Wie ging es weiter?

Solche Cluster dehnen sich so stark aus, dass innerhalb von 20 Millionen Jahren die Sternendichte etwa 200 mal geringer wird. Gleichzeitig verlassen ≈90% der Sterne das Cluster und fliegen dann ungebunden durch den Raum. Die Wechselwirkung mit dem Gezeitenfeld der Milchstraße führt dazu, dass sich der Rest des Clusters im Laufe der Zeit weitestgehend auflöst [10]. Die Sterne des Geburtsclusters der Sonne haben sich über die letzten 4 Milliarden Jahre weiträumig verteilt und wir befinden uns heute in einer Region der Milchstraße, die sich wesentlich von der Umgebung der Sonne zum Zeitpunkt ihrer Entstehung unterscheidet.

Zukünftige Forschung

Ein entscheidender Schritt zur Beantwortung der Frage nach dem Ursprung der Sonne ist getan, dennoch sind viele Fragen offen. Es wird versucht die Art des Vorbeiflugs, der unserem Sonnensystem die heutige Form gab, durch Modellrechnungen weiter einzugrenzen. Weitere Fragen sind auch: Warum dehnen sich die Cluster in der beobachteten Weise aus? Warum gibt es überhaupt zwei Typen von Sternhaufen? In idealer Weise werden hier die theoretischen Untersuchungen von Frau Pfalzner durch die Beobachtungen von Karl Mentens Abteilung, ebenfalls am MPIfR, ergänzt. Sie untersuchen die Eigenschaften solch junger Sternentstehungsgebiete. Das Zusammenspiel von Theorie, Simulation und Beobachtung bietet eine hervorragende Chance, in Zukunft den Ursprung der Sonne noch besser zu verstehen.

Literaturhinweise

Pfalzner, S.
Early evolution of the birth cluster of the solar system
Astronomy and Astrophysics 549, A82 (2013)
Pfalzner, S.
Der Ursprung der Sonne
Sterne und Weltraum 6, 34-45 (2012)
Kenyon, S. J.; Bromley, B. C.
Stellar encounters as the origin of distant solar system objects in highly eccentric orbits
Nature 432, 598-602 (2004)
Kobayashi, H.; Ida, S.
The effects of a stellar encounter on a planetesimal disk
Icarus 153, 416-429 (2001)
Brasser, R.; Duncan, M. J.; Levison, H. F.
Embedded star clusters and the formation of the Oort Cloud
Icarus 184, 59-82 (2006)
Schwamb, M. E.; Brown, M. E.; Rabinowitz, D. L.; Ragozzine, D.
Properties of the distant Kuiper belt: results from the Palomar distant solar system survey
The Astrophysical Journal 720, 1691-1707 (2010)
Lada, C. J.; Lada, E. A.
Embedded clusters in molecular clouds
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Adams, F. C.
The birth environment of the solar system
Annual Review of Astronomy and Astrophysics 48, 47-85 (2010)
Pfalzner, S.
Universality of young cluster sequences
Astronomy and Astrophysics 498, L37-L40 (2009)
Portegies Zwart, S. F.
The lost siblings of the sun
The Astrophysical Journal 696, L13-L16 (2009)
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