Gemeinsames Musizieren vernetzt Gehirne

Beim Zusammenspiel von Gitarristen bilden sich hirnübergreifende Netzwerke von Nervenzellen aus

29. November 2012

Jeder, der schon einmal in einem Orchester musiziert hat, kennt das Phänomen: Der Impuls für das eigene Handeln scheint nicht mehr vom Geist des Einzelnen alleine auszugehen, sondern viel stärker durch die koordinierte Aktivität der Gruppe gesteuert zu sein. Tatsächlich bilden sich beim gemeinsamen Musizieren hirnübergreifende Netzwerke aus - dies haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin nun nachgewiesen. Sie haben die Hirnwellen von Gitarristen mit Hilfe von Elektroden verfolgt, während diese ein Duett spielten. Dabei sind sie auf deutliche Unterschiede in der Hirnaktivität der Musiker gestoßen, je nachdem ob diese den Ton angaben oder sich am Rhythmus ihrer Kameraden orientierten.

Wenn Gitarristen im Duett musizieren, synchronisiert sich die Aktivität ihrer Hirnwellen. Dies hatten Wissenschaftler um Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin bereits 2009 herausgefunden. Jetzt sind die Wissenschaftler einen Schritt weiter gegangen und haben die Hirnaktivität von jeweils zwei Gitarrenspielern untersucht, die ein Musikstück mit zwei unterschiedlichen Stimmen wiedergaben. Hiermit wollten sie herausfinden, ob die Synchronisation der Hirnwellen auch dann zustande kommen würde, wenn die beiden Gitarrenspieler eben nicht genau das Gleiche spielten. Die Erklärung wäre dann nicht einfach die Wahrnehmung der gleichen Reize oder das Ausführen der gleichen Bewegung, sondern etwas weitaus Spektakuläreres: Möglicherweise deutet das Phänomen nämlich auch darauf hin, dass Nervenzentren aus zwei separaten Köpfen eine gemeinsame Handlung zusammen koordinieren.

Um diese Hypothese zu überprüfen, teilten die Psychologen 32 geübten Gitarristen in 16 Duettpaare ein und schlossen jeden der Musiker an 64 Elektroden an. Damit leiteten die Forscher über den ganzen Schädel verteilt die Aktivität der Hirnwellen in den einzelnen Regionen ab. In diesem Zustand sollten die Probanden insgesamt 60 Mal eine Rondo-Sequenz aus der Sonate in G-Dur von Christian Gottlieb Scheidler wiederholen. Dabei unterschieden sich die Aufgaben von zwei Duettanten jeweils ganz leicht: So hatten sie jeweils unterschiedliche Stimmen zu spielen, und einer der beiden war dafür verantwortlich, dass beide gemeinsam einsetzten und ein gemeinsames Spieltempo einhielten. Dieser übernahm also eine Führungsrolle, während der Mitspieler folgte.

Dieser Unterschied spiegelte sich in den Ergebnissen der Hirnstrommessungen wider: „Die Gleichschaltung der Hirnwellen, die wir an einer einzelnen Elektrode gemessen haben, waren beim anführenden Spieler stärker ausgeprägt, und im Gegensatz zum Folgespieler vor allem schon vor dem Spielanfang vorhanden“, sagt Johanna Sänger, die Erstautorin der Studie. Insbesondere gilt dies für die Deltawellen, die im niederfrequenten Bereich unter vier Hertz liegen. „Dies könnte die Entscheidung des anführenden Spielers reflektieren, jetzt mit dem Spielen anzufangen“, meint Sänger.

Auch die Kohärenz der Signale zwischen verschiedenen Elektroden eines Duettpaares analysierten die Wissenschaftler und kamen zu einem bemerkenswerten Ergebnis: So zeigten die Signale der frontalen und der zentralen Elektroden während der Phasen, in denen die Musiker ihre Aktivität koordinieren mussten, also jeweils zu Beginn einer Sequenz, einen eindeutigen Zusammenhang. Und zwar nicht nur innerhalb des Kopfes eines einzelnen Spielers, sondern auch zwischen den Köpfen der beiden Duettpartner.

„Wenn Menschen Handlungen miteinander koordinieren, entstehen  kleine Netzwerke innerhalb des Gehirns und bemerkenswerter Weise auch zwischen den Gehirnen, besonders dann, wenn die gegenseitige Abstimmung wichtig ist, zum Beispiel beim gemeinsamen Spielbeginn“, sagt Johanna Sänger.

Das Bild, das sich nun abzeichnet, deutet darauf hin, dass die hirnübergreifenden Netzwerke Bereiche der beiden Gehirne verbinden, die bereits zuvor mit sozialer Kognition und Musikproduktion assoziiert wurden. Solche hirnübergreifenden Netzwerke entstehen vermutlich nicht nur beim Musizieren. „Wir gehen davon aus, dass Hirnwellen unterschiedlicher Personen sich auch dann synchronisieren, wenn Menschen ihr Handeln auf andere Weise koordinieren, etwa beim Sport, oder wenn wir miteinander kommunizieren“, sagt Sänger.

ME/HR

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