Lichtschalter für Nervenzellen

Max-Planck-Wissenschaftler revolutioniert die Neurobiologie und erhält dafür renommierten Wissenschaftspreis

Es klingt wie der Traum eines Neurobiologen: Ein Schalter, mit dem sich Nervenzellen nach Belieben an- und ausknipsen lassen. Drei Wissenschaftler haben im wahrsten Sinne des Wortes einen solchen Lichtschalter für Nervenzellen gefunden. Dafür wird ihnen nun eine besondere Ehrung zuteil: Ernst Bamberg, Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysik, Georg Nagel von der Universität Würzburg und Peter Hegemann, Humboldt-Universität Berlin, erhalten den diesjährigen Wiley Prize der biomedizinischen Wissenschaften für die Entdeckung der außergewöhnlichen Eigenschaften des Grünalgenproteins Channelrhodopsin. Der Preis wird seit 2001 jährlich vergeben und zeichnet hervorragende Forschung in der Medizin und Biowissenschaften aus. Die Preisverleihung findet am 9. April an der Rockefeller University in New York statt.

Die Jury des Wiley Prize zeichnet die drei Forscher für ihre Entdeckung der so genannten Channelrhodopsine aus, einer Familie von lichtaktivierten Ionenkanälen. Der Einsatz dieser Proteine hat neue Möglichkeiten zur Untersuchung von Nervenzellen und Netzwerken in Kultur wie auch im Gehirn lebender Tiere geschaffen und das Forschungsgebiet der Optogenetik begründet. Einzelne Nervenzellen oder Nervennetzwerke können mit Licht gezielt elektrodenfrei an- und ausgeschaltet werden. Neben dem großen Wert dieser Entdeckung für die Grundlagenforschung könnten eines Tages Patienten mit neurodegenerativen Krankheiten wie Makuladegeneration, Parkinson und Epilepsie von der Entdeckung profitieren.

Licht schaltet Nervenzellen gezielt an und aus

Channelrhodopsine sind Kanalproteine in der Zellmembran und kommen in der einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii vor. Sie ermöglichen es der Alge, Helligkeit wahrzunehmen und sich zum Licht hin oder davon weg zu bewegen. Fällt Licht auf die Proteine, werden sie durchlässig für positiv geladene Ionen. Diese strömen durch die geöffneten Kanäle in die Zelle strömen und lösen dadurch ein elektrisches Signal aus. Das elektrische Potenzial im Innern der Zelle wird von stark negativen Werten positiver, d.h. die Zelle wird depolarisiert. Natürlich vorkommende lichtaktivierte Ionenkanäle waren bis zu dieser Entdeckung in den Jahren 2002, 2003 unbekannt. Auf der Basis dieser bahnbrechenden Arbeiten ist es den Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgruppen gelungen, Channelrhodopsin auf molekulargenetischem Weg in Nerven- und Muskelzellen in Kultur wie auch im lebenden Tier einzuschleusen. Auch die lichtgetriebene Chlorid-Pumpe Halorhodopsin, die ursprünglich aus Archebakterien stammt und die das Zellpotenzial weiter ins Negative verschiebt, d.h. hyperpolarisiert, konnten Bamberg und Nagel wiederum in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern in verschiedene Zelltypen in Kultur und im lebenden Fadenwurm C. elegans übertragen. Somit war es möglich, die jeweiligen Zellen mit blauem Licht (Absorptionsmaximum Channelrhodopsin: 480 Nanometer) anzuschalten und mit gelbem Licht (Absorptionsmaximum Halorhodopsin: 570 Nanometer) abzuschalten, und in dem Wurm bestimmte Verhaltensweisen durch Licht zu stimulieren.

Der Beginn der Optogentik

Aus der Entdeckung und Anwendung der Channelrhodopsine und Halorhodopsin ist das sich schnell entwickelnde Gebiet der Optogenetik entstanden. Inzwischen setzen viele Forschergruppen die optogenetischen Werkzeuge auf unterschiedlichen Forschungsgebieten der Neurobiologie erfolgreich ein. Die Geschichte der Entdeckung der lichtaktivierten Ionenkanäle ist ein Beispiel dafür, wie aus Grundlagenforschung neue Techniken bis hin zu Behandlungen für den Menschen entstehen können. Denn diese Kanäle eröffnen eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten. "Die Optogenetik revolutioniert momentan die neuro- und zellbiologische Forschung", ist Ernst Bamberg überzeugt. "Denn jetzt können wir erstmals ohne Elektroden und ohne jedwede chemische Modifizierung die Aktivität von Neuronen und Muskelzellen störungsfrei und mit bisher nicht erreichter hoher Ortsauflösung einfach durch Licht steuern."

Darüber hinaus könnte die Optogenetik in Zukunft auch medizinischen Nutzen haben. So haben Schweizer und US- amerikanische Forscher bereits 2006 und 2008 Jahren blinde Mäuse wieder sehend gemacht. Dazu brachten sie Channelrhodopsin in Nervenzellen der Netzhaut von Mäusen ein, die aufgrund eines Gendefekts keine Lichtsinneszellen ausbilden können. Die Tiere konnten nach dieser Behandlung zumindest wieder zwischen hell und dunkel unterscheiden. Die Wissenschaftler hoffen, dass auch Menschen mit einer Erkrankung der Netzhaut - der so genannten Makuladegeneration - durch eine Gentherapie mit Channelrhodopsinen zumindest einen Teil ihrer Sehkraft wieder erlangen. Aber nicht nur im Auge, auch im Gehirn könnten Nervenzellen mit optogenetischen Methoden behandelt werden. So könnten z. B. im Gehirn von Epilepsie- oder Parkinson-Patienten Nervenzellen mit Hilfe von lichtleitenden Glasfasern nach Bedarf kontrolliert "an- oder "abgeschaltet" werden, um die entsprechenden Krankheitsphänomene aufzuheben.

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