Meister der Selbstheilung

Wissenschaftler haben in Plattwürmern ein vielversprechendes Werkzeug für die Stammzellforschung entdeckt

31. März 2010

Neuer Kopf gefällig? Kein Problem! Einfach den alten abschneiden und schon wächst der nächste nach. Was nach Science Fiction klingt, klappt seit Tausenden von Jahren. Jedenfalls beim Plattwurm Schmidtea mediterranea: Ob man ihn köpft oder in hundert Teile schneidet - stets wächst das Fehlende nach. Spätestens nach zwei Wochen ist aus jedem Schnipsel ein neues Tier entstanden. Unklar ist noch, wie der Wurm das macht. Forscher vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster haben jetzt jedoch ein Protein entdeckt, das bei der beeindruckenden Heilung eine Schlüsselrolle spielt - und erstaunlicherweise in verwandter Form auch beim Mensch vorkommt. Über den Fund berichtet das Team um Luca Gentile und Hans Schöler in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Development (01. April 2010).

Schon vor über 100 Jahren weckte die erstaunliche Selbstheilungsfähigkeit der Plattwürmer das Interesse von Wissenschaftlern, trotzdem nahmen noch bis vor wenigen Jahren nur wenige Biologen von ihnen Notiz. Denn obwohl Plattwürmer, auch Planarien genannt, sich auf bemerkenswerte Weise regenerieren können, tappten die Forscher bei ihrer Suche nach dem Grund für diese Fähigkeit lange im Dunkeln.

Erst mit der Etablierung moderner Techniken, wie der Stilllegung von Genen durch RNAInterferenz, sind die wenige Millimeter bis Zentimeter großen Tiere inzwischen zu einem spannenden Objekt der Stammzellforschung avanciert. Denn während der letzen Dekade ist klar geworden, warum Planarien über so ein phänomenales System zur Regeneration verfügen: Im ganzen Körper verteilt haben sie Zellen, die so wandlungsfähig sind wie embryonale Stammzellen. Die so genannten Neoblasten machen bei erwachsenen Tieren 20 bis 30 Prozent aller Körperzellen aus. Anders als die berühmten Alleskönner aus Embryonen von Mensch und Maus können sich Stammzellen des Plattwurms jedoch zeitlich unbegrenzt selbst vermehren und alle Zellen des Körpers bilden - Nerven- und Muskelzellen, Haut- und Darmzellen und sogar Keimzellen und verleihen dem Plattwurm somit Unsterblichkeit.

Bereits vor einigen Jahren haben Wissenschaftler damit begonnen, nach Faktoren zu suchen, die Plattwürmern diese beeindruckende Regenerationsfähigkeit verleihen. So sind sie zum Beispiel auf etliche Gene im Erbgut der Würmer gestoßen die für den Erhalt der Stammzellen und der Regenerationsfähigkeit notwendig sind.

Doch keiner der bislang davon untersuchten Faktoren funktionierte wie ein Generalschalter der Zellteilung, welche im Plattwurm auf die Stammzellen beschränkt ist. Egal, welches Gen oder Protein Forscher mit Hilfe molekularbiologischer Tricks lahm gelegt hatten - fast immer waren die Neoblasten noch in der Lage, zumindest jenen ungeordneten Zellhaufen zu bilden, mit dem jede Regeneration im Wunderwurm beginnt, das so genannte Blastem. Aus diesem Zellhaufen, der zu Beginn völlig unstrukturiert erscheint, gehen wenige Tage nach der Verletzung alle neuen Gewebe hervor. Tatsächlich ‚wissen’ die Zellen des Blastems bereits nach einem Tag Regeneration bereits, ob aus ihnen später Haut, Sinneszellen oder Stützgewebe wird.

Luca Gentile und seinen Kollegen ist jetzt jedoch ein entscheidender Erfolg gelungen. Mit einem ausgeklügelten Verfahren, der RNA Interferenz, stoppten die Münsteraner Wissenschaftler in den Zellen der Tiere gezielt die Produktion eines Proteins namens ‚Smed-SmB’. Und siehe da: Schon kurz nach der Behandlung kam die Regenerationsfähigkeit komplett zum Erliegen. Die Neoblasten hörten auf sich zu teilen und waren deshalb nicht mehr in der Lage, in amputierten Tieren auch nur ansatzweise noch ein Blastem zu bilden.

Der plötzliche Nachschub-Stopp setzte allerdings nicht nur verletzten Tieren zu. Zwar schienen die Würmer noch einige Tage lang lebensfähig. Doch zwei bis vier Wochen nach der Behandlung waren auch sie verendet. Der Grund: Wie die Haut-, Leber- und Darmzellen des Menschen, sind auch die ausgereiften Zellen von Plattwürmern einem ständigen, physiologischen Verschleiß unterworfen, der regelmäßig durch neu gebildete Zellen ausgeglichen werden muss. Smed-SmB, so Gentile, ist bisher das erste Gen, für das der Nachweis erbracht werden konnte, dass sein Abschalten mittels RNA-Interferenz ganz gezielt die Teilungsfähigkeit der Stammzellen des Plattwurms stoppt.

Der neu entdeckte Generalschalter, so Gentile, könnte sich bald als ein wertvolles Werkzeug der Stammzellforschung erweisen. "Viele Mechanismen der Gewebereparatur sind bis heute weitgehend unverstanden. Mit Smed-SmB haben wir jedoch die Möglichkeit, endlich mehr Licht in die ‚Black box’ der Regeneration zu bringen."

Erstmals haben MPI-Forscher mit dem Knockdown von Smed-SmB nämlich nicht nur die Möglichkeit, die Teilungsfähigkeit von pluripotenten Stammzellen gezielt in einem lebenden Organismus auszuschalten ohne - wie bei den bisher verfügbaren Verfahren - auch anderen Körperzellen zu schaden.

"Plattwürmer", erläutert Gentile, "sind auch eine der ganz wenigen Tierarten, in denen wir das Schicksal von pluripotenten Stammzellen statt in der Kulturschale direkt im lebenden Organismus und sogar in erwachsenen Tieren untersuchen können."

Ihre enorme Regenerationsfähigkeit unterscheidet Planarien von den viel berühmteren ‚Haustieren’ der Genetik - der Fruchtfliege Drosophila melanogaster und dem nicht mit Plattwürmern verwandten Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Beide haben Forschern in den vergangenen Jahrzehnten als Modellorganismen zwar grundlegende Einblicke in die Biologie der Entwicklung eines Organismus vom Ei zum erwachsenen Tier geliefert. Doch weder Fliege noch Fadenwurm besitzen die Fähigkeit, verloren gegangene Zellen, Gewebe oder gar ganze Organe zu regenerieren.

Wenn es um die Suche nach Regenerationsmechanismen geht, die sich zum Teil über Jahrmillionen in der Evolution erhalten haben, sind Planarien daher klar im Vorteil. Sie sind die unbestrittenen Meister der Regeneration.

Wissenschaftler hoffen daher, dass sich aus den Experimenten mit Plattwürmern künftig auch wichtige Erkenntnisse für den Menschen ziehen lassen. Ob und in welcher Form das möglich sein wird, ist bislang schwer abzuschätzen. Fest steht nur: Das Erbguts des Homo sapiens’ ähnelt dem des unscheinbaren Plattwurms mehr, als mancher glauben mag: Rund drei Viertel jener Gene, die in seinen Zellen aktiv sind, ähneln denen von uns. Und SmB verrichtet auch im Menschen seinen Dienst.

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