Kontrolle für medizinische Nanolieferungen

Ein Modell erlaubt Vorhersagen, wie effizient sich Nanopartikel an die Oberflächen von Tumorzellen heften

8. Juni 2010

Manche Nanopartikel ähneln Postpaketen. Sie sollen eine Lieferung zuverlässig zu einer Adresse bringen - zum Beispiel einen Wirkstoff gegen Tumore zu Krebszellen. Wie bei Postpaketen kann man aber nicht sicher sein, ob sie ihr Ziel auch erreichen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme und der Universität Magdeburg haben jetzt einen ersten Schritt getan, um vorherzusagen, wie gut sich entsprechend adressierte Nanopartikel als Vehikel für medizinische Wirkstoffe eignen. Mit einem ausgeklügelten Modell berechnen sie, wie effektiv Nanopartikel an Zellen andocken. Als Empfängeradresse tragen sie dabei Antikörper für Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Das Modell beruht zum einen auf der Zahl dieser Rezeptoren und zum anderen auf der Bindungswahrscheinlichkeit für eine Bindung zwischen Antikörper und Rezeptor. Solche kolloidchemischen Ansätze sind in der biomedizinischen Forschung noch nicht weit verbreitet, könnten aber bei der Lösung zahlreicher Probleme helfen. (soft matter; DOI: 10.1039/b919122d)

Wenn Mediziner Nanopartikel als Vehikel für Arzneistoffe oder Kontrastmittel zu bestimmten Zellen schicken, ist das in etwa so, als würde man ein Postpaket mit Müller, Hamburg adressieren. Zwar können sie die Teilchen mit Antikörpern versehen, um sie gezielt in Zellen mit den entsprechenden Antigenen oder Rezeptoren einzuschleusen. Doch diese molekularen Adressschildchen finden sich meist auf vielen verschiedenen Zellen. Und dann bleibt auch noch offen, ob die Zelle der Lieferung eine Tür öffnet, sprich, ob sie die Nanoteilchen aufnimmt und ob sich die Fracht in der Zelle auspacken lässt. "Es wäre sehr hilfreich, wenn man berechnen könnte, wie effektiv Nanoteilchen ihren Inhalt in bestimmte Zellen transportieren", sagt Kai Sundmacher, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.

Die Forscher am Max-Planck-Institut und an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg haben jetzt den ersten Teil des Weges dorthin zurückgelegt und zwar, indem sie sich Methoden der Verfahrenstechnik und Kolloidchemie bedienten. Maßgeblich dazu beigetragen hat Sascha Rollié, der in seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für den ersten Teil der Transportkette ein Modell entwickelt hat, mit dem sich vorhersagen lässt, wie zielgenau sich Nanopartikel an den Oberflächen bestimmter Zellen anlagern - wie zuverlässig sie also zur Adresse der Lieferung finden, wenn verschiedene Zelltypen gleiche Adressschildchen tragen.

Das hängt zum einen davon ab, wie oft die Nanopartikel mit den Tumorzellen in Kontakt kommen, also von der Konzentration und der Größe der Zellen und Partikel, und davon, wie schnell diese sich bewegen. Zum anderen wird die Effizienz, mit der sich Nanopartikel an den Oberflächen bestimmter Zellen festsetzen, von der Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der Nanopartikel an der Zelloberfläche haften bleiben. Dabei binden die Nanopartikel spezifisch, also an den Rezeptoren für ihre Antikörper, aber auch unspezifisch, also irgendwo auf der Zellmembran, an die Zellen. Welcher Mechanismus überwiegt, hängt wiederum von der Dichte der Rezeptoren auf der Zelloberfläche und der Stärke der spezifischen beziehungsweise unspezifischen Bindung ab. Über die Bindungsstärken entscheiden die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Nanopartikel, der Zellmembran und der Rezeptoren. Um sie zu erfassen, führt Sascha Rollié zahlreiche weitere Größen in seine Formeln ein.

Suche nach Wirkstofflieferanten soll leichter werden

Getestet haben Rollié und seine Kollegen ihr Modell an einer Mischung zweier Typen von Tumorzellen, die beide einen Rezeptor namens CD13 tragen. Für ihr Modell nahmen die Forscher an, dass der eine Typ, Karpas-299, deutlich weniger CD13-Rezeptoren auf der Oberfläche trägt als der andere namens U-937. "Wie nicht anders zu erwarten, lagern sich Nanopartikel, die Antikörper für den CD-13-Rezeptor tragen, bevorzugt an die U-937-Zellen", sagt Sascha Rollié: "Überrascht hat uns aber, wie stark die Wahrscheinlichkeit für eine Bindung zwischen Zellen und Nanopartikeln von der Dichte der Rezeptoren abhängt." Die Forscher hatten vermutet, dass diese Wahrscheinlichkeit in biologischen Systemen vor allem davon bestimmt wird, wie gut die Nanopartikel zu den Zellen gelangen. Dieses Kriterium wird jedoch erst bei sehr hohen Rezeptor-Dichten entscheidend.

Nun möchte Sascha Rollié das Modell erweitern. Bislang berücksichtigt es nämlich noch nicht, dass sich die Nanopartikel möglicherweise auch wieder von der Zelloberfläche ablösen. Außerdem möchten er und seine Kollegen den Transport durch die Zellmembran formelhaft beschreiben. Das wäre ein weiterer Schritt, um am Ende vorhersagen zu können, wie effizient Nanocontainer Wirkstoffe zielgenau in Zellen einschleusen.

"Solange sich die Untersuchungen zur Pharmakodynamik auf empirisches Stochern beschränken, wird man immer auf Glückstreffer angewiesen sein"; sagt Sascha Rollié. Mit einem umfassenden Modell der Transportkette könnten Pharmaforscher viel zielsicherer nach geeigneten Wirkstofflieferanten suchen. Daher kommt Kai Sundmacher zu dem Schluss: "Ich bin sicher, dass die Methoden der Kolloidchemie und der Verfahrenstechnik dabei künftig eine immer wichtigere Rolle spielen werden und sich als Werkzeuge in der Medizin etablieren werden."

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