Photonen auf Irrwegen

Max-Planck-Physiker entwickeln ein Experiment, um die Zufallsbewegung von Quantenteilchen zu untersuchen

8. Februar 2010

Manchmal hätten wir es als Quantenteilchen leichter. Etwa wenn wir einen Weg aus einer fremden Stadt suchen müssten, und uns an jeder Straßenkreuzung der Zufall die Richtung vorgäbe. Als Objekte der klassischen Physik verirren wir uns auf diese Weise immer weiter im Zentrum des Straßennetzes. Als Teilchen, die den Quantengesetzen gehorchen, fänden wir auf der zufällig bestimmten Route über kurz oder lang den Stadtrand. Das hat ein internationales Team um Forscher des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts jetzt experimentell bewiesen. Mit polarisiertem Licht - Lichtwellen, die in einer bestimmten Ebene schwingen - haben sie ein einfaches Modellsystem für einen quantenphysikalischen random walk, eine Zufallsbewegung, konstruiert. Ihre Experimente könnten neue Einsichten in statistische Prozesse, wie etwa die Photosynthese, liefern und helfen, Such-Algorithmen zu beschleunigen. (Physical Review Letters, online-Veröffentlichung, 5. Februar 2010)

Was ein Mensch auf einem vom Zufall bestimmten Irrweg durch eine Stadt erfahren würde, zeigt ein Experiment mit einem Galton Brett - einem Brett, in dem in einem dreieckigen Muster senkrechte Stäbe stecken. Rollt eine Kugel über das Brett und trifft auf einen Stab, der an einer Ecke des Dreiecks sitzt, nimmt sie einen vom Zufall bestimmten Weg durch das Stäbchen-Labyrinth, bis sie an der Basis des Dreiecks anlangt: Bei jedem Schritt durch das Labyrinth wird sie an einem Stäbchen nach links oder rechts abgelenkt. Da sie im Schnitt beide Richtungen gleich oft nimmt, kommt sie meistens in der Mitte der Basis an. Auf einem Irrweg durch ein Straßenlabyrinth würde uns der Zufall auf ähnliche Weise ins Zentrum einer Stadt führen.

Einem Teilchen mit Quanteneigenschaften erginge es anders, wie die Forscher des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts in Erlangen sowie der Universitäten in Prag und Edinburgh jetzt bewiesen haben. Es müsste sich nicht an jedem Stäbchen für eine Richtung entscheiden, sondern würde beide möglichen Wege gleichzeitig nehmen. Denn solch ein Teilchen besitzt auch die Eigenschaften von Wellen, und Wellen können so etwas. Der physikalische Zustand des Teilchens ist dann dadurch charakterisiert, dass sich darin alle möglichen Aufenthaltsorte, also alle Wege überlagern. Tritt das Quantenteilchen schließlich an der Basis des Dreiecks aus dem Labyrinth heraus, befindet es sich nicht eindeutig an einem Durchlass zwischen zwei Stäben, sondern an mehreren - es bildet sich ein Interferenzmuster. Und zu dessen Eigenheiten gehört, dass es an den Rändern desto intensiver wird, je mehr Stäbchen das wellenhafte Teilchen passiert.

"Licht eignet sich besonders gut, um solch eine Zufallsbewegung eines Quantenteilchens in einem Experiment zu untersuchen", sagt Christine Silberhorn, in deren Arbeitsgruppe der Versuch stattfand. Sie und ihre Mitarbeiter arbeiten dabei mit einzelnen Photonen. Die Lichtteilchen geben Musterbeispiele für Zwitterwesen aus Teilchen und Welle ab. Die einzelnen Photonen schicken die Physiker durch einen Versuchsaufbau, der im Prinzip ein Galton-Brett darstellt, praktisch aber doch ganz anders funktioniert. Hier entscheidet der Zufall nämlich nicht über die Richtung, die ein Photon bei jedem Schritt nimmt, sondern seine Polarisation, das heißt die Richtung, in der seine Lichtwelle schwingt, und legt damit die weitere Bewegungsrichtung des Photons fest.

Der klassischen Richtungsentscheidung einer Kugel auf einem Galton-Brett entspricht, wenn das Photon entweder horizontal oder vertikal schwingt. Viel mehr interessiert die Physiker daher der Fall, dass das Photon einen Überlagerungszustand aus beiden Schwingungsrichtungen annimmt. Diesen Zustand schaffen sie, indem sie mit einem Polarisator zunächst ein horizontal oder vertikal schwingendes Photon erzeugen. Dieses wird von einer Halbwellen-Platte dann in den Überlagerungszustand befördert. Die Halbwellen-Platte wirkt in gewisser Weise wie das Stäbchen eines klassischen Galton-Bretts, nur dass es dem Photon keine Richtungsentscheidung aufzwingt, sondern dafür sorgt, dass es im übertragenen Sinn in beide Richtungen weiterläuft.

Das Photon in diesem Zwitterzustand trennen sie anschließend in seine beiden Hälften - eine vertikal und eine horizontal schwingende - und leiten sie separat durch zwei Glasfaserkabel. Die beiden Hälften bilden aber immer noch ein einziges Photon, was nur in der Quantenwelt möglich ist. Die vertikal schwingende Hälfte muss nun einen deutlich weiteren Weg zurücklegen, ehe die Physiker die Bahnen der beiden Photonhälften wieder vereinigen. Das gespaltene Photon läuft dann in Form zweier hintereinander wandernder Wellenpakete durch eine Glasfaser- den ersten Schritt auf dem Galton-Brett hat es damit hinter sich. Um den zweiten Schritt zu machen, führt die Glasfaser die beiden Photonhälften zurück zur Halbwellenplatte, die aus jeder Hälfte wieder einen Zwitter macht. Und das ganze Prozedere beginnt von Neuem.

Fünf Mal haben die Physiker das Photon durch die Schleife laufen lassen. Danach hatte sich das eine Photon in eine Kette mehrerer Wellenpakete aufgefächert, die einen Überlagerungszustand bildeten. Dabei fielen die Pakete am Rand der Kette deutlich stärker aus. Das heißt nach den Gesetzen der Quantenphysik: Wenn die Forscher das aufgefächerte Photon auf einen Detektor leiten, der das Photon nur als ein Teilchen registriert, misst dieser es eher am Anfang oder am Ende der Kette.

"Viele unserer Kollegen glaubten nicht, dass uns dieses Experiment gelingen wird", sagt Katiuscia Cassemiro, die das Experiment gemeinsam mit Christine Silberhorn konzipiert hat. Denn Überlagerungszustände sind sehr empfindlich, schon kleinste Störungen lassen ihn auf einen Zustand mit klassischen Eigenschaften zusammenfallen. "Der entscheidende Schritt, das zu vermeiden, ist uns damit gelungen, dass wir die Laufzeit des Photons auffächern statt seines Aufenthaltsortes - wie auf einem Galton-Brett", sagt Christine Silberhorn: Das vereinfacht den Versuchsaufbau drastisch, da ein räumlich aufgespaltenes Photon eine Vielzahl von absolut präzise aufeinander abgestimmten optischen Instrumenten durchlaufen müsste, was kaum gelingen kann. Die Physiker aus Erlangen hoffen, dass sie das Photon in ihrem Versuch auch über mehr als fünf Schritte von möglichen Störungen abschirmen können: "Wir wollen das Experiment auf bis zu 20 Schritte ausbauen, indem wir die einzelnen Komponenten optimieren", sagt Katiuscia Cassemiro.

Mit ihren Experimenten geht es den Physikern aus Erlangen natürlich nicht um Brettspiele in der Quantenwelt. Sie interessieren sich vor allem für den Überlagerungszustand. Denn während wir Menschen uns wohl mit unserer klassischen Existenz abfinden müssen, treten solche Quantenzustände zum Beispiel in der Biologie durchaus auf, etwa bei der Photosynthese in Pflanzen: Wie Forscher erst kürzlich festgestellt haben, transportieren Moleküle die aufgenommene Energie des Sonnenlichts durch Teile des Photosynthese-Apparates in Form eines solchen Zwitterzustands.

"Bislang weiß man noch nicht, wie sich der Quantenphysikalische Charakter des Transports genau auf den Prozess auswirkt", sagt Christine Silberhorn. "Solche Effekte können wir mit unserem Aufbau untersuchen, weil wir den Überlagerungszustand über die Halbwellen-Platte sehr genau kontrollieren können." Über die Stellung dieses Instruments können die Forscher etwa den Übergang zwischen quantenmechanischem und klassischem Verhalten untersuchen, wie er letztlich auch bei der Photosynthese stattfindet.

Die quantenmechanische Zufallsbewegung könnte in fernerer Zukunft aber auch einmal eine praktische Anwendung finden. Prinzipiell eignet sie sich nämlich als Suchfunktion eines Quanten-Computers. Mit Photonen oder Elektronen, die viele Pfade gleichzeitig beschreiten, ließe sich eine Datenbank oder das Internet viel schneller durchsuchen als mit klassischen Teilchen, die alle Wege nacheinander abschreiten müssen. Wie solch ein Such-Algorithmus konkret vorgehen kann, das tüfteln theoretische Physiker derzeit noch aus.

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