Erben und Vererben in Europa

EU-Bürger sollen selbst bestimmen können, nach welchem nationalen Recht sie ihren Besitz vererben wollen

17. Juni 2010

Die Ferienwohnung an der Costa del Sol, das Bankkonto in London, das inländische Vermögen ausländischer Mitbürger in Deutschland - nach welchen Regeln werden solche Vermögenswerte vererbt? Keine leichte Frage, denn der Freiheit, über das eigene Vermögen letztwillig zu verfügen, sind in jedem Land der EU andere Grenzen gesetzt. Zwischen den Mitgliedstaaten besteht nicht einmal Einigkeit darüber, welches nationale Recht auf einen Erbfall anzuwenden ist, der verschiedene Staaten berührt. Wie Erben und Vererben innerhalb der EU künftig einfacher vonstatten gehen könnte, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg um Direktor Jürgen Basedow in einer Stellungsnahme ausgearbeitet. Sie unterstützen damit entsprechende Vorschläge der Europäischen Kommission.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Anatol Dutta leitete der Hamburger Max-Planck-Direktor am Institut eine Arbeitsgruppe, die sich rund sechs Monate lang intensiv mit jenem Vorschlag befasste, den die Europäische Kommission Ende vergangenen Jahres für eine neue europäische Erbrechtsverordnung vorgelegt hatte. "Es besteht dringender Handlungsbedarf, möglichst bald klare Verhältnisse im Erbrecht innerhalb der EU zu schaffen", so Basedow zur zunehmend problembehafteten Ausgangslage. Durch die Öffnung der Grenzen in der Union und damit verbundene Binnenwanderung gebe es inzwischen mehr grenzüberschreitende Testamente und Erbfälle als je zuvor. Zudem komme die erste Generation von Gastarbeitern in ein Alter, in dem es sinnvoll erscheint, Nachlassregelungen zu treffen. "Wenn man bedenkt, dass das allein in Deutschland einige Millionen Menschen sind, die zum Teil hier wirtschaftlich sehr erfolgreich waren, dann kann man sich ausrechnen, dass es hier um etliche Milliarden Euro geht, die privat vererbt werden", skizziert er die menschlichen und finanziellen Dimensionen dieser demografischen Entwicklung für Bürger und Privatrecht. "Das sind Fälle von erheblicher Bedeutung, die auf die Gerichte zukommen."

Kern der Hamburger Stellungnahme ist die Ausweitung der Rechtswahlfreiheit des Erblassers. "Damit ist gemeint, dass er dann selbst bestimmen kann, nach welchem nationalen Recht sein Nachlass geregelt wird", erklärt Basedow. Das würde zum Beispiel auch den Erben der ersten Gastarbeiter-Generation die Nachlassabwicklung leichter machen als bisher. Nach geltendem Recht bestimmt sich das von deutschen Gerichten anzuwendende nationale Recht nach der letzten Staatsbürgerschaft. "Wenn zum Beispiel die Kinder eines spanischen Gemüsehändlers in Berlin nach dessen Tod von seinem Konto die Ladenmiete weiterzahlen möchten, können sie das oft nicht." Denn ohne gültigen Erbschein erlauben die Banken keinen Zugriff auf das Konto des Erblassers. Doch muss der Erbschein nach spanischem Recht ausgestellt werden, das den deutschen Behörden und Gerichten meist nicht bekannt ist. Bis ein solches Dokument vorliegt, vergeht deshalb oft viel Zeit - die die Erben eigentlich nicht haben, weil beispielsweise die Mietforderungen für das Ladenlokal weiterlaufen. Zur einfacheren Abwicklung schlagen die EU-Kommission und das Hamburger MPI übereinstimmend vor, dass sich das anwendbare Recht künftig nach dem letzten Wohnsitz und nicht nach der Staatsangehörigkeit richten soll. Im Beispielsfall käme dann deutsches Recht zum Zuge.

Wie kompliziert die Vereinheitlichung des internationalen Erbrechts in der Praxis ist, wird schon durch den Zeitrahmen deutlich, in dem der jetzt vorliegende Entwurf entstanden ist. Seit dem Vertrag von Amsterdam von 1997 darf die EU das internationale Privatrecht regeln. Zwar kam das Erbrecht schon ein Jahr später mit dem Wiener Aktionsplan von 1998 auf die Agenda des europäischen Gesetzgebers, doch konnte die Kommission erst im Oktober 2009 einen konsensfähigen Vorschlag für eine europäische Erbrechtsverordnung vorlegen. Dieser enthält Regeln zu den klassischen Fragestellungen des internationalen Privatrechts, wie der Frage des anwendbaren Rechts, der internationalen Zuständigkeit der Gerichte und der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Erbsachen. Darüber hinaus schlägt die Kommission auch Regelungen zur grenzüberschreitenden Abwicklung von Nachlässen sowie die Einführung eines Europäischen Erbscheins mit einheitlichen Wirkungen in allen Mitgliedstaaten vor.

Mit ihrer Stellungnahme wollen die Hamburger Rechtsexperten die Europäische Kommission bei ihrem Vorstoß unterstützen. "Wir bringen dabei unsere wissenschaftliche Expertise ein", so Basedow. Am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg beschäftigen sich Wissenschaftler mit der rechtsvergleichenden Grundlagenforschung auf den Gebieten des ausländischen, europäischen sowie internationalen Privat-, Handels-, Wirtschafts- und Zivilverfahrensrechts. Konkret analysieren sie systematisch ausländische Rechtsordnungen und vergleichen diese sowohl mit dem deutschen Recht als auch untereinander. Ein wichtiges Ziel der Forschungsarbeit ist dabei, die Möglichkeiten für eine Angleichung und Koordinierung der bestehenden nationalen Rechtssysteme zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung sowie der damit einhergehenden Internationalisierung des Rechts sei dies eine Aufgabe von großer wissenschaftlicher und praktischer Bedeutung, sagt der Rechtswissenschaftler. So enthält die Stellungnahme zahlreiche Änderungs- und Verbesserungsvorschläge, die das internationale Erbrecht in der Praxis einfacher gestalten und dabei zugleich die Akzeptanz der neuen Lösungen in den Mitgliedstaaten erhöhen sollen.

Insgesamt markiert der Kommissionsvorschlag für das Hamburger Institut "einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer modernen und kohärenten Kodifikation des internationalen Privatrechts in der Europäischen Union". Somit geht es dabei um weit mehr als nur darum, wer das Ferienhäuschen an der Costa del Sol ohne Bürokratieaufwand und hohe Notarkosten erben kann. Indirekt wird hier das Modell eines europäischen Privatrechts skizziert, das die Vielfalt innerhalb der Union bewahrt und dennoch die Rechtssicherheit für die Bürger erhöht. Die Stellungnahme nebst einer Gegenüberstellung des Vorschlags der Kommission und der vom Institut angeregten Änderungen steht auf der Website des Instituts vorab elektronisch zur Verfügung. Sie wird im Herbst in Heft 3/2010 von Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht erscheinen.

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