Magnetismus nimmt Elektronen den Widerstand

Magnetische Wechselwirkungen bewirken die Bildung von Cooper-Paaren und ermöglichen die unkonventionelle Supraleitung

Manchmal gleicht Physik einem Kriminalfall. Indiz für Indiz tragen Forscher zusammen, um ein Rätsel zu lösen. Zum Beispiel die Frage, wie die unkonventionelle Supraleitung entsteht, die auch für technische Anwendungen besonders interessant ist. Ein internationales Team um Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe liefert nun den bislang stärksten Beleg, dass magnetische Wechselwirkungen diese Form des widerstandslosen Stromtransports bewirken können. Hinweise darauf tragen Physiker bereits seit einiger Zeit zusammen. So wird immer klarer, dass ein notorischer Störenfried sich auch kooperativ verhalten kann: klassische Supraleitung in gewöhnlichen Metallen wird von magnetischen Feldern nämlich leicht zerstört. Dass Magnetismus die unkonventionelle Supraleitung dagegen möglich macht, könnte auch Anhaltspunkte für die Suche nach neuen Stoffen liefern, die in alltäglichen Anwendungen verlustfrei Strom transportieren. (Nature Physics, Online-Veröffentlichung, 12. Dezember 2010)

Allmählich gewinnt die Vorstellung, die sich Physiker von den unkonventionellen Supraleitern machen, an Schärfe. Zu diesen Materialien zählen auch die kompliziert gebauten keramischen Stoffe, die Strom bereits bei vergleichsweise hohen Temperaturen ohne Verluste leiten. Allerdings liegen diese Temperaturen immer noch bei unter minus 135 Grad Celsius - zu kalt für eine breite Anwendung im Alltag. Um diese Grenze systematisch weiter nach oben zu schieben, müssen die Physiker erst verstehen, wie die Supraleitung in diesen Materialien entsteht. "Dazu leisten unsere Erkenntnisse einen wichtigen Beitrag", sagt Frank Steglich, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden und Leiter der Untersuchung. Unter anderem haben die Wissenschaftler festgestellt, dass die magnetischen Wechselwirkungen in dem Material genügend Energie bereit stellen, um das Material in den supraleitenden Zustand zu versetzen.

Gemeinsam mit Kollegen des Jülich Centre for Neutron Science am Institut Laue-Langevin in Grenoble, der Technischen Universität Dresden, der Rice University in Houston, Texas sowie des Dresdner Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme haben die Wissenschaftler um Frank Steglich CeCu2Si2 - eine chemische Verbindung aus Cer, Kupfer und Silizium - untersucht. Diese Verbindung wurde vor über drei Jahrzehnten als erster unkonventioneller Supraleiter identifiziert und hat damit die Suche nach neuen Mechanismen der Supraleitung in Gang gesetzt. Mittlerweile verstehen die Forscher, wie sie den elektronischen Zustand des Materials verändern können: Ein kleines Kupfer-Defizit macht den Stoff antiferromagnetisch, mit einem winzigen Überschuss wird es zum Supraleiter. Dabei müssen die Forscher immer nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur operieren - für praktische Anwendungen eignet sich der Stoff also nicht: "Uns geht es aber um das prinzipielle Verständnis", sagt Oliver Stockert, der am Dresdener Max-Planck-Institut maßgeblich an den Untersuchungen mitgewirkt hat. Dafür wiederum eignet sich CeCu2Si2 besonders gut, weil darin Elektronen einer bestimmten Sorte, die sogenannten 4f-Elektronen der Cer-Atome, sowohl bei der Supraleitung als auch beim Magnetismus mitmischen.

In der magnetischen Variante des Stoffes bewirken die Spins der 4f-Elektronen, die diese zu winzigen Stabmagneten machen, die antiferromagnetische Ordnung des Materials: In einem einfachen Bild lässt sich das so vorstellen, dass die kleinen Magnete abwechselnd mit Nord- und Südpolen nebeneinander liegen. In der supraleitenden Version des CeCu2Si2 fließen die 4f-Elektronen in das Reservoir, aus dem sich Cooper-Paare bilden - Elektronenpärchen, die aufgrund ihrer Quanteneigenschaften unsichtbar für das Kristallgitter sind und daher ungehindert durch es hindurch sausen. Gleichzeitig verschwindet die antiferromagnetische Ordnung, und die einzelnen magnetischen Momente der 4f-Elektronen lassen sich nach außen nicht mehr wahrnehmen. "Insofern verhält sich unsere Cer-Verbindung im Prinzip so, wie wir es auch für klassische Supraleiter erwarten", sagt Oliver Stockert.

Der Physiker hat sich die magnetischen Momente in der supraleitenden Variante gemeinsam mit seinen Kollegen aber noch genau angesehen. Zu diesem Zweck haben sie am Spektrometer IN12 des Jülich Centre for Neutron Science am Institut Laue-Langevin in Grenoble eine Probe des supraleitenden Materials mit Neutronen beschossen, die ebenfalls einen Spin und damit ein magnetisches Moment besitzen. Auf diese Weise regten sie die magnetischen Momente im CeCu2Si2 an, versetzten sie also vereinfacht gesprochen in eine Kreiselbewegung. Das funktionierte aber nur, wenn die Energie der Neutronen eine bestimmte Schwelle überschritt. Genau dieses Mindestmaß an Energie ist nötig, um die supraleitenden Elektronen-Paare aufzubrechen.

Damit alleine können die Forscher noch nicht belegen, dass der magnetische Austausch die Cooper-Paare in den unkonventionellen Supraleitern zusammenbindet. "Die magnetischen Wechselwirkungen in dem supraleitenden Material setzen aber zehn Mal mehr Energie frei als die Bildung der Cooper-Paare", sagt Oliver Stockert: "Offenbar ermöglichen die magnetischen Wechselwirkungen also die unkonventionelle Supraleitung." Denn in der Natur wird alles gemacht, was Energie spart. Und offenbar lohnt sich der magnetische Austausch gerade in dem Supraleiter in dieser Hinsicht besonders.

Diese Erkenntnis hat das Team aus den umfangreichen Messdaten der Neutronenstreuung gewonnen. Die verrieten den Forschern nämlich nicht nur, wie sich die Stärke der magnetischen Anregungen mit ihrer Energie ändert, sondern auch von der Richtung abhängt, in der sie sich im Kristall ausbreiten. Daraus haben die Theoretiker des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme und der Rice University die Energieersparnis für den magnetischen Austausch berechnet.

Und noch einen Hinweis auf die magnetische Vermittlerrolle bei der unkonventionellen Supraleitung hat das Team gefunden: Sie wiederholten ihre Versuche bei unterschiedlichen Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunkts. Je mehr sie sich diesem Punkt annäherten, desto deutlicher kündigte sich darin die antiferromagnetische Ordnung an - Physiker sprechen davon, dass die Spinfluktuationen in der Nähe der magnetischen Ordnung langlebiger werden.

CeCu2Si2 sei also nicht nur der erste unkonventionelle Supraleiter, den Frank Steglich vor mehr als 30 Jahren entdeckte, wie Qimiao Si, beteiligter Theoretiker von der Rice University, betont: "Die Verbindung zeichnet sich auch dadurch aus, dass wir die beobachteten Spinfluktuationen zweifelsfrei als quantenkritische Fluktuationen identifizieren können." Diese Fluktuationen beruhen auf einem Quanteneffekt, weshalb der Punkt, in dessen Nähe sie auftreten, quantenkritischer Punkt heißt. "Die Tatsache, dass wir Supraleitung um diesen Punkt herum beobachten, spricht ebenfalls dafür, dass magnetische Wechselwirkungen die Bildung der Cooper-Paare bewirken", sagt Oliver Stockert.

Offen bleibt, warum der magnetische Austausch in dem Supraleiter einen so großen Energiegewinn bringt. Außerdem werden die Physiker noch klären müssen, inwieweit sich ihre Erkenntnisse auf die Materialien übertragen lassen, die bei relativ hohen Temperaturen supraleitend werden. "Wir sind aber sicher, dass wir mit unseren Untersuchungen auf der richtigen Spur sind", sagt Frank Steglich. Daher werden er und seine Kollegen weiter Belege sammeln, um die Rätsel um die unkonventionelle Supraleitung zu lösen.

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