Quantensimulator so leistungsstark wie ein Supercomputer

Max-Planck-Wissenschaftler ermitteln erstmals das Phasendiagramm eines atomaren Vielteilchensystems für endliche Temperaturen

3. Oktober 2010

Ob gefroren auf der Windschutzscheibe, als erfrischendes Nass im Sommer oder Dunst am Horizont - Wasser begegnen wir alltäglich in seinen drei Aggregatszuständen. Aber was genau passiert, wenn Wasser von einem in den anderen Zustand übergeht? Eine ähnliche Frage stellen sich auch Physiker, wenn sie es mit komplexen Phänomenen wie etwa Supraleitung zu tun haben. Um dies zu verstehen, untersuchen sie anhand von Quantensimulationen, unter welchen mikrophysikalischen Bedingungen Materie ihre Phase ändert. Ein internationales Team hat diese Phasenübergänge für einen künstlichen Kristall aus vielen Quantenteilchen jetzt vollständig bestimmt. (Nature Physics, 3. Oktober 2010)

Die Forscher um Immanuel Bloch (Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik) benutzten bosonische Vielteilchensysteme. Sie bestehen aus Atomen mit ganzzahligem Spin und zeigen nahe dem absoluten Nullpunkt, also bei minus 273 Grad Celsius, ein besonderes Quantenphänomen: Die Atome verhalten sich wie identische Teilchen und bilden ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat, den kältest möglichen Zustand auf der Erde.

Aus solchen Bose-Einstein-Kondensaten lassen sich mittels optischer Gitter künstliche Kristalle herstellen, die analoge Eigenschaften zu makroskopischen Festkörperkristallen aufweisen. Die Vorteile, die ultrakalte Atome in optischen Gittern gegenüber realen Festkörpern bieten, sind vor allem die geringe Anzahl an Fehlstellen und eine genaue Einstellbarkeit der mikroskopischen Parameter.

In ihrem Experiment erwärmten die Forscher ein Bose-Einstein-Kondensat aus rund 300000 Rubidium-Atomen nahe dem absoluten Nullpunkt geringfügig. Mit einem speziellen Schüttelverfahren lässt sich die Temperatur der Atome auf ein Hundertstel des Millionsten Teils eines Grades genau einstellen. Anschließend wurde das immer noch sehr kalte Gas in ein dreidimensionales optisches Gitter aus überlagerten Laserlichtwellen geladen. Diese Kristallstruktur aus Licht hält die Atome gefangen. Innerhalb des Gitters können sich die Atome bewegen, üben aber gleichzeitig eine abstoßende Wechselwirkung aufeinander aus, ähnlich wie die Elektronen in einem Festkörperkristall.

In dem optischen Gitter kann das atomare Vielteilchensystem drei verschiedene Phasen annehmen. Ist die gegenseitige Abstoßung der Atome stark gegenüber ihrer Beweglichkeit, bildet sich am absoluten Nullpunkt der Zustand eines Mott-Isolators: Die Atome sind an ihren Gitterplätzen fixiert und ihre Wellenfunktionen auf jeweils eine Gitterzelle beschränkt.

Dominiert die Beweglichkeit über die Abstoßung, so ist das System "superfluid", das heißt, die Atome sind über das gesamte Gitter ausgedehnt und können sich ohne Widerstand in ihm bewegen. Dieser superfluide Zustand existiert - ähnlich wie das Bose-Einstein-Kondensat - nur unterhalb einer Schwellentemperatur. Oberhalb dieser nimmt das System den Zustand eines (wechselwirkenden) thermischen Gases an.

Diese Schwellentemperatur hängt ab vom Verhältnis zwischen der Beweglichkeit der Atome im Gitter und der Stärke ihrer Abstoßung. Sie sinkt mit Zunahme der abstoßenden Wechselwirkung kontinuierlich und erreicht am Quantenphasenübergang zum Mott-Isolator schließlich den absoluten Nullpunkt: Für stärkere Abstoßungen existiert der superfluide Zustand nicht mehr.

In ihren Experimenten konnten die Wissenschaftler die Schwellentemperatur als Funktion der abstoßenden Wechselwirkungsstärke relativ zur Beweglichkeit der Atome bestimmen. Somit erhielten sie erstmals ein quantitatives Phasendiagram, aus dem sich auch die Lage des quantenkritischen Punkts bestimmen lässt.

Die Forscher verglichen ihre im Laborexperiment gewonnenen Ergebnisse mit Modellrechnungen des Quanten-Monte-Carlo-Verfahrens, das die direkte Simulation von Vielteilchensystemen auf über zehn Milliarden Gitterplätzen ohne zu starke Vereinfachungen erlaubt. Tatsächlich stimmten die Resultate des Quantenexperiments und der Computersimulation überein, so dass die für die Experimente angenommenen Temperaturen bestätigt werden konnten.

"Während die numerischen Rechnungen jedoch mehrere Tage bis Wochen dauern können, werden die entsprechenden Experimente in ein bis zwei Stunden durchgeführt", sagt Stefan Trotzky, Doktorand am Experiment. "Dieser Zeitunterschied verdeutlicht, welchen Wert die experimentellen Quantensimulationen für uns haben. Wir hoffen, damit in Zukunft die Physik von weit komplexeren Quantensystemen simulieren zu können, bei denen numerische Methoden an ihre Grenzen stoßen."

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